Polen und Finnland: Moore gegen Krieg und für Klima
21. Oktober 2025
Anfang März 2022 explodierte ein Sprengsatz nördlich von Kiew in der Ukraine, der die gesamte Region und die militärische Lage dort bis heute prägt. Die Detonation zerstörte den Kozarovychi Damm des Irpin Stausees vollständig. Die darunter liegenden Auen wurden kilometerweit überflutet.
Ganze Dörfer wurden überspült. Das so entstandene Feuchtgebiet war von da an für die russischen Angreifer eine unüberwindbare Barriere. Sie half, die Einnahme Kiews zu verhindern.
An den NATO-Außengrenzen in Polen und Finnland rücken solche Feuchtgebiete zur Unterstützung der Verteidigung jetzt aus Sorge vor einer möglichen russischen Invasion verstärkt in den Fokus.
Beide Länder ziehen die Wiedervernässung von trockengelegten Mooren und Sümpfen als Verteidigungsbarrieren in Betracht. Das könnte auch der Umwelt zu Gute kommen.
Lebendige, feuchte Moore speichern enorm viel CO2. Aus trockenen Mooren dagegen entweichen viele Treibhausgase. Die Wiederherstellung gesunder Moore ist deshalb auch für das Erreichen der EU-Klimaziele essenziell.
Doch derzeit ist ein Großteil der europäischen Sümpfe für die Landwirtschaft trockengelegt. Sie geben viel Kohlenstoff ab und schaden so dem Klima.
Wie Moore in Finnland die Verteidungsfähigkeit stärken sollen
Die finnische Regierung untersucht jetzt Gebiete im Osten des Landes nahe der Grenze zu Russland. Dabei geht es um Moore, Feuchtgebiete und Wälder mit totem Holz, die eine natürliche Barriere bilden.
"Renaturierte Moore können als natürliche Hindernisse dienen, die möglicherweise die Bewegung von militärischer Ausrüstung einschränken und die Verteidigungsfähigkeit Finnlands verbessern," so das finnische Umweltministerium in einem schriftlichen Statement an die DW.
Das finnische Umweltministerium richte derzeit eine Arbeitsgruppe ein, die konkrete Pläne und den Umfang der Renaturierung zu Verteidigungszwecken evaluieren soll, heißt es.
Die strategischen und militärischen Vorteile im Verteidigungsfall sollen dabei von Militärexperten erörtert werden. Auch das Verteidigungs- und Landwirtschaftsministerium seien in der Arbeitsgruppe vertreten. Teil des Plans ist es gleichzeitig, die Artenvielfalt zu stärken, Emissionen zu reduzieren und Luft- und Wasserqualität zu fördern.
Insgesamt sind die Moore und Torfböden in Finnland in keinem guten Zustand. Die Renaturierung von Sümpfen und Wäldern soll auch dazu beitragen "Überschwemmungen und den Nährstoffabfluss in Gewässer zu verringern." In Friedenszeiten könnten renaturierte Gebiete auch zur Naherholung und für Freizeitaktivitäten genutzt werden, so das finnische Umweltministerium.
Sümpfe zur Verteidigung: eine Jahrhunderte alte Idee
Moore, Schlamm und Feuchtgebiete sind seit jeher Teil von Kriegs- und Verteidigungsstrategien. So besiegten etwa im Jahr 1500 norddeutsche Bauern die dänische Armee im Hemmingstedter Moor, das sie gut kannten und geschickt nutzten. Unpassierbare Sümpfe spielten eine wichtige Rolle bei der Niederlage der französischen Armee unter Napoleon Bonaparte im Russlandfeldzug 1812. Auch im ersten und zweiten Weltkrieg waren Sümpfe und Moore für deutsche wie Alliierte Truppen große Hindernisse.
"Es gibt kein militärisches Gerät, dass ein nasses Moor einfach so durchfahren kann”, so Franziska Tanneberger Leiterin des Greifswalder Moor Centrums, einer Kooperation der Uni Greifswald und der Michael Sukkow Stiftung.
Sie schätzt, dass mit dem Einsatz von 250 bis 500 Millionen Euro europaweit rund 100.000 Hektar Moor und Sümpfe wiederbelebt und erneut vernässt werden könnten.
Was Moore für die das Klima tun
Ob Filterung und Speicherung von Wasser in immer trockeneren und heißeren Jahren, oder die Speicherung großer Mengen klimaschädlichen Kohlenstoffdioxyds: "Moore machen das kostenlos für uns, wenn wir sie lassen," so Tanneberger.
Wenn nasse Moore trockengelegt werden, geht die Speicherwirkung verloren. Sieben Prozent der Europäische Treibhausgasemissionen stammt aus trockengelegten Torfböden und ehemaligen Feuchtgebieten.
Weltweit machen Moore nur noch etwa drei Prozent der Landfläche aus. Aber sie binden sie fast doppelt so viel CO2 wie alle Wälder der Erde zusammen.
Polens "East Shield" Initiative - Wälder und Sümpfe als Schutzwall
Auch Polen will seine Ostflanke an der Grenze zu Belarus und Russland massiv verstärken. Die East Shield Initiative soll bis 2028 einen möglichen Angriff durch den Ausbau der Überwachung, der Infrastruktur und den Bau physischer Hindernisse von einer Invasion abschrecken.
"Die grenznahe Natur ist ein offensichtlicher Verbündeter des Eastern Shield”, teilte das polnische Verteidigungsministerium auf Anfrage der DW mit.
Teil davon sei auch die Vernässung von Mooren und das Aufforstung in Grenzgebieten. Die Grenzen von Polen und Finnland zu Russland sind gleichzeitig auch Nato-Außengrenzen und daher für das gesamte Bündnis von großer Bedeutung.
"In diesem Fall überschneiden sich Umwelt- und Verteidigungsziele", heißt es im Schreiben des Ministeriums. "Baumaßnahmen sollten dort durchgeführt werden, an denen natürliche Barrieren sich als unzureichendes Hindernis erweisen.”
Drehscheibe: Deutschlands Rolle in der NATO
Deutschland plant zwar derzeit keine Moore für die Verteidigung wiederzubeleben, heißt es vom Verteidigungsministerium auf Anfrage.
Im NATO-Verteidigungsplan gilt die Bundesrepublik als sogenannte "Drehscheibe Deutschland”, also als wichtiges Transitland für Truppenbewegungen des Bündnisses.
Sümpfe und Moore hätten jedoch unmittelbaren Einfluss auf die Bewegungsmöglichkeiten gegnerischer wie auch eigener Einheiten, schreibt das Verteidigungsministerium.
Die Wiedervernässung könne deshalb auch für die eigenen Truppen sowohl Vor- und aber auch Nachteile haben. Und derzeit überwiegen die Nachteile für die Bundeswehr, so das Verteidigungsministerium.