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PolitikÄthiopien

Neue Kämpfe in Äthiopien gefährden Friedensprozess

Martina Schwikowski
9. August 2023

Die tagelangen Kämpfe in Äthiopiens Amhara-Region sind vorerst beendet. Doch dass Milizen zwischenzeitlich wichtige Städte einnehmen konnten, bringt anhaltende Spannungen in dem Vielvölkerstaat zutage.

Protest held in areas where the Amhara and Tigray regions are in dispute (Foto: Tsegaye Eshete/DW)
Proteste in den Regionen Amhara und Tigray sorgen seit Monaten für UnruheBild: Tsegaye Eshete/DW

Gerade erst kommt Entwarnung aus der äthiopischen Amhara-Region. Die wichtigen Städte Gonder und Lalibela seien wieder unter Kontrolle, meldete am Mittwoch die Regierungsarmee in Übereinstimmung mit Anwohnern. Auch die nationale Fluggesellschaft Ethiopian Airlines kündigte an, Flüge in die Region wieder aufzunehmen.

Doch der Schrecken sitzt tief, nachdem die lokale Fano-Miliz in der vergangenen Woche mehrere Orte in der Region in Äthiopiens Nordwesten erobert hatte. "Die Menschen leiden", sagte ein Einwohner von Gonder noch kurz zuvor im DW-Interview, der die angespannte Lage in der näheren Umgebung schilderte. "Um Goha herum wird gekämpft, Kanonen und andere Waffen werden abgefeuert. Wir sitzen auf dem Boden oder auf Matratzen. Es ist nicht möglich, sich frei zu bewegen."

Angriffe auf Zivilisten

Auch in der Stadt Bahir Dar war es im Zuge der Kämpfe zwischen Milizen und Nationalarmee zu Angriffen und Einschüchterungen gekommen. "Sie haben die Menschen verängstigt, indem sie einen Panzer durch die Stadt gefahren haben", sagt ein Einwohner der DW. Das Haus eines Zivilisten sei beschossen, dessen Bewohner verletzt worden. Offizielle Zahlen zu zivilen Opfern gibt es nicht, doch die Nachrichtenagentur AFP spricht unter Berufung auf zwei Ärzte in der Region auf einige Tote und viele Verletzte.

Auch in Bahir Dar kämpfen Milizen gegen die Regierungsarmee. Die humanitäre Lage spitzt sich zu.Bild: Waghemra district Communication office

Bereits seit Monaten kommt es in dem Bundesstaat, der im Süden an Tigray grenzt, immer wieder zu Unruhen. Auslöser war eine Ankündigung der Bundesregierung in Addis Abeba im April, die Regionalarmeen der Bundesstaaten aufzulösen. Diese entsprechen im Wesentlichen den verschiedenen Ethnien Äthiopiens. Amhara-Nationalisten betrachteten die Ankündigung als Bedrohung und potenzielle Schwächung in Grenzstreitigkeiten mit dem benachbarten Tigray und griffen zu den Waffen. Am Freitag schließlich verhängte die Regierung von Premierminister Abiy Ahmed den Notstand: Die Sicherheitskrise verursache schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Schäden, hieß es in einer Erklärung.

Die Amhara-Miliz Fano und andere regionale Sicherheitskräfte hatten während des zweijährigen Bürgerkriegs in der benachbarten Region Tigray noch an der Seite der äthiopischen Regierung gekämpft. Die Fano war eine wichtige Verbündete der nationalen Streitkräfte gegen die Kämpfer der Tigray People's Liberation Front (TPLF).

Legitimationskrise der Amhara-Regierung

"Es hat sich so etwas wie eine Legitimationskrise der Amhara-Regionalregierung entwickelt", sagt Ahmed Soliman, Mitarbeiter der Londoner Denkfabrik Chatham House, im DW-Interview. Man habe das Gefühl, dass der Einfluss der politischen Vertretung der Amhara, der "Amhara Prosperity Party", in der eigenen Region schwächer geworden sei. Sicher auch, weil sie heute der Zentralregierung untergeordnet sei, so der Experte für das Horn von Afrika zur DW.

Zwischen 2020 und 2022 kämpften im Bürgerkrieg in Tigray viele Rebellen aufseiten der abtrünnigen TPLFBild: Ben Curtis/AP Photo/picture alliance

Doch diese Schwächung sei im Grunde ein Erbe der Ära vor Abiy Ahmed: Zwischen 1991 und 2018 regierte die EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker), die klar von der kleinen Tigray-Ethnie dominiert wurde. Mit Abiy kam 2018 erstmals ein Angehöriger der größten Bevölkerungsgruppe Äthiopiens, der Oromo, an die Macht - und begann einen Umbau, durch den die Tigrer ihren Einfluss auf Regierung und Militär verloren.

Interessenkonflikt - Auslöser für Gewalt

In der Amhara-Region herrscht laut Soliman die Meinung vor, dass es die Interessen der Oromo-Partei sind, die die Politik Äthiopiens unter Abiys Führung derzeit dominieren. Erst im vergangenen November war der zweijährige Bürgerkrieg beigelegt worden: Äthiopiens Regierung schloss mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) einen Friedensvertrag. Trotzdem halten die Amhara-Milizen weiterhin die Region West-Tigray besetzt, die von beiden Volksgruppen beansprucht wird.

Die äthiopische Regierung und die TPLF unterzeichneten im November 2022 in Pretoria ein FriedensabkommenBild: PHILL MAGAKOE/AFP/Getty Images

Laut Ahmed Soliman spielen Gefühle des Verrats und der Ungerechtigkeit bei diesem Konflikt nach wie vor eine Rolle. "Das Friedensabkommen war eher ein Abkommen zwischen der Bundesregierung und der TPLF auf tigrischer Seite, ohne Rücksicht auf die Interessen der Amhara-Region, obwohl diese eng in den Krieg verwickelt war und natürlich die Nachbarregion ist", so Solimans Einordnung. Das habe zu weiteren Missständen geführt. 

Die Auflösung der Regionalarmeen sei problematisch: "Dies wurde als Angriff auf die regionale Autonomie und als Versuch gesehen, ihre Fähigkeit zur Selbstverteidigung zu beschneiden", bilanziert Soliman. "Viele der Spezialkräfte in der Amhara-Region haben entweder ihre Posten verlassen oder sich der Amhara-Fano-Miliz angeschlossen. Dies hat zu einer zunehmenden Instabilität geführt."

Friedensprozess in Gefahr

Experten sehen den nationalen Friedensprozess nach Kriegsende in Äthiopien in Gefahr. In verschiedenen Landesteilen war es zuletzt zu bewaffneten Zusammenstößen gekommen, auch in der Oromia-Region hatte es dabei Tote gegeben. "Man kann den Frieden in Tigray nicht wirklich umsetzen, wenn die Nachbarregion nicht auch stabil ist", sagt Soliman. "Es besteht also die große Sorge, dass dies einen Dominoeffekt haben wird. Wir stellen fest, dass Milizen einen erheblichen Einfluss auf die Sicherheitslage haben, die die Bundesregierung zuerst in Oromia und jetzt in der Amhara-Region anfechten."

Das habe besorgniserregende Auswirkungen auf die künftige Regierungsführung und Stabilität Äthiopiens. Soliman: "Die Regierung wird nicht in einen Langzeitkonflikt in der Amhara-Region geraten wollen."

Mitarbeit: Solomon Muchie