Neue Initiative gegen Antisemitismus in Deutschland
18. September 2025
Wenn Guy Katz in München am Morgen in seine Social-Media-Kanäle schaut, sieht er vor allem Hass-Mails, Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen. "Ich bin heute aufgewacht mit ungefähr 100 Hasskommentaren in den diversen sozialen Medien. Allein bei mir. Und was mache ich? Ich bin Jude und ich kämpfe gegen Antisemitismus", sagte Guy Katz, der eine Initiative gegen Antisemitismus gegründet hat bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Guy Katz lehrt als Professor internationales Management an der Münchner Hochschule für angewandte Wissenschaften.
Seit dem 7. Oktober 2023, als Terroristen der radikal-islamistischen Hamas Israel überfielen und Israel mit einer umfangreichen Militäraktion im Gazastreifen antwortete, ist der Antisemitismus in Deutschland stark angewachsen. Das belegen Polizeistatistiken und die Zahlen verschiedener Meldestellen zu antisemitischen Vorfällen, meinte der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Volker Beck während der virtuellen Pressekonferenz.
"Unser Land ist nicht mehr das Gleiche"
"Antisemitismus ist ein großes Problem aktuell. Wir haben nach dem 7. Oktober einen Tsunami des Antisemitismus in Deutschland, in Europa und weltweit erlebt. Im letzten Jahr sind die antisemitischen Straftaten um über 20 Prozent gestiegen, die Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt über 67 Prozent. Das zeigt, unser Land ist nicht mehr das Gleiche wie vor dem 7.10.", sagte Volker Beck, ehemals Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen.
Um diesen anwachsenden Antisemitismus einzudämmen hat Guy Katz zusammen mit der deutsch-israelischen Gesellschaft, jüdischen Gemeinden, einigen Prominenten und 200 weiteren Organisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Initiative "DACH gegen Hass" gegründet. Die Vereinigung startete am Mittwoch eine Online-Petition, mit der mindestens 100.000 Unterschriften eingesammelt werden sollen. Am 5. Oktober ist eine große Demonstration gegen Antisemitismus in München geplant. Gefordert werden in einem umfangreichen Fünf-Punkte-Plan unter anderem eine schärfere Gesetzgebung, bessere Bildung, mehr Schutz und Förderung jüdischer Einrichtungen.
Naher Osten als Vorwand für Judenhass
Schirmherrin der Initiative ist die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Die Welt sei seit dem 7. Oktober eine andere und das Leben für Juden habe sich radikal verändert. Eine Gleichsetzung deutscher Juden mit der aktuellen israelischen Regierung sei völlig falsch, sagte die 92 Jahre alte Schirmherrin. "Wir sehen uns heute einem Judenhass gegenüber, der die Lage im Nahen Osten nur als Anlass zur Eskalation nimmt. Als Ursache für den Hass ist er sich selbst genug. Viele interessieren sich auch gar nicht mehr dafür, was Israel tut oder lässt. Dabei wäre das im Zweifel der Gegenstand einer sachlichen politischen Kritik, wie es sie auch in Israel selbst gibt. Die Situation ist schließlich komplex."
Charlotte Knobloch rief alle Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf, die Online-Petition zu unterschreiben. Eine Mitstreiterin ist die prominente Schauspielerin Uschi Glas, die sich in München seit Jahren für jüdische Belange einsetzt. Sie beklagte, dass sich im Kultur- und Medienbetrieb viele Kolleginnen und Kollegen nicht kümmern würden. "Ich glaube, dass insgesamt die jungen Menschen überhaupt keine Ahnung haben. Da findet keine Aufklärung statt, da findet kein Gespräch statt, da werden nicht Perspektiven aufgemacht. Also ich bin ganz wirklich entsetzt und auch sehr, sehr traurig und ich muss einfach sagen, ich schäme mich für meine Deutschen mit."
Antisemitismus soll ins Strafrecht aufgenommen werden
Der Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und der Bundesbeauftragte für jüdisches Leben, Felix Klein, unterstützen die Initiative gegen Antisemitismus. Die Zeit schöner Reden sei aber vorbei, mahnte Volker Beck von der deutsch-israelischen Gesellschaft. "Die Politik, der Bundestag hat mehrmals in Resolutionen wichtige Punkte benannt, was zu tun wäre. Wir fordern jetzt, dass man Nägel mit Köpfen macht." Auf die Frage der DW, was konkret unternommen werde, sagte der Bundesbeauftragte Felix Klein, der Straftatbestand der Volksverhetzung könnte ausgeweitet werden. "Wir müssen unbedingt das Wort antisemitisch in das Gesetz reinschreiben, also die antisemitische Tatmotivation muss beschrieben werden. Das hat dann Signalwirkung für Polizei und Justiz." Extrem wichtig sei auch, den Aufruf zur Vernichtung fremder Staaten unter Strafe zu stellen. Außerdem müsse den Opfern antisemitischer Straftaten besser geholfen werden als bisher. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte sich in einer bewegenden Rede in einer Münchner Synagoge am Montag zu einer Gesetzesverschärfung verpflichtet.
Judenhass nicht ignorieren
Schauspielerin Uschi Glas rief dazu auf, Judenhass nicht zu ignorieren. Die gesellschaftliche Stimmung bei dieser Frage erinnert sie an die Jahre, bevor die Nazis 1933 die Macht ergriffen. "So hat es ja vor 1933 auch angefangen. Es hat ja so angefangen. Man hätte sehr viel tun können, unsere Familien, also unsere Großeltern oder Eltern, egal wie alt sie da waren, man hätte ja einschreiten können. Da musste man auch noch keinen großen Mut haben, aber nein, die Leute haben weggeschaut. Und jetzt ist es wieder so."
Die Präsidentin der jüdische Gemeinde in München, Charlotte Knobloch, Jahrgang 1932, überlebte als junges Mädchen das Nazi-Regime nur knapp. Sie zeigte sich vom zunehmenden Antisemitismus tief erschüttert. "Ich kann Ihnen sagen, es fällt mir sehr, sehr schwer, diese Themen hier an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn ich hab sie schon einmal erlebt."