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Politik

Neue Chance für Rot-Rot-Grün?

12. März 2019

Die scheidende Linken-Fraktionschefin Wagenknecht galt vielen als Hindernis für ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen. Dabei gibt es viele andere Gründe, warum es damit auf Bundesebene bislang nicht klappt.

Deutschland | Sahra Wagenknecht | Die Linke
"Stress und Überlastung" - Sahra Wagenknecht will in der Politik kürzer treten, sich aber weiterhin einmischenBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Sahra Wagenknecht sorgt oft für Gesprächsstoff. Meinungsstark und provozierend irritiert sie gleichermaßen Freund und Feind. In den eigenen Reihen ist sie vor allem wegen ihrer Haltung zur Flüchtlingspolitik umstritten. Anders als die große Mehrheit der Linken ist sie gegen offene Grenzen. Ihre schärfsten Gegner werfen der Fraktionsvorsitzenden im Bundestag sogar vor, mit populistischen Tönen am rechten Rand auf Stimmenfang zu gehen.

Doch in diesen Tagen ist alles anders. Kein schlechtes Wort ist über die oft polarisierende Wagenknecht zu hören. Parteiübergreifend zollt man ihr Respekt für die Entscheidung, sich aus der ersten Reihe der Politik zurückzuziehen. Fast zwei Monate war die 49-Jährige krank. Auslöser seien in erster Linie "Stress und Überlastung" gewesen, hatte sie am Montag in einer kurzen E-Mail an die Fraktion mitgeteilt. Bis zur Neuwahl der Fraktionsspitze will Wagenknecht aber im Amt bleiben, "um einen ordentlichen Übergang zu gewährleisten".

Keine neue Fraktionsspitze vor der Europa-Wahl

Ursprünglich sollte im Herbst darüber entschieden werden. Nun wird es wohl schon im Frühsommer so weit sein. Aber zunächst will man die Europa-Wahl am 26. Mai abwarten. Am selben Tag wird im Stadtstaat Bremen ein neues Parlament gewählt. Die Linke darf auf ein zweistelliges Ergebnis hoffen - und im günstigsten Fall erstmals auf eine Regierungsbeteiligung. Seit 2007 teilen sich Sozialdemokraten (SPD) und Grüne die Macht. Laut Umfragen werden sie ihre Mehrheit aber kaum verteidigen können.

Rot-Rot-Grün funktioniert manchmal - zurzeit im Stadtstaat Berlin und in Thüringen, aber nicht auf Bundesebene Bild: Imago/C. Ohde

Ein rot-rot-grünes Bündnis scheint in der traditionell politisch linken Hansestadt also durchaus möglich zu sein - rechnerisch ist es fast schon sicher. Es wäre auf Landesebene nach Thüringen und Berlin das dritte. Eine Bundesregierung in diesen Farben hat es allerdings noch nie gegeben. Doch nach Wagenknechts Ankündigung, kürzer zu treten, wird schon offen über diese Perspektive  spekuliert. Wieder einmal. Denn nach der Bundestagswahl 2013 war das auch schon der Fall. Der Unterschied zur heutigen Situation: Damals hatten SPD, Grüne und Linke tatsächlich eine Mehrheit.

Die SPD wollte 2013 lieber mit Angela Merkel regieren

Aber die Sozialdemokraten zogen es vor, mit einer alten Bekannten ins politische Geschäft zu kommen: Angela Merkel. Das hatten sie schon von 2005 bis 2009 getan und tun es seit 2018 ein drittes Mal. Gutgetan hat es ihnen nie - die Wahlergebnisse gingen immer tiefer in den Keller. In Umfragen lag die SPD vorübergehend sogar schon hinter der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Erst seit sie unter ihrer Parteivorsitzenden Andrea Nahles einen vorsichtigen Linksruck vollzogen hat, geht es wieder leicht aufwärts.

Schlechte Aussichten für Rot-Rot-Grün: Im Deutschlandtrend vom Februar kamen sie zusammen nur auf 44 Prozent

Manche erklären sich diese Entwicklung auch mit einer außerparlamentarischen Organisation, bei der Sahra Wagenknecht ihre Finger im Spiel hat. Die von ihr 2018 ins Leben gerufene Sammlungsbewegung "Aufstehen" will erklärtermaßen Druck auf SPD und Grüne ausüben. Das Ziel: die politischen Koordinaten in Deutschland nach links zu verschieben. Allzu erfolgreich waren die Bemühungen bislang jedoch nicht - im Gegenteil: Wagenknecht ist auch bei "Aufstehen" umstritten. Auch dort will sie künftig keine führende Rolle mehr spielen. Ihren Verzicht erklärte sie am vergangenen Wochenende - allerdings ohne Hinweis auf ihre Gesundheit.             

Linke will ihren Kurs "grundsätzlich nicht ändern"

Trotz des überraschenden Teilrückzugs sowohl bei den Linken als auch in der Sammlungsbewegung muss man weiterhin mit einer angriffslustigen Wagenknecht rechnen. "Das heißt nicht, dass ich mein Mandat niederlege", sagte sie am Dienstag in Berlin. Sie werde sich selbstverständlich weiter engagieren - "für ein soziales Land, für meine Überzeugungen". Sie werde weiter Termine wahrnehmen, auch in den anstehenden Wahlkämpfen. Das gilt insbesondere für die ostdeutschen Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Dort werden im September und Oktober neue Parlamente gewählt.

Gutes Ergebnis für Rot-Rot-Grün bei der Wahl zum Berliner Stadtparlament im September 2016

Ob mit ihrem Verzicht auf ein Spitzenamt in der Fraktion eine programmatische Kursänderung einhergeht, darüber müsse die neue Fraktionsspitze entscheiden, sagte Wagenknecht. Für Dietmar Bartsch, mit dem sie sich seit 2015 den Vorsitz teilt, kommt das auf keinen Fall infrage. "Wir alle sind auf Grundlage eines Wahlprogramms gewählt, das gilt für uns." Man habe gemeinsame Entscheidungen für die "Marschrichtung" getroffen und daran werde sich "grundsätzlich nichts ändern".

Grüne hoffen auf "unterschiedliche Optionen"

Mit solchen Sätzen dämpft Bartsch zugleich Hoffnungen auf Seiten von SPD und Grünen, die Linken könnten sich ohne Wagenknechts starken Einfluss auf sie zuzubewegen. "Ich wünsche mir jedenfalls sehr, dass es unterschiedliche Optionen gibt, dieses Land zu regieren, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt am Dienstag in Berlin. "Und da kann die Linkspartei einen Beitrag leisten." 

Am meisten hoffe sie, dass Wagenknechts Politik der "Abschottung und Ausgrenzung von Geflüchteten" nicht mehr der Kurs der Linkspartei sei, betonte Göring-Eckardt. Zutreffend ist diese Behauptung allerdings nicht. Denn die Linke hat auf ihrem Parteitag 2018 in Leipzig gegen Wagenknechts Widerstand für offene Grenzen votiert.  

SPD setzt auf "neue, progressive Bündnisse"

Ähnlich wie die Grüne Göring-Eckardt hatte sich schon am Montag SPD-Vize Ralf Stegner geäußert. Wagenknechts Rückzug könne "neue, progressive Bündnisse" ohne die Konservativen möglicherweise erleichtern. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt indes, dass auf allen Seiten der politische Wille für eine rot-rot-grüne Koalition fehlte. Als sie 2013 möglich war, hieß der Linken-Fraktionschef noch Gregor Gysi. Ein bekannter Befürworter solcher Bündnisse.

Gregor Gysi konnte sich eine Koalition mit SPD und Grünen schon vorstellen, als er bis 2015 Sahra Wagenknechts Vorgänger war Bild: picture alliance/dpa/O. Berg

Doch vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik trennen die drei Parteien noch immer Welten. Das nordatlantische Verteidigungsbündnis NATO ist in den Augen einiger Linker vor allem ein Kriegstreiber. Auch humanitäre Einsätze der Bundeswehr lehnen die meisten weiterhin ab. Wie vor diesem Hintergrund SPD, Grüne und Linke auf Bundesebene zusammenfinden sollen, hat noch kein Parteistratege schlüssig erklären können.

Comeback nicht ausgeschlossen

Auf Sahra Wagenknechts Wort wird es dabei nach ihrem Rückzug auf Raten zunächst weniger ankommen. Ob sie eines Tages vielleicht wieder ein Spitzenamt bei den Linken anstrebt, ließ sie hingegen offen: "Man kann in seinem Leben nie neue Dinge ausschließen."

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