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PolitikEuropa

Neue Jugendstudie untersucht die Generation Krise

Leonie von Hammerstein
7. Juli 2022

Ukraine-Krieg, Klimakrise, Corona: Wie geht's den jungen Menschen in Europa? Wie blicken sie auf ihre Zukunft? Und wie soll die EU mit den Krisen umgehen?

Auf einem gepflasterten Platz hilft eine junge Frau mit signalfarbener Schutzweste einer älteren Frau mit ihrem Koffer
Junge Europäer wollen helfen: Zwei Drittel sind für die Aufnahme von GeflüchtetenBild: Amy Katz/Zuma/picture alliance

Es sind Sommerferien in Gliwice, Polen. Aleksandra Piasecka, Lena Kubisa und Kinga Zuwała sind an die Ostsee gefahren, nach Gdánsk. Den Urlaub haben die drei Freundinnen schon seit einem halben Jahr geplant. Das war noch vor dem Krieg im Nachbarland Ukraine, der auch ihr Leben verändert hat.

"Ab und zu muss ich an den Krieg denken und krieg dann so etwas wie eine Panikattacke, weil er so nah ist. Ich habe das Gefühl, dass diese Angst nicht verschwinden wird, solange der Krieg nicht zu Ende ist", erzählt Kinga am Telefon.

Drei Freundinnen in Polen: Der Ukraine-Krieg hat auch ihr Leben beeinflusstBild: Aleksandra Piasecka

Bei Lenas Familie ist eine ukrainische Familie eingezogen, sieben Leute, manchmal ist noch eine achte Person da, in der Wohnung nebenan, die hat ihrer Großmutter gehört und stand zum Glück leer. "Klar, es ist eine große Veränderung. Aber natürlich ist es für die Familie eine noch viel größere Veränderung." Aleksandra, Kinga und Lena machen nächstes Jahr ihren Schulabschluss, sie sind 18 oder fast 18. Mit ihren Gefühlen zum Krieg sind sie nicht allein.

Mehr als 60 Prozent der jungen Europäerinnen und Europäer nehmen den Krieg in der Ukraine als Zeitenwende wahr. Das zeigen die Ergebnisse der repräsentativen Studie "Junges Europa" der TUI-Stiftung. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragte dazu im April 2022 mehr als 6200 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen.

Vor allem in Polen, Deutschland und Griechenland empfinden junge Menschen den Überfall Russlands auf die Ukraine als persönliche Bedrohung. Und: Junge Menschen zeigen, wie Lenas Familie, eine hohe Bereitschaft für humanitäre Hilfe wie die Aufnahme von Geflüchteten (68 Prozent).

"Früher, vor dem Krieg, haben die Älteren immer gesagt, ihr Teenager habt es doch so leicht. Aber jetzt hab ich das Gefühl, sie fühlen mehr Empathie für uns, dass wir in so schwierigen Umständen lernen müssen mit so vielen Stressfaktoren", erzählt Aleksandra. Der Ukraine-Krieg ist schließlich nicht die einzige Krise. Die größte Bedrohung, das zeigt die Studie, bleibt für junge Europäerinnen und Europäer der Klimawandel.

Trotz Krieg und Pandemie: Klimawandel bleibt Thema Nummer eins

"Der Klimawandel ist etwas, das uns als Menschen alle betrifft. Deshalb hoffe ich, dass wir alle aufwachen und anfangen, wirklich mehr zu tun" - Javier Fabra Rodriguez ist 25 Jahre alt, er wohnt in Cádiz und hat gerade seinen Master gemacht. Er will Geschichte unterrichten und wird sich jetzt auf das Examen vorbereiten, das man in Spanien absolvieren muss, um Lehrer zu werden.

Er beschreibt sich selbst als optimistischen Menschen: "Eigentlich finde ich immer das Positive." Javier sieht sich zuerst als Europäer und dann als Spanier. Er reist viel und gern in Europa, erzählt er, und er hat Freunde aus unterschiedlichen Ländern.

Javier - hier mit seiner Freundin in Rom - sieht sich erst als Europäer, dann als SpanierBild: Javier Fabra Rodriguez

Wenn er jetzt mit seinen Freunden in der Bar sitze, dann würden sie vor allem darüber reden, dass sie Angst haben, keinen Job zu finden. Außerdem - immer öfter - über die Klimakrise: "Wir haben immer den großen Unternehmen die Schuld gegeben, dass sie sich nicht so sehr ums Klima kümmern. Und der Regierung, die sollte mehr tun. Aber irgendwann waren wir uns dann einig, dass jeder von uns auch mehr tun könnte fürs Klima, zum Beispiel kein Fleisch mehr essen, recyclen, nicht mehr so viel Auto fahren."

Das Europäische Parlament: Hier wird auch die Zukunft der Jungen entschiedenBild: Jean-Francois Badias/AP/dpa/picture alliance

Tatsächlich ist der Klimawandel wie bei Javier das Thema, für das junge Europäerinnen die höchste Bereitschaft haben, ihren eigenen Lebensstandard einzuschränken. Mehr als 60 Prozent wären dazu bereit. Und noch mehr, 69 Prozent, sehen eine hohe individuelle Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel. Vom Staat erwarten 58 Prozent zum Beispiel höhere Steuern, Regeln und Verbote.

Mehr als jeder Zweite findet, dass die EU-Länder den Kampf gegen den Klimawandel stärker gewichten sollten als die Energieunabhängigkeit. Dabei fällt auf, dass vor allem die südeuropäischen Staaten die Verantwortung bei der EU sehen und nicht nur bei ihren nationalen Regierungen.

Die Rolle der EU

"Europa ist für mich ein Ort, an dem ich meine Persönlichkeit und meine Träume entfalten und verwirklichen kann. Und an dem ich Rechte habe, das ist mir wichtig, auch wegen meines Hintergrunds." Daniela Cappuccio lacht. Sie wohnt gerade wieder in ihrem Heimatort im Nordwesten von Italien. Sie sei Halb-Kolumbianerin und habe daher schon immer verstanden, wie viele Rechte und Freiheiten ein europäischer Pass biete.

Daniela Cappuccio würde gerne eine EU mit mehr Befugnissen sehen Bild: privat

Die 25-Jährige hat gerade ihr Jura-Studium beendet, jetzt arbeitet sie und bereitet sich auf das Zulassungs-Examen vor, um Anwältin zu werden. Seit vielen Jahren schon engagiert sie sich, hat Seminare gegeben in Schulen, um junge Menschen über die EU-Institutionen aufzuklären.

Für die Mehrheit (69 Prozent) der jungen Menschen, die in der TUI-Studie befragt wurden, ist die EU vor allem ein wirtschaftlicher Zusammenschluss, und ein Gebiet mit offenen Grenzen, in dem man frei reisen und arbeiten kann. Mit 62 Prozent folgt die Einschätzung, dass Europa ein Bündnis zur Friedenssicherung ist. Vor allem in Spanien und Italien wünschen sich junge Menschen eine stärkere Integration der EU-Mitgliedsländer in die EU.

"Ich habe das Gefühl, dass wir von der Europäischen Union erwarten, dass sie viele große Probleme löst", sagt Daniela: "Aber gleichzeitig wollen die nationalen Länder ihre Befugnisse nicht aufgeben. Deshalb hoffe ich, dass wir der Europäischen Union in Zukunft tatsächlich formale Befugnisse geben, um die Herausforderungen zu bewältigen."

Generation Kompromiss

Beim Umgang mit diesen Herausforderungen, so ermittelt es die Studie, setzen junge Menschen in Europa auf Pragmatismus. 71 Prozent stimmen beispielsweise der Aussage zu, dass es Kompromisse braucht, um Erfolge beim Klimaschutz zu erringen.

66 Prozent verstehen Maßnahmen gegen den Klimawandel als Sicherung künftiger Freiheit.  Wie schon vor dem Krieg in der Ukraine ist es jungen Leuten dabei wichtiger, den Klimawandel zu bekämpfen, als für mehr Wirtschaftswachstum zu sorgen.

Realismus zeigt sich auch in der Reaktion auf den Ukraine-Krieg. Politische Maßnahmen wie die Lieferung von Waffen (62) oder Wirtschaftssanktionen (45) finden größere Zustimmung als die Akzeptanz von höheren Kosten für Benzin (35), Lebensmittel (35) oder Energie (34).

In der Pandemie seien Jugendliche viel zu wenig beachtet worden, findet Kaussar WahizzadaBild: Kaussar Wahizzada

"Die Studienergebnisse zeigen eine Generation, die realistisch in der Analyse ist sowie konstruktiv und pragmatisch bei der Frage, wie die Zukunft gestaltet werden kann," kommentiert Thomas Ellerbeck, Vorsitzender der TUI Stiftung, die Ergebnisse der Jugendstudie.

Krieg, Klimakrise, Pandemie - und das Mitspracherecht?

Kaussar Wahazzidi ist 16 Jahre alt, sie ist Schülerin in Hamburg. "Sehr vielen Jugendlichen - was ich auch in meinem Umfeld mitbekommen habe - ging es während der Pandemie nicht gut. Bei mir war es nicht anders", sagt sie und erzählt davon, dass viele mit Depressionen zu kämpfen hatten, mit Selbstverletzung, Hoffnungslosigkeit.

Jugendliche haben unter der Pandemie besonders gelittenBild: Christoph Hardt/Geisler/picture alliance

Mehr als drei von fünf Befragten in Europa geben an, dass die Pandemie ihre psychische Gesundheit gefährdet hat. Auch auf den Optimismus der jungen Europäerinnen und Europäer scheint es sich ausgewirkt zu haben. Junge Europäerinnen und Europäer betrachten ihre eigene Zukunft pessimistischer als sie es in den vergangenen Jahren getan haben. Gab es Dankbarkeit der Älteren für die Einschränkungen in der Pandemie? Die habe sie nicht bemerkt, sagt Kaussar. Im Gegenteil: "Sie haben gesagt, wegen den Jugendlichen steigen die Zahlen."

Seit drei Monaten engagiert sich die Hamburger Schülerin bei der Jugendpartei der Sozialdemokraten. Am Herzen liegen ihr die Flüchtlingspolitik, Schulpolitik - und das Klima: "Wir Jugendlichen haben keinen, der für uns dort sagt: 'So fühlen sich die Jugendlichen.' Ich habe das Gefühl, dass die in der Politik Vermutungen aufstellen, wie sich die Jugendlichen fühlen müssen und dann über unseren Kopf hinweg entscheiden", sagt sie.

Europäisches Jahr der Jugend

Die EU scheint das Problem zumindest im Ansatz erkannt zu haben und hat 2022 zum "Europäischen Jahr der Jugend" ausgerufen. "Davon hab ich noch nichts gehört", sagt Aleksandra Piasecka, sie lacht: "Aber das ist ja cool."

Dann ergänzt sie: "Noch habe ich das Gefühl, die alten Leute in Polen werden von der Politik priorisiert, aber mit dem Krieg, der Klimakrise und all den anderen Krisen im Moment ändert sich das gerade. Noch ist der Wandel zu langsam, aber es tut sich was."

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