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Politik

Neue Frontbildungen in Nahost?

8. Juni 2017

Der Iran beschuldigt Saudi Arabien, für den Doppelanschlag in Teheran verantwortlich zu sein. Tatsächlich fügen sich die Attentate in die Logik der jüngsten Entwicklungen in der Region, sagt Iran-Experte Bahman Nirumand.

Iran Angriff auf das Parlament in Teheran
Bild: picture-alliance/abaca/Fars/Vahabzadeh

DW: Herr Nirumand, am Mittwoch kam es im Iran zu den schwersten Anschlägen seit Jahren, offenbar ausgeführt von Anhängern des Islamischen Staates. Was ist noch über die Attentäter bekannt?

Bahman Nirumand: Über die Attentäter ist wenig bekannt. Sie haben Arabisch gesprochen, aber Iran behauptet, dass es sich um iranische Staatsbürger handelt. Was tatsächlich zutrifft, weiß man noch nicht. Jedenfalls steht das ganze Land unter Schock. Die iranische Führung rühmte sich lange damit, dass der Iran eine Insel der Ruhe und Stabilität sei, und dann geschah dieser Doppelanschlag gegen ganz sensible Ziele. Wenn schon das Parlament nicht geschützt wird, wenn da vier Attentäter mit Bomben und Maschinengewehren hineinmarschieren können, und das gleiche auch am gut bewachten Mausoleum passiert, dann ist das schon ein Hammer für das ganze Bild, dass die iranische Staatsführung vom Iran als sicheres Land suggeriert.

Besonders symbolträchtiges Anschlagsziel: das Khomeini-Mausoleum südlich von TeheranBild: Reuters/TIMA

Das ganze sieht nach einem sehr koordinierten und sorgfältig geplanten Anschlag aus. Gedroht hatte der IS Teheran ja schon lange, bislang hatte er aber noch keine derartigen Aktionen im Iran selbst durchführen können. Warum eigentlich nicht?

Ayatollah Chamenei behauptet, dass der IS sich bislang nicht in den Iran gewagt hat, sei dadurch begründet, dass der Iran in Syrien und im Irak den Kampf gegen den Terrorismus führt. Die Iraner haben ja immer wieder damit gedroht, anzugreifen, sobald der IS sich der iranischen Grenze auf weniger als 30 bis 40 km annähert. Die Präsenz der iranischen Kräfte im Irak und in Syrien soll verhindert haben, dass der IS im Iran selbst Fuß fasst. Dennoch gab es in der jüngsten Vergangenheit im Iran immer wieder Meldungen von Festnahmen potentieller Täter, die dem IS zugerechnet wurden.

Im Iran wurden schon gestern Stimmen laut, die behaupten, dass der eigentliche Drahtzieher der Anschläge Saudi-Arabien sei. Was ist von diesen Vorwürfen zu halten?

Iran-Experte Bahman NirumandBild: picture-alliance/dpa-Zentralbild

Ich bin mir auch nicht hundertprozentig sicher, dass das Attentat vom IS geplant worden ist. Natürlich behauptet das der IS, aber inwieweit das belastbar ist, weiß ich nicht. Ich denke, die Ereignisse der letzten Wochen stehen irgendwie auch im Zusammenhang mit den Attentaten im Iran. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten in Saudi Arabien, die Frontbildung gegen Iran, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen einiger arabischer Staaten zu Katar, die Annäherung Katars an Iran, das alles hat miteinander zu tun. Inwieweit jetzt Saudi Arabien hinter diesen Anschlägen steckt, darüber gibt es keine Informationen. Aber Saudi Arabiens Außenminister hat erst vor einigen Tagen erklärt, sein Land werde nicht zulassen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Iran auf arabischem Territorium stattfindet. Sollte es zum Krieg kommen, sollte dieser auf iranischem Territorium geschehen. Wenn man das alles in Betracht zieht, dann reiht sich der jetzige Doppelanschlag in Teheran doch gut in diese ganze Logik der Ereignisse der letzten Tage ein.  

Sie sehen also eine große Gefahr, dass sich die Spannungen zwischen Iran und Saudi Arabien weiter verschärfen?

Wollen den Iran isolieren: Saudi Arabiens König Salman und US-Präsident TrumpBild: Imago/ZUMA Press/S. Craighead

Ja, vor allem denke ich, dass diese Ereignisse die Machtkonstellation in der ganzen Region ändern werden. Man weiß noch nicht, ob Katar unter dem Druck der arabischen Staaten einknickt oder sich erst recht weiter an den Iran annähert. Man weiß auch noch nicht, wie die Türkei sich da verhalten wird. Jedenfalls hat das türkische Parlament beschlossen, den türkischen Stützpunkt in Katar auszuweiten. Wir wissen, dass die Türkei und Katar unter anderem die oppositionelle Muslimbruderschaft in Ägypten unterstützen. Zusammen mit der Annäherung der Türkei an Russland könnte das alles zu einer neuen Frontbildung führen: Auf der einen Seite Iran, Katar, Türkei, Russland, Irak und Libanon, auf der anderen Seite Saudi Arabien, die übrigen Golfstaaten, Ägypten und die USA. Es ist sehr viel in Bewegung, und ich fürchte, dass die Verhältnisse sich in den nächsten Wochen und Monaten verschärfen werden. Saudi Arabien scheint fest entschlossen zu sein, Irans Einfluss zu unterbinden, und die USA stehen dahinter. Trump hat das offen erklärt und dazu aufgerufen, eine Front gegen den Iran zu bilden. Man denkt bereits an die Gründung einer arabischen NATO. All dies scheint kein optimistisches Bild auf die Zukunft zu werfen.

Wir laufen also sehenden Auges auf eine weitere Eskalation in der Region zu?

Ja. Einzig die EU könnte versuchen, dort zu vermitteln, aber die europäischen Staaten haben keine einheitliche Außenpolitik. Und andere Mächte sind dazu nicht in der Lage, die USA nicht, Russland nicht, und China hält sich weitgehend raus. Es sieht also nicht gut aus.

Bahman Nirumand ist Publizist iranischer Herkunft und lebt in Berlin.

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
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