Neue Töne beim Klavier-Festival Ruhr
18. Juni 2015Seine Finger wirbeln über die Tasten, von den Tiefen in die Höhen, durch sämtliche Tonarten. Nur wenn der Spannungsbogen fast unerträglich scheint, hält es auch Joseph Moog beim erlösenden Schlussakkord für einen kurzen Moment nicht mehr auf seinem Klavierhocker. Der 28-jährige wirkt gefasst und kontrolliert, begeistert aber durch sein höchst virtuoses Spiel. Das sei eben seine Natur, sagt er bescheiden: "Ich bin eher ein ruhiger Spieler. Das heißt aber nicht, dass ich nicht aufgewühlt wäre. Es ist eine große Herausforderung, Emotionen so zu kontrollieren, dass sie einen nicht raus bringen und vom Spielen abhalten."
Beim Klavierkonzert in fis-Moll des russischen Komponisten Alexander Skrjabin ist das nicht ganz einfach. Der Orchesterklang ist eng mit dem Klavierpart verwoben, das erfordert höchste Konzentration auf beiden Seiten. Das Stück steht selten auf den Spielplänen. Joseph Moog ahnt, warum: "Das Klavierkonzert wird oft von Pianisten und Dirigenten unterschätzt. Es ist romantisch inspiriert von Chopin und klingt unkomplizierter als es ist. Skrjabin wandert durch die Tonarten und nimmt keine Rücksicht darauf, ob es für den Pianisten bequem zu spielen ist."
Der Visionär Alexander Skrjabin
Zum 100. Todestag des Komponisten war das Klavierkonzert von Alexander Skrjabin einer der Höhepunkte beim Klavier-Festival Ruhr. Aufgeführt wurde es von den Bochumer Symphonikern unter Leitung von Steven Sloane, Generalmusikdirektor in Bochum. Das Orchester spielte auch "Le Poème de l´Extase", ein vielschichtiges sinfonisches Spätwerk des Komponisten. In seiner späten Schaffensphase, Anfang des 20. Jahrhunderts, löste sich Skrjabin von den Tonarten und schichtete Motive übereinander um einen mystischen Klang zu erzeugen.
Dieser Klang sollte alle Sinne ansprechen. Alexander Skrjabin schwebte ein Gesamtkunstwerk aus Klängen, Worten, Farben, Gerüchen und Bewegungen vor. Dirigent Steven Sloane bedauert, dass der Visionär nicht öfter auf den Spielplänen steht: "Man kann sagen, dass Skrjabin einer der ersten war, der multimedial gedacht hat. Würde er heute leben, wäre er fasziniert von Film, Licht und all den neuen Technologien." Das ist einer der Gründe, warum Skrjabin gerade in der heutigen Zeit wieder junge Pianisten wie Joseph Moog begeistert.
Dem Nachwuchs eine Chance
Seltene Werke, innovative Orchester, junge Solisten: Franz Xaver Ohnesorg, Intendant des Klavier-Festivals, bringt sie zusammen. "Wir wollen mit gutem Beispiel voran gehen und Dinge tun, die andere nicht wagen", sagte Ohnesorg. Er hält ständig Ausschau nach jungen Pianisten, die unbekannte Literatur spielen, nicht zuletzt um sie auch beim eigenen CD-Label der Festspiele zu veröffentlichen.
Joseph Moog ist ihm bereits vor zwei Jahren aufgefallen. "Ich habe mir sehr interessiert einige Aufnahmen von ihm angehört und fand es außergewöhnlich, dass sich ein junger Mann mit so abgeschiedenem Repertoire beschäftigt." Die Raritäten der Klavierliteratur haben es Joseph Moog angetan. Er stöbert in Bibliotheken, sammelt Noten und alte Aufnahmen. "Das Klavierrepertoire ist eine riesige Fundgrube. Es gibt so viele tolle Werke, die nur deshalb nicht bekannt sind, weil wir so viele haben".
Junge Pianisten kommen auf Empfehlung
Das Klavier-Festival Ruhr zählt weltweit zu den bedeutendsten seiner Art. Jedes Jahr bereichern Starpianisten das Programm, wie in diesem Jahr etwa Lang Lang, Martha Argenich oder Daniel Barenboim. Von den etablierten Klaviervirtuosen kommen oft Empfehlungen für Nachwuchstalente.
So protegiert Martha Argenich den aufstrebenden russischen Pianisten Daniil Trifonov, der Kritiker mit seinem "teuflischen" virtuosen Spiel begeistert und der bei Deutschen Grammophon unter Vertrag steht. Auch Trifonov gehört zu den jungen experimentierfreudigen Pianisten und ist von der leidenschaftlichen mystischen Musik Skrjabins begeistert.
Ursprünglich aus Usbekistan kommt der Israeli Roman Rabinovich, der über den ungarischen Pianisten und Dirigenten András Schiff mit dem Klavier-Festival Ruhr verbunden ist. An ihm hätte auch Skrjabin seine Freude gehabt, denn ganz im Sinne der "Synthese der Künste" verbindet Rabinovich Klangfarben mit darstellender Kunst. Wenn er bei Konzerten auftritt, stellt er oft dazu seine eigenen Bilder aus.
Das Spiel an sich ist nicht alles
Neue Klänge und Ausdrucksformen suchen, eigene Interpretationen, Arrangements und Kompositionen: Die jungen Pianisten experimentieren gerne und loten ihre musikalischen Grenzen in vielerlei Hinsicht aus. "Die Pianisten sind heute offener und die Programme bunter", meint Joseph Moog. Es sei allgemein ein Trend, der auf das 19. Jahrhundert zurückgehe und wieder erlaube, Werke auch zu bearbeiten. "Anders als etwa vor zehn, zwanzig Jahren wird es lockerer gesehen, wenn man Akkorde verändert oder Harmonien einfügt."
Moog ist bereits für die nächste Saison gefragt. Im Herbst wird er bei der Meisterreihe des Concertgebouw-Orchesters Amsterdam auftreten. Für diese Saison kann er erst einmal entspannen. Wie? Ein Bonner Sammler hat einige seltene Partituren in Aussicht gestellt. Die will sich Moog in Ruhe anschauen. Vielleicht ist ja was für ihn dabei, das er bei einem der nächsten innovativen Konzerte aufführen kann.