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Neue Erkenntnisse in Cannabis-Betrugsfall

3. Dezember 2024

Vor anderthalb Jahren hatte die DW über einen internationalen Betrugsfall mit medizinischem Cannabis berichtet. Mehrere europäische Medien haben den Millionenbetrug nun erneut untersucht. Was haben sie herausgefunden?

Screenshot Website JuicyFields - Maskierte Männer
Maskierte Männer mit Joints melden sich Ende 2022 in einem Video auf der Webseite von JuicyFields zu Wort, mit verstellten StimmenBild: JuicyFields

Ein Schaden in Höhe von 645 Millionen Euro, Hunderttausende Geschädigte und die Drahtzieher auf der Flucht. Das ist die Geschichte von JuicyFields, einem Berliner Start-up, das zwischen 2020 und 2022 ein internationales Schneeballsystem aufgesetzt hat. 

Die Betreiber hatten den Anlegern versprochen, medizinisches Cannabis anzubauen und sie an den Gewinnen zu beteiligen. Doch tatsächlich gab es kaum Pflanzen. Stattdessen nutzten die Drahtzieher die Gelder neuer Kunden, um vermeintliche Gewinne an ältere Anleger auszuzahlen.

Die DW hat den Betrugsfall in einem achtteiligen investigativen Podcast namens Cannabis Cowboysaufgearbeitet. Die Serie wurde auf Deutsch und Englischproduziert und mehrfach ausgezeichnet.

Im April 2024 haben europäische Polizeibeamte dann bei einem internationalen Großeinsatz mit mehr als 400 Beamten mehrere Personen verhaftet, die mit JuicyFields in Verbindung standen.

Journalisten aus mehreren europäischen Ländern haben jetzt nachgelegt und den Fall unter die Lupe genommen - darunter in Dänemark der TV- und Radiosender DR, in Schweden die Zeitung Svenska Dagbladet, in Österreich die Zeitung Der Standard und in Deutschland das Magazin Der Spiegel, die Internetpublikation Correctiv.org und der TV-Sender ZDF.

E-Mails aus dem Gefängnis

Die Recherchen haben im Kern die Ergebnisse des DW-Podcasts zu den Drahtziehern von JuicyFields bestätigt und liefern außerdem neue Details.

Kevin Shakir von Danmark Radio hat dem mutmaßlichen Boss von JuicyFields viel Recherchezeit gewidmet. Der Russe namens Sergej B. wurde im April auf der Dominikanischen Republik festgenommen, in Spanien soll ihm der Prozess gemacht werden. Ihm hat Shakir einen fünfteiligen Podcast gewidmet: "Das Phantom aus Russland".

Folge 8 - Potemkinsche Dörfer

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Shakir hat herausgefunden, dass das Umfeld von Sergej B. schon vor JuicyFields zwei große Betrugsfälle organisiert hat. Einmal ging es um Müll-Recycling, das andere Mal um eine Kryptowährung. Jedes Mal verloren Investoren viel Geld.

"Hier ist einer in der Lage, große Projekte durchzuziehen und doch immer wieder zu verschwinden", sagt Shakir im DW-Gespräch. Auch sei Sergej B. in der Lage gewesen, auf ausgeklügelte Weise große Geldmengen in Kryptowährungen zu bewegen. "Deshalb stellt sich die Frage: Ist dieser Typ wirklich ein Einzeltäter? Oder ist er Teil von etwas Größerem?"

Im Auftrag des Kreml?

War Sergej B. also im Auftrag des Kreml tätig, sozusagen für Wladimir Putin? War JuicyFields ein Projekt, von dem der russische Staat profitiert hat? Auch in Cannabis Cowboys wurde die Frage nach möglichen Hintermännern in Russland gestellt, leider ohne befriedigende Antwort.

Gabriela Keller vom Investigativ-Portal Correctiv.org hat diese Frage genauer untersucht. Die Recherchen haben zwar keine 100-prozentigen Beweise für diese These erbracht, sagt Keller. Doch gebe es eine Reihe von Erkenntnissen, die einen Zusammenhang nahelegen. 

Als Beispiel nennt Keller die Geschichte von Vitaly M., der unter dem Decknamen Wassily Kandisky zur Führungsriege von JuicyFields gehörte. Bei ihrer international koordinierten Razzia im April dieses Jahres wollte ihn die Polizei eigentlich verhaften, traf ihn unter seiner Meldeadresse aber nicht an.

Gemeldet war Vitaly M. im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin. Diese Einrichtung ist so etwas wie die offizielle Kulturbotschaft des russischen Staates in der deutschen Hauptstadt.

Für Keller deutet das darauf hin, dass Vitaly M. dort Helfer gehabt haben könnte. "Denn irgendwoher musste er ja eine Bestätigung oder eine Mietvertrag haben. Die braucht man, wenn man im Einwohnermeldeamt eine Meldeadresse angibt."

Das Russische Haus habe auf ihre Anfrage aber jegliche Verantwortung zurückgewiesen und gesagt, Vitaly M. müsse Dokumente gefälscht oder falsche Angaben gemacht haben, so Keller zur DW.

Hier war Vitaly M. gemeldet - das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in BerlinBild: Schoening/imageBROKER/picture alliance

Heute lebt Vitaly M. wieder im für ihn sicheren Russland. Auch dort gibt es laut Gabriela Keller Hinweise auf eine Nähe zur Politik: "Er hat kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine Drohnenfabrik gegründet. Auf der Webseite ist aktuell das Wappen des russischen Verteidigungsministeriums abgebildet, dazu in großen Buchstaben: 'Der Sieg wird unser sein'."

Der falsche Elitesoldat

Schillernde Details rund um einen schwedischen Anwalt haben die Journalisten Frida Svensson und Erik Wisterberg recherchiert, Investigativreporter bei der schwedischen Zeitung Svenska Dagladet. Das Ergebnis ist als vierteiliger Podcast  "Der Retter" auf Schwedisch zu hören. Eine Zusammenfassung auf Englisch gibt es hier.

Der Anwalt Lars Olofsson hatte versprochen, betrogenen Anlegern helfen zu wollen. Mit innovativen Sammelklagen wollte er nicht gegen die eigentlichen Täter vorgehen, sondern all jene, die das Betrugssystem möglich gemacht haben. Dazu zählte er Facebook, wo JuicyFields geworben hatte, und Banken, die das Geld der Anleger an die Cannabis-Plattform überwiesen haben.

Um Teil der Sammelklage zu werden, mussten betrogene Anleger eine Gebühr von anfangs 100, später 150 Euro an Olofsson zahlen. Mehrere tausend Opfer machten mit und zahlten.

Die Recherchen der schwedischen Investigativreporter ergaben nun, dass Teile von Olofsson Lebenslauf nicht der Wahrheit entsprechen.

"Er stellt sich als Super-Anwalt dar, mit 15 Jahren Erfahrung beim Aufdecken internationaler Betrugsfälle. Er sagt, er sei ein ehemaliger Elitesoldat und habe für den schwedischen Militärgeheimdienst gearbeitet", sagt Erik Wisterberg im DW-Gespräch. "Aber nichts von all dem ist wahr."

"In Wirklichkeit hat er eine Zeit im Gefängnis verbracht wegen wirtschaftlicher Vergehen. Auch in diesem Jahr stand er wieder vor Gericht. Seinen Klienten hat er davon aber nichts erzählt", so Wisterberg.

Der schwedische Anwalt Lars Olofsson im Gespräch mit der DW Anfang 2023Bild: DW

Die beiden Reporter haben den Anwalt mit ihren Ergebnissen konfrontiert. Wegen der Schwere der Vorwürfe hat auch die DW nochmals bei Lars Olofsson nachgefragt. Er ging aber nicht auf die angesprochenen Punkte und die Fragen ein. Stattdessen schrieb er, dass Journalisten nicht zu trauen sei.

Die Verfahren, die Olofsson in Sachen JuicyFields angestrengt hatte, sind im Sande verlaufen. Sie wurden von Gerichten abgewiesen, Olofssons Widersprüche blieben erfolglos.

Im Podcast der schwedischen Journalisten wird Olofsson als ein Glücksritter geschildert, der hofft, vom JuicyFields-Betrug selbst zu profitieren, u.a. durch die Teilnahmegebühren für seine Sammelklagen: "Die Opfer wurden einst von JuicyFields betrogen. Und jetzt sieht es danach aus, als würden sie erneut getäuscht", so Investigativ-Reporter Wisterberg.

Gegen die Festgenommenen ermitteln derzeit die Behörden in Berlin, Madrid und anderen Ländern. Anklage wurde bisher noch nicht erhoben.

 

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
Nicolas Martin Redakteur mit Blick auf Weltwirtschaft, Globalisierung und Organisierte Kriminalität.@nico_martin
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