Neue Bundesregierung, neue Außenpolitik?
7. Mai 2025
Im Ausland warten die Verbündeten seit dem radikalen Kurswechsel in der US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump darauf, dass Deutschland als wirtschaftsstärkstes und bevölkerungsreichstes EU-Land wieder voll handlungsfähig wird. Aber in Berlin gab es zunächst ein Debakel für Friedrich Merz. Der CDU-Chef wurde im Bundestag erst im zweiten Anlauf zum Bundeskanzler gewählt. Merz geht damit bereits geschwächt an die Arbeit.
Doch "außenpolitisch spielt das nicht so eine große Rolle", meint Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gegenüber DW. "Jetzt kommt es im ersten Moment darauf an, dass er den richtigen Ton findet auf der internationalen Bühne und signalisiert, Deutschland möchte eine aktivere und größere Rolle spielen."
Das sind Merz' wichtigste außenpolitische Themen:
Neustart mit Frankreich und Polen?
Merz hatte sich schon im Wahlkampf bitter darüber beklagt, dass Deutschlands engste außenpolitische Partnerschaft mit Frankreich unter der Regierung von SPD-Kanzler Olaf Scholz ebenso vernachlässigt worden sei wie das Verhältnis zu Polen. Zusammen bilden die drei Länder das sogenannte Weimarer Dreieck, das vor Jahren eine wichtige Rolle spielte, aber inzwischen nur noch ein Schattendasein fristet.
Das will Merz ändern - und machte seine ersten Auslandsbesuche in Paris und Warschau. "Mir liegen diese beiden Länder sehr am Herzen", sagte er im Flugzeug zu Journalisten.
"Gerade beim deutsch-französischen Verhältnis gibt es viele Einzelfragen, die unter Scholz und Macron liegengeblieben sind, weil es auf der obersten Ebene nicht so richtig funktionierte mit der persönlichen Chemie", sagt Henning Hoff. "Das könnte jetzt mit Merz besser werden."
Tatsächlich gaben sich Friedrich Merz und Emmanuel Macron alle Mühe, ein harmonisches Paar abzugeben, und versprachen einen "Neustart" in den Beziehungen. Allerdings wurden dann doch die politischen Interessensgegensätze wieder deutlich. So setzt etwa Berlin viel mehr als Paris auf Freihandel und andere Akzente in der Energiepolitik.
Polen hat nach Jahren unter der rechtsnationalen PiS-Regierung wieder eine europafreundliche Führung unter dem ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, was auch die Beziehungen zu Deutschland erleichtert. Ein Problem hier sind die geplanten deutschen Grenzkontrollen gegen die irreguläre Migration. Tusk mahnte, dass Deutschland nicht einseitig die Grenzkontrollen nach Polen verschärfen sollte. "Die große Gefahr besteht", sagt Henning Hoff, "dass die neue Bundesregierung überdreht und zu viele Kontrollen einführt." Das könne auch den Ausgang der anstehenden polnischen Präsidentschaftswahl beeinflussen, bei der es Tusks Kandidat ohnehin schwerhat.
Europäische Idee kein Selbstläufer mehr
Weil Merz Zweifel hat, ob sich die USA unter Donald Trump noch an die Beistandsverpflichtung der NATOgebunden fühlen, hat er noch am Wahlabend gesagt, die Europäer müssten "wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA". Er strebt eine enge verteidigungspolitische Zusammenarbeit der Europäer an.
Aber die EU ist politisch zunehmend gespalten. So unterhält etwa Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban gute Kontakte zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und lehnt eine Unterstützung der Ukraine ab. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni steht Donald Trump politisch nahe. Auch sonst ist in der EU der frühere Schwung verflogen. Rechtspopulisten sind fast überall auf dem Vormarsch, die europäische Integration ist kein Selbstläufer mehr.
Riesenproblem US-Einfuhrzölle
Niemand stellt die deutsche Außenpolitik derzeit vor so große Herausforderungen wie Donald Trump. Neben Zweifeln an den Sicherheitsgarantien der USA sind Einfuhrzölle das aktuell größte Problem für Berlin. Deutschland als Exportnation treffen die Zölle besonders hart, zumal die deutsche Wirtschaft schon seit mehr als zwei Jahren in einer Rezession steckt.
Wegen dieser Verwundbarkeit setzt die Bundesregierung trotz des Ärgers über Trump auf Deeskalation. Im Koalitionsvertrag steht: "Mit den USA streben wir mittelfristig ein Freihandelsabkommen an, kurzfristig wollen wir einen Handelskonflikt vermeiden und setzen auf die Reduzierung von Einfuhrzöllen auf beiden Seiten des Atlantiks." Allerdings wollen die Bundesregierung und die EU auch deutlich machen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Gegenmaßnahmen bleiben damit immer eine Möglichkeit.
Gespräch mit Trump, aber kein Besuch geplant
Friedrich Merz ist eigentlich Transatlantiker durch und durch. Zehn Jahre lang war er Vorsitzender der Atlantikbrücke, einer überparteilichen Organisation zur Pflege der amerikanisch-deutschen Beziehungen. Doch mit Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump ist Merz' Glaube an eine enge deutsch-amerikanische Partnerschaft stark erschüttert. "Ich bin schockiert über Donald Trump", sagte er, nachdem dieser der Ukraine eine Mitschuld am Krieg gegeben hatte.
Seit sich Mitglieder der Regierung Trump offen auf die Seite der Partei Alternative für Deutschland gestellt haben, die der deutsche Verfassungsschutz jetzt als "gesichert rechtsextrem" eingestuft hat, hat sich der transatlantische Graben noch mehr vertieft. Ein Telefonat mit Trump ist für Donnerstag geplant. "Wir werden offen miteinander reden", sagte Merz im ZDF, verbat sich aber Einmischungen in innenpolitische Angelegenheiten. Eine Reise des neuen Bundeskanzlers nach Washington ist bisher nicht geplant.
Ukraine-Krieg: Liefert Deutschland bald Taurus?
Der Kurs, den Donald Trump für einen Frieden in der Ukraine eingeschlagen hat, macht die Europäer zu bloßen Zuschauern. Es finden direkte Verhandlungen zwischen der amerikanischen und russischen Seite statt. Falls es zu einem Friedensschluss kommt, der auf einen Diktatfrieden für die Ukraine hinauslaufen könnte, bliebe den Deutschen und anderen EU-Europäern wohl nur die Rolle, für die Absicherung des Friedens zu sorgen.
Die Regierungskoalition will die Ukraine weiter unterstützen. Fraglich bleibt aber, wie genau es mit der Militärhilfe weitergeht. Merz hatte als Oppositionsführer die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper mit großer Reichweite an die Ukraine befürwortet. Dies lehnte SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz immer ab, weil er befürchtete, Deutschland werde in den Krieg mit Russland hineingezogen. Eine Entscheidung darüber steht noch aus.
Sicherheitsrisiken gegenüber China verringern
Als Ausweg aus dem Handelskonflikt mit Trump wollen manche Politiker in Berlin und Brüssel wieder mehr auf das Geschäft mit China setzen. Das läuft aber auch nicht mehr so gut wie früher, als deutsche Exporteure dort glänzende Geschäfte machten. Deutsche Autos, lange Exportschlager in China, werden inzwischen dort zu Ladenhütern. China selbst bietet preisgünstige Elektroautos an und vertreibt sie erfolgreich in der EU.
Die EU ihrerseits versucht deshalb nun, ihren Markt gegen chinesische Elektroautos abzuschotten. Auch hier dürfte Deutschland als exportorientiertes Land ein Interesse daran haben, dass die Marktbeschränkungen im Handel mit China nicht zu weit gehen. Andererseits heißt es im Koalitionsvertrag: "Ausländische Investitionen, die unseren nationalen Interessen widersprechen, in kritische Infrastruktur und in strategisch relevanten Bereichen, wollen wir effektiv verhindern." Das dürfte sich vor allem auf China beziehen.
Nahost-Konflikt: Netanjahu in Deutschland willkommen?
Die Bundesregierung ist hier in einer besonders schwierigen Position: Als Konsequenz aus der nationalsozialistischen Geschichte mit dem millionenfachen Mord an Juden liegt die Sicherheit Israels jeder deutschen Regierung besonders am Herzen. Auf der anderen Seite haben deutsche Politiker immer wieder Israels hartes Vorgehen gegen die Hamas im Gaza-Streifen als unverhältnismäßig kritisiert.
In eine Zwickmühle gerät die Bundesregierung auch wegen eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Deutschland unterstützt zwar den Strafgerichtshof und müsste Netanjahu bei einem Deutschland-Besuch eigentlich festnehmen. Allerdings hat Friedrich Merz bekräftigt, das werde unter ihm als Kanzler keinesfalls geschehen.
Könnte die Innenpolitik Merz lähmen?
Insgesamt, resümiert Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, wird der etwas holprige Start der neuen Bundesregierung außenpolitisch nicht schaden. Höchstens dies: "Die Gefahr besteht allerdings, dass die Regierung insgesamt nicht so ganz stabil ist und dass sich der Bundeskanzler dann stärker mit innenpolitischen Fragen beschäftigen muss und dann weniger Zeit hat für das, was anscheinend sein Hauptanliegen ist, nämlich in der Außen- und Europapolitik Akzente zu setzen."