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Politik

Neue Heimat für Boko-Haram-Flüchtlinge

Andrea Stäritz
27. Juni 2017

Die Handelsstadt Mubi im Nordosten Nigerias hat 100.000 Vertriebene aufgenommen. Die Wirtschaft brummt, jede Arbeitskraft wird gebraucht. Aber unter der Oberfläche herrschen Unsicherheit und Misstrauen.

Mubi, Nigeria, Markt Mubi
Bild: DW/A. Staeritz

Die Stadt Mubi liegt strategisch gut platziert am Fluss Yedseram, zehn Kilometer von der Grenze zu Kamerun entfernt. Die Stadt strotzt vor Energie und Aktivität: Die alte Handelsmetropole im Nordosten Nigerias ist eine der drei Städte Nigerias mit dem größten Wirtschaftswachstum. Im Oktober 2014 wurde die 200.000-Einwohner-Stadt von Boko Haram überrannt, vierzig Tage später hatte das nigerianische Militär die Stadt wieder befreit. Die Bewohner kehrten zurück und viele öffneten Flüchtlingen ihre Häuser als Zufluchtsstätte. Gut 100.000 Menschen aus dem nördlich gelegenen Bundesstaat Borno und den Gemeinden im Sambisi-Wald haben in der Stadt eine neue Heimat gefunden.

An der Ausfallstraße nach Kamerun brummen LKWS, es reihen sich kleine Läden an Mini-Betriebe. Algoni Ibrahim, 23 Jahre alt, kommt ursprünglich aus Banki, rund 200 Kilometer nördlich von Mubi. Als Boko Haram vor drei Jahren die Grenzstadt besetzte, lief er um sein Leben, über die Grenze nach Kamerun. Nach zwei Jahren im Flüchtlingslager hörte er von der Chance, in Mubi Arbeit zu finden, und kehrte zurück nach Nigeria. Ein halbes Jahr lang verdingte sich der stille junge Mann als Tagelöhner: Wasserkanister tragen, LKWs beladen. Er schlief auf der Straße und wurde fünfmal verhaftet, weil die Polizei ihn verdächtigte, ein Boko-Haram-Kämpfer zu sein.

Der Flüchtling Algoni Ibrahim hat einen Job als Schneider gefundenBild: DW/A. Staeritz

Inzwischen arbeitet Ibrahim als Schneider. Mit dem zehnfachen Entgelt eines Tagelöhners kann er nun sogar seine Familie im Lager für Binnenvertriebene in Maiduguri unterstützen. "Man muss etwas können, ein Handwerk, dann kann man Arbeit finden", rät er mit ernster Miene.

Zurück nach Hause - wenn es nur irgendwie geht

Ein wenig weiter an der Straße in Richtung Kamerun befindet sich eine stillgelegte Ziegelfabrik. Auf dem Gelände ist das Transitlager Mubi untergebracht. Die Männer schlafen in der Produktionshalle, für Frauen und Kinder gibt es fünf Hütten aus Plastikplanen. Eigentlich hätte das Lager längst geschlossen werden sollen, aber nun sollen 80.000 nigerianische Boko-Haram-Flüchtlinge, die in Kamerun Zuflucht gefunden hatten, über dieses Transitlager repatriiert werden. Nigeria, Kamerun und der UNHCR haben sich im März auf die Rückführung geeinigt. Auf dem Nachbargrundstück werden nun weitere Hütten errichtet. Das Lager macht einen verlassenen Eindruck. Die meisten der hier registrierten Flüchtlinge haben in Mubi Arbeit gefunden und wohnen bei Verwandten oder bei Familien, die bereitwillig ihre Türen geöffnet haben. In den Dörfern rund um Mubi haben die Chiefs Land für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt - die beste Möglichkeit, eine neue Existenz aufzubauen. Auch viele Geschäftsleute haben Land an Flüchtlinge vergeben.

Safratu Ayuba, Sprecher der Flüchtlinge im Transitlager von MubiBild: DW/A. Staeritz

"Wenn es die Sicherheitslage erlaubt, wollen alle Flüchtlinge sofort in ihre Heimatdörfer zurück", sagt Safratu Ayuba, Sprecher der Flüchtlinge im Transitlager. Viele Lager-Bewohner fahren früh morgens auf ihre Felder in den Heimatkommunen und kehren vor Einbruch der Dunkelheit nach Mubi zurück. Das Camp wird vom Militär verwaltet und beschützt. Noch immer kommen Flüchtlinge von der Front, keine 50 Kilometer von Mubi entfernt. Diese Front, an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Borno und Adamawa, hindert auch Mohamed Buba Hakim Major an der Heimkehr. Er war vor Boko Haram nach Kamerun geflohen; erst vor wenigen Tagen ist er zusammen mit rund 130 weiteren Flüchtlingen zurück nach Nigeria gekommen. "Alle wollen heimkehren", sagt auch der 36-jährige Verwaltungsangestellte aus dem rund 300 Kilometer von Mubi entfernten Ngala. Nach dem Ende des Ramadan, so habe das Militär versprochen, seien die Straßen gesichert und man werde einen Transport organisieren.

Wettbewerb und Inflation erschwert das Leben in Mubi

Im Zentrum der Stadt befindet sich im ersten Stock eines Geschäftshauses das Büro der örtlichen Handelskammer. Der Vorsitzende Abdulkadir Musa schwärmt: "Das Geschäft läuft besser als vor der Übernahme der Stadt durch Boko Haram." Jede Hand werde gebraucht. Mubi wächst mit ungeheurer Geschwindigkeit, denn die Geschäftsleute aus den nördlich gelegenen Distrikten Gwoza, Bama und Maidagali haben aufgrund der schwierigen Sicherheitslage im Norden ihren Sitz nach Mubi verlegt. Bis heute sind die Straßen dorthin nicht sicher. Mubi hingegen verfügt über eine sichere Strecke nach Kamerun und in den Süden. Auch die Tausende, die vor Boko Haram nach Kamerun geflohen waren und nun nach Nigeria zurückkommen, werde man ohne Probleme integrieren, ist sich Musa sicher.

In Mubi haben viele Flüchtlinge aus anderen Teilen des Nordens Arbeit gefunden. Dennoch wollen sie so bald wie möglich zurück in ihre HeimatBild: DW/A. Staeritz

Ein wenig nüchterner sieht es der lokale Verwaltungschef, Kabiru Buba Isa: "Es gibt einen wirtschaftlichen Aufschwung, es gibt höhere Profite, aber gleichzeitig ist die Konkurrenz massiv angestiegen. Es ist ein Überleben der Stärkeren. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer." Die Inflation fresse die höheren Gewinne auf, so Isa. Wegen der erhöhten Nachfrage nach Wohnraum durch die Flüchtlinge stiegen die Mieten. Die staatliche Katastrophenhilfe und internationale Hilfsorganisation würden die Märkte für ihre humanitäre Hilfe leerkaufen. Das Ergebnis: steigende Preise für Grundnahrungsmittel. Viele Geschäftsleute hätten immer noch nicht die Verluste durch die Plünderungen von Boko Haram wettgemacht.

Sicherheit über alles

Im Büro der Handelskammer von Mubi stellt sich auch der Repräsentant des Emirs ein. Danladi Abubakar ist der Mediator des Marktes, er kennt jeden und weiß rechtzeitig Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Abubakar sieht sich als Friedensgarant: Er kümmere sich nicht um Konflikte, sondern um den Frieden, sagt er: "Wir haben gelernt, dass Sicherheit nicht ausschließlich Sache des Militärs ist. Alle hier auf dem Markt müssen zum Hüter des Friedens werden, zum Hüter ihrer Nachbarn." Die Bevölkerung von Mubi hat Angst, dass mit den Flüchtlingen auch Boko-Haram-Kämpfer in die Stadt kommen. Jeder Neuankömmling werde genau beobachtet, erzählt Abubakar. "Wenn er in Frieden kommt, ist er willkommen. Wenn etwas merkwürdig ist, befragen wir ihn und schalten, wenn nötig, das Militär ein."

Wer als Flüchtling ins Transitlager oder in andere Teile der Stadt kommt, wird genau beobachtetBild: DW/A. Staeritz

In Nigeria haben Städte und Bundesstaaten immer ein Motto - Mubi ist die Stadt des Friedens. Die Hälfte der Bevölkerung ist christlich, die andere Hälfte muslimisch.

Gleich hinter dem Gefängnis, das von Boko Haram zerbombt wurde, aber bereits neue Mauern hat, wohnt Pastor Dean Harrison. Er schwärmt von den Zeiten, als die Menschen in Mubi in Frieden lebten: "Wir haben das Ende des Ramadans zusammen gefeiert, wir haben Weihnachten zusammen gefeiert. Selbst um Mitternacht haben wir noch Gäste aller Religionen empfangen." Seit dem Überfall von Boko Haram herrsche Misstrauen, jeder verdächtige jeden.

Harrison engagiert sich im interreligiösen Rat. Seit der Rückkehr der Bewohner vor anderthalb Jahren gebe es fast jede Woche Versammlungen und Treffen. "Wir wissen, dass die Menschen schwer traumatisiert sind. Deswegen haben wir sehr viele Initiativen gestartet, dieses Trauma zu heilen." Denn, jenseits von Wirtschaftsaufschwung und Profiten, wünscht sich jeder in Mubi eigentlich nur Frieden und Sicherheit.

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