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PolitikEuropa

Neuanfang für Montenegro

3. April 2023

Nach drei Jahrzehnten geht in Montenegro die Ära des autokratischen Langzeitherrschers Djukanovic zu Ende. Der neue Staatspräsident Milatovic ist jung, gut gebildet, proeuropäisch - aber auch politisch unerfahren.

Montenegros neuer Staatspräsident Jakov Milatovic und Unterstützer halten Sektgläser hoch
Anstoßen auf das Staatsamt: Montenegros gewählter Staatspräsident Jakov Milatovic am 2.04.2023 in PodgoricaBild: Marko Djurica/REUTERS

Jubeldemonstrationen und Feuerwerk auf den Straßen in Montenegro, Politikerreden mit großen Worten wie: Ende der Diktatur, Epochenwandel, Beginn einer neuen Zeit. Im Schatten der Weltkrise, die Russland mit seinem Krieg gegen die Ukraine entfacht hat, erlebte das kleine Montenegro, das in etwa so viele Einwohner hat wie eine durchschnittliche europäische Großstadt - rund 620.000 - am Sonntag (2.04.2023) einen der wichtigsten Tage seiner Geschichte: Der Staatspräsident Milo Djukanovic, der seit mehr als drei Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen an der Macht ist, verlor die Präsidentschaftswahl haushoch gegen den jungen Ökonomen Jakov Milatovic. Dieser steht für den grundlegenden Wandel, den sich viele Montenegriner seit langem wünschen.

Milo Djukanovic, der mit dem Wahlslogan "Wer sonst?" angetreten war, erhielt in der Stichwahl, die nach dem ersten Wahlgang vor zwei Wochen notwendig geworden war, nur rund 40 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer Jakov Milatovic kam auf 60 Prozent - ein Ergebnis, das weitaus eindeutiger war, als viele Umfragen es vorhergesagt hatten.

"Milo. Wer sonst?" Wahlplakat für den Langzeitherrscher Milo Djukanovic in der montenegrinischen Hauptstadt PodgoricaBild: Radomir Krackovic/DW

Für den 61-jährigen Djukanovic ist es eine Niederlage historischen Ausmaßes - für Montenegro der symbolische Beginn einer neuen Ära. "Milo" herrschte in dem kleinen Land seit mehr als 30 Jahren in unterschiedlichen Funktionen und war einer der dienstältesten Autokraten Europas. Er errichtete in Montenegro ein korruptes, klientelistisches System, von dem vor allem er selbst, seine Familienmitglieder und ein enger Kreis von Freunden und Mitgliedern seiner "Demokratischen Partei der Sozialisten" (DPS) profitierten und an dem man ansonsten nur mit DPS-Mitgliedsausweis teilhaben konnte.

Westen sah über Korruption in Montenegro hinweg

Einst ein Milosevic-Verbündeter, verkaufte er sich in späteren Jahren geschickt als Pro-Europäer, führte Montenegro in die Unabhängigkeit, später in die NATO und auf den Weg der EU-Integration. Im Westen sah man dafür über seine Verwicklung in Geldwäsche, organisierte Kriminalität und Korruption hinweg.

Der Neue und der Abgelöste: Jakov Milatovic und Milo DjukanovicBild: Filip Filipovic/Getty Images; Petr David Josek/picture alliance/AP

So historisch und psychologisch wichtig der Einschnitt ist, der für Montenegro und seine Menschen wie auch für die gesamte Westbalkan-Region mit der Abwahl Djukanovics einhergeht - denn immerhin sind zwei Generationen mit ihm an der Macht aufgewachsen -, so ungewiss ist die Zukunft für das "Land der schwarzen Berge". Zwar ist das Präsidentenamt in Montenegro nicht mit weitreichenden exekutiven Vollmachten verbunden. Doch da Djukanovic in der Vergangenheit auch als Präsident vor allem informell herrschte, kommt dem Amt eine hohe Symbolkraft zu.

Jakov Milatovic: als Ökonom erfolgreich - auch als Politiker?

Nun wird es ein Jung-Politiker ausfüllen, den selbst viele Beobachter im Land bisher nur schwer einschätzen können. Der 36-jährige Jakov Milatovic, verheiratet und Vater dreier Kinder, ist Ökonom, studierte unter anderem in Oxford und gewann Forschungsstipendien in Österreich, Italien und den USA. Er arbeitete bisher überwiegend im internationalen Bank- und Finanzwesen, darunter bei der "Osteuropa-Bank" EBRD in Bukarest, und ist mit den makroökonomischen Problemen Südosteuropas gut vertraut. Weniger Erfahrungen hat er mit der Navigation in den schwierigen und gefährlichen politischen Gewässern Montenegros und der Westbalkan-Region.

"Zusammen werden wir erfolgreich sein" - Wahlplakat von Jakov Milatovic in PodgoricaBild: Radomir Krackovic/DW

Als Djukanovics DPS im August 2020 die Parlamentswahl verlor, gab Milatovic seine Karriere im internationalen Bankwesen auf und trat in die montenegrinische Politik ein, zunächst als Minister für wirtschaftliche Entwicklung, bis die Regierung unter Premier Zdravko Krivokapic, der er angehörte, vor einem Jahr stürzte. Kurz darauf gründete er zusammen mit seinem ehemaligen Kabinettskollegen Milojko Spajic die liberale Sammelpartei "Europa jetzt!".

Montenegros neuer Präsident und die "serbische Frage"

Erst vor wenigen Wochen, im Februar 2023, reichte Milatovic seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ein. Sein Parteifreund Spajic war zuvor von der Kandidatur ausgeschlossen worden, weil er auch die serbische Staatsbürgerschaft besitzt. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist in Montenegro ein Ausschlussgrund für eine Kandidatur zum Amt des Staatspräsidenten. Inzwischen hat Spajic einen Antrag auf Entlassung aus der serbischen Staatsbürgerschaft gestellt.

Joanikije (M.), der Metropolit der Serbisch-Orthodoxen Kirche in MontenegroBild: Risto Bozovic/AP/picture alliance

Die "serbische Frage" ist auch die Hauptkontroverse in der Personalie des neuen Präsidenten. Während Milatovic keinerlei Sympathie für Serbiens rechtsnationalistischen Präsidenten Aleksandar Vucic hegt, wird ihm eine gewisse Nähe zur Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) nachgesagt. Die SPC hat in Montenegro großen gesellschaftlichen Einfluss. Rund ein Drittel der Einwohner sieht sich selbst als montenegrinische Serben. Aber auch ein großer Teil derjenigen, die sich als Montenegriner definieren (rund 48 Prozent), zählt zu den Kirchgängern der SPC. Formal stellt die SPC die montenegrinische Unabhängigkeit nicht in Frage. Sie plädiert jedoch für eine enge Anbindung Montenegros an Serbien.

Für ein "europäisches Montenegro"

Auch in der montenegrinischen Politik ist das Verhältnis zu Serbien der größte Streitpunkt. Allerdings verlieren rechtsnationalistische und rechtsextreme proserbische Parteien in Montenegro an Einfluss. Selbst viele montenegrinische Serben stehen den Großserbien-Ambitionen Aleksandar Vucics ablehnend gegenüber. Eine nennenswerte Strömung gegen die Unabhängigkeit Montenegros gibt es im Land nicht mehr.

Der serbische Staatspräsident Aleksandar VucicBild: Ognen Teofilovski/REUTERS

Auch Milatovic betont, dass er hinter der Unabhängigkeit seines Landes steht und im Referendum 2006 auch für sie gestimmt hat. Wenngleich es mit ihm keine "Rückkehr nach Serbien" geben wird, so ging er doch zumindest noch vor einiger Zeit auf eine Weise mit der "serbischen Frage" um, die verwundert: Als Wirtschaftsminister twitterte er beispielsweise begeistert über ein Treffen mit dem Metropoliten der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Montenegro, Joanikije, bei dem die beiden einen Plan zur Steigerung der Geburtenrate besprachen.

Inzwischen gibt sich Milatovic zurückhaltender: In Interviews sagt er, er strebe bessere Beziehungen zu Serbien an, betont aber, dass sein erster Auslandsbesuch ihn nicht nach Belgrad, sondern nach Brüssel führen wird. Sein vorrangiges Ziel und auch der Auftrag seiner Wähler sei, so Milatovic, ein "besseres und europäisches Montenegro" - und dass Montenegro in fünf Jahren EU-Mitglied werde.