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Politik

Neue COVID-19-Studien und die Politik

Kay-Alexander Scholz
5. Juni 2020

Wie tragen Schüler zur Corona-Verbreitung bei? Sachsen öffnete als erstes Bundesland seine Schulen - und machte sie zum Ort für epidemiologische Studien. Deren wissenschaftliche Leiter möchten gern einiges klarstellen.

Deutschland Coronavirus Schulstart in Sachsen
Nach der Corona-Zwangspause: Banner an einer Schule in DresdenBild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Die Schulschließungen wegen Corona haben viele Eltern vor große Betreuungsprobleme gestellt, viele konnten deswegen nicht zur Arbeit gehen. Das hatte weitreichende Folgen – volkswirtschaftlich, aber auch für die Bildung der Kinder und für ihr Sozialleben. Als erstes Bundesland in Deutschland machte Sachsen dann die Kehrtwende und öffnete Mitte Mai seine Grundschulen. Ende Mai startete auch für ältere Schüler der Unterricht wieder - und zwar ohne Maske und Abstand. Das führte zu viel Kritik.

Wieder zusammen: Grundschüler in SachsenBild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Inzwischen hat sich der Ärger gelegt: Andere Bundesländer wollen dem Weg Sachsens folgen und im Laufe des Juni die Schulen wieder füllen. Nach den Sommerferien soll vielerorts der Unterricht wieder im Normalbetrieb stattfinden.

Datenlage ist bislang dünn

Es war unter anderem der Infektiologe Reinhard Berner vom Uni-Klinikum Dresden, der der sächsischen Landesregierung zu dem Schritt geraten hatte. Im Gespräch mit der DW rechtfertigt er das damit verbundene Risiko auch damit, dass Schulschließungen eine Maßnahme aus Pandemie-Plänen für Influenza seien. Denn Grippe-Viren würden sich unter Kindern rapide ausbreiten. "Corona-Viren unterschieden sich da aber erheblich."

Für Schulöffnungen: Reinhard Berner, Direktor der Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin in DresdenBild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Doch die Datenlage dazu ist dünn. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte kürzlich: "Die Wahrheit ist, dass wir aktuell eine Studienlage haben, die keine echten Schlüsse zulässt, inwieweit Kinder zur Verbreitung des Virus beitragen."

Andere Länder handelten dennoch früher als Deutschland. Dänemark und Norwegen öffneten schon Mitte März wieder ihre Schulen. In Skandinavien sei die Datenlage auch nicht anders, erklärt Berner. Die Daten seien nur anders interpretiert worden - mit anderen Schlussfolgerungen und Prioritäten. Doch das sei in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich.

Wie schnell verbreitet sich der Virus unter Jugendlichen?

Parallel zu den Schulöffnungen starteten in Sachsen zwei COVID-19-Studien. Reinhard Berner in Dresden leitet eine davon. Kritiker sprachen von einem "Massenexperiment" und "grober Verletzung der Fürsorgepflicht". Berner entgegnet, es sei besser, jetzt im Sommer aktiv zu forschen, als im Herbst, wenn die Zahlen wohl wieder steigen würden.

Rund tausend 14- bis 18-jährigen Schülern wird derzeit Blut abgenommen, um einen Antikörper-Test durchzuführen. Einige hundert Lehrer sollen dazukommen - alles freiwillig. Die Resonanz sei höher als die Kapazitäten, freut sich Berner.

Im Unterschied zu anderen Studien soll es nicht bei nur einer Testung bleiben, vielmehr würden die Tests in ein paar Wochen und dann in ein paar Monaten wiederholt, sagt Berner. Am Ende werde man wissen, ob sich unter Jugendlichen das Virus langsamer, genauso schnell oder schneller ausbreite.

Massentests in Leipzig

In Leipzig läuft die zweite sächsische Studie. Auch sie wird vom Land mitfinanziert, und auch sie setzt auf mehrfache Testungen über das Jahr 2020 verteilt. Von Leipzig aus werden fast 5000 Schüler aller Altersgruppen samt Lehrer getestet - nicht nur auf Antikörper, sondern auch auf eine akute Infektion hin.

Die erste Testphase hat zwar gerade erst begonnen. Studienleiter Wieland Kiess, Direktor der Leipziger Uni-Kinderklinik, bringt dennoch schon erste Ergebnisse zum DW-Gespräch mit: Unter den bereits 400 getesteten Kindern zweier Schulen sei keines akut infiziert. Allerdings stünden die Antikörpertests noch aus, das heißt, ob jemand die Krankheit schon durchgemacht hat. Eine massive Ansteckungswelle, wie von manchen befürchtet, sei hier also ausgeblieben.

"Kindern ohne Garten geht es jetzt schlechter"

Was folgt daraus für die Politik? "Wir stellen Fragen und liefern Antworten in Form von Daten und harten Fakten," will Kiess klarstellen. Alles andere sei in einer Demokratie Aufgabe der Politik. Die Meinung von Wissenschaftlern sollte in öffentlichen Debatten nicht im Mittelpunkt stehen. Dennoch würde er, sollte die Covid-19-Studie ergeben, dass zum Beispiel nur 5 von 1000 Kindern infiziert wurden, der Politik raten, die Schulen offen zu lassen. Die negativen Folgen für arme Kinder seien zu hoch.

Will harte Fakten liefern: Wieland Kiess, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Uniklinikums LeipzigBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Sein Rat kommt nicht von irgendwoher. Kiess betreut auch die sogenannte "Life-Child-Studie" über die Lebensqualität von 5000 Kindern in Sachsen. Ein aktuelles Ergebnis daraus zeige, so Kiess, dass die Situation in sozial schwachen Familien in der Pandemie schlechter geworden sei. "Kinder ohne Garten, die zum Beispiel mit einer alleinerziehenden Mutter in einer Ein-Zimmer-Wohnung leben, haben jetzt Probleme."

Wer trägt die Verantwortung?

Doch die Aussagen der Wissenschaftler haben eine begrenzte Aussagekraft. Auch seine Studie, so Berner, werde nur der Versuch sein, sich ein Bild zu machen. Wissenschaftler wollten keine Wahrheiten präsentieren, sondern überprüften Hypothesen. Das könne zu durchaus verschiedenen Ergebnissen führen. Und mehr noch: "Dass sich Schlussfolgerungen, die man heute zieht, morgen als falsch herausstellen und man dann andere zieht - das ist in der Wissenschaft im Grunde normal."

In der deutschen Öffentlichkeit werde gerade einiges missverstanden oder laufe schief, kritisiert Berner. "Studien werden für die politische Meinungsbildung genutzt, wie sie gerade gebraucht werden."

Neue Regeln: Corona-Schutzmaßnahmen an einer Schule in DresdenBild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Andererseits seien auch eigene Fehler gemacht worden. Studienergebnisse über Twitter an die Öffentlichkeit zu bringen, die noch gar nicht fertig geprüft seien, sei falsch. So geschehen bei Christian Drosten, dem Chef der Virologie an der Berliner Charité. Auch Kiess kritisiert manche seiner Kollegen für ihre Art, wissenschaftliche Ergebnisse zu Glaubensfragen zu erklären und ihre beratende Rolle aus den Augen zu verlieren.

Für die Politik ist das keine einfache Situation. Sie ist einerseits auf die Erkenntnisse der Wissenschaft angewiesen. Doch die Entscheidungen erfolgen auf unsicherer Basis. Auf den Punkt brachte das Dilemma jüngst der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz in einem Fernsehinterview. Jeder Wissenschaftler würde ihm etwas anderes raten. Er als Politiker müsse trotzdem "richtige Entscheidungen" treffen.

Weniger Fälle trotz Lockerungen

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