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PolitikNahost

Neue Hoffnung für Libyen?

14. Oktober 2020

Mehrere internationale Treffen sollen helfen, den Dauerkonflikt in Libyen zu lösen. Die Lage bleibt kompliziert. Doch einige neuere Entwicklungen scheinen auf mehr Kompromissbereitschaft bei den Akteuren hinzudeuten.

Konflikt in Libyen
Bild: Hamza Turkia/XinHua/dpa/picture-alliance

Nach fast zehn Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen im Inneren hat sich Libyen längst in eine Bühne vielfältig verflochtener Stellvertreterkonflikte verwandelt: Länder wie Russland, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate und die Türkei haben alle zugunsten eigener wirtschaftlicher oder machtpolitischer Interessen ihre Waffen oder Söldner im Land, die Einhegung des Konflikts erscheint dadurch besonders schwierig. Durch eine veränderte militärische Lage und aufkeimende Straßenproteste libyscher Bürger hat der Konflikt jedoch zuletzt eine neue Dynamik entwickelt. Politiker und Diplomaten aus unterschiedlichen Ländern sehen darin eine Chance und ringen in diesem Herbst auf einer ganzen Reihe von internationalen Konferenzen um das Schicksal des Landes.

Deutschlands Außenminister Heiko Maas in Libyen, August 2020Bild: Michael Fischer/dpa/picture-alliance

Positive Signale

Hoffnungsvolle Signale kommen dabei auch aus der deutschen Hauptstadt. Vor wenigen Tagen hatte dort ein virtuelles, international eher wenig beachtetes Folgetreffen zur großen Libyen-Konferenz vom Januar in Berlin stattgefunden. Nach diesem Folgetreffen zeigte sich Deutschlands Außenminister Heiko Maas zumindest verhalten optimistisch. Vieles, was bisher nicht denkbar gewesen sei, erscheine nun möglich, so Maas, dem vor allem daran gelegen ist, dass die verfeindeten libyschen Akteure von ihren auswärtigen Unterstützern keinen weiteren Waffen-Nachschub erhalten. Das bleibt trotz Sanktionsandrohungen wohl mit der schwierigste Knackpunkt. Doch auf einem anderen Gebiet meinte Maas durchaus Fortschritte erkennen zu können: Die Einigung auf eine neue Regierung in Libyen könne "eigentlich nur eine Frage von Wochen" sein, erklärte er. 

Auch aus dem ägyptischen Hurghada kommen positive Signale. Ende September fanden dort Gespräche statt, die eine sogenannte Versöhnungskonferenz später im Oktober in Kairo vorbereiten sollten. Viele Eingeladene aus den unterschiedlichsten Regionen Libyens hätten ihre Teilnahme bereits zugesagt, erklärte Hassan al-Mabrouk, Mitglied des Vorbereitungsausschusses. Ägypten ist als Vermittler jedoch nicht unumstritten. Als direkter Nachbar gehört das Land zwar einerseits zu den unmittelbar Betroffenen des Konflikts und ist naturgemäß an Stabilität interessiert. Kairo ist aber keineswegs neutral und hat in jüngerer Vergangenheit sogar mit einem militärischen Eingreifen zugunsten einer der zwei Konfliktparteien gedroht.

"Nicht mehr ganz so heiß"

Vor Ort scheinen die beiden miteinander um Vorherrschaft ringenden Regierungen - die offizielle Regierung unter Fajis al-Sarradsch in Tripolis und die Exilregierung in Tobruk im Osten des Landes unter Premier Abdullah Thani - nach monatelangem Kräftemessen nun zumindest bereit, miteinander zu sprechen. Thomas Claes, politischer Analyst und Leiter des Libyen-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis, beobachtet aktuell einen Rückgang der Spannungen vor Ort: "Der Konflikt wird nicht mehr ganz so heiß geführt. Allerdings geben die beiden Akteure einander weiterhin zu verstehen, dass sie militärisch noch präsent sind."

Proteste gegen die Regierenden auf beiden Seiten des Konflikts, September 2020Bild: Hakeam el-Yamany/AP Photo/Picture-alliance

Ein gewisser Druck kommt inzwischen jedoch auch aus der Bevölkerung - in Form von Protesten gegen Korruption und verschlechterte Lebensumstände sowohl im Westen wie im Osten des Landes. Dies zeige, dass die Libyer mit der Leistung beider rivalisierender Regierungen unzufrieden seien, konstatiert der Analyst.

Dialoge mit Zivilisten und Militärs

Genau dort will eine für Anfang November geplante Konferenz im UN-Rahmen in Tunesien ansetzen: Geladen sind neben den Politikern auch Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen, ausdifferenziert nach regionaler und sozialer Herkunft sowie der in Libyen traditionell mächtigen Stämme. Die starke Präsenz zivilgesellschaftlicher Akteure sei auch ein Wink in Richtung Milizen und bewaffneter Gruppen, meint Libyen-Experte Claes. Ob zivile Akteure aber wirklich stärkeren Einfluss erhalten werden, müsse sich erst zeigen.

Militärisch ausgelegt sind hingegen die ebenfalls von den UN ab 19. Oktober in Genf veranstalteten Gespräche der "5+5 Joint Military Commission". In diesem Format treffen sich jeweils fünf Vertreter der offiziellen Regierung unter Premier al-Sarradsch sowie der vom abtrünnigen General Chalifa Haftar geführten "Libyschen Nationalen Armee", die mit der Gegenregierung verbunden ist. Das Gremium war im Januar auf der Internationalen Libyen-Konferenz in Berlin geschaffen worden. Die UN fordern ein vollständiges Ende "aller militärischen Manöver".

In Verteidigungsstellung

Auch hier hegen Vermittler Hoffnungen. Grund dafür ist unter anderem, dass sich das Kriegsglück für General Chalifa Haftar zuletzt massiv gewendet hatte. Nachdem sein Vormarsch auf Tripolis mit  türkischer Militär-Unterstützung vor Wochen gestoppt worden war, haben sich seine Truppen nun in Verteidigungsstellung begeben. Dies schwäche Haftars Position enorm, meint Libyen-Experte Claes. Haftar riskiere, dass seine internationalen Unterstützer ihn fallen lassen. "Bislang versorgten sie ihn mit Geld und Waffen - beides verteilte er unter seinen Anhängern. Hat er aber nichts mehr zu verteilen, dürften sich nennenswerte Teile seiner libyschen Waffengenossen von ihm abwenden, denn sie halten ja nicht aus ideologischen, sondern aus machtpolitischen Gründen zusammen."

Verliert Haftar an Unterstützung?

Sollte Haftar an Einfluss verlieren, dürfte das auch Rückwirkungen auf Politik der übrigen beteiligten Staaten haben. In ihrem Kalkül spielt der umstrittene General, im Negativen wie im Positiven, bisher eine zentrale Rolle. Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate fürchten ein Erstarken der Muslimbrüder in der Region und sahen in Haftar bisher stets ein Bollwerk gegen eine solche Entwicklung. Die europäischen Staaten wiederum fürchten eine unkontrollierte Migration und insbesondere Frankreich auch eine Ausbreitung des Dschihadismus in Libyen wie weiter südlich in der Sahelzone. Vor allem deshalb hielt Frankreich bisher, anders als Italien und andere EU-Länder, ebenfalls eng Kontakt zu Haftar.

EU-Einsatz gegen Waffenschmuggel nach Libyen: Deutsche Soldaten kontrollieren ein Schiff aus den VAEBild: Bundeswehr/dpa/picture-alliance

Die Türkei - für viele Muslimbrüder durchaus ein Vorbild - unterstützt hingegen die Truppen der offiziellen Regierung unter Haftars Rivalen Fajis al-Sarradsch. Im Gegenzug hat Ankara ihm sein Einverständnis zur Revision der libysch-türkischen Seegrenzen im Mittelmeer abgerungen. Damit will die Türkei für sich selbst vor allem Nutzungsrechte für die gewaltigen Gasvorkommen im Mittelmeer durchsetzen. Die EU-Staaten sind jedoch strikt gegen diese Pläne. Zugleich bemühen sie sich, im Rahmen ihrer Mission zur Durchsetzung des Waffenembargos (IRINI) den Druck auf die unterschiedlichen Waffenexporteure zu erhöhen. 

Öl und Transparenz

Es bleibt also kompliziert. Dass in Libyen dennoch einiges in Bewegung kommt, deutet sich auch in der angekündigten Wiederaufnahme der Erdölförderung im Ölfeld Sharara im Südwesten Libyens an. Wegen Störmanövern hatte die Nationale Öl-Korporation die Anlage stillgelegt. Nach Verhandlungen sollen die Arbeiten auf dem Feld nun aber wieder unbehelligt vonstatten gehen können, teilte das Direktorium der Korporation mit.

Auf dem Ölfeld könnte sich im Kleinen zeigen, wie es mit Libyen insgesamt weiter gehen kann, so Thomas Claes von der Ebert-Stiftung. "Es kommt darauf an, dass das Öl durch einen Produzenten, die Nationale Öl-Korporation, gefördert und die Gewinne dann durch eine Institution, die Zentralbank, verwaltet werden. Nur so ist jene Transparenz gewährleistet, die auch der Grundstock für alles Weitere ist."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika