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PolitikEuropa

"Schauen wir in die Zukunft"

Sinisa Bogdanic
5. August 2020

Zum ersten Mal wird in diesem Jahr ein Vertreter der serbischen Minderheit in Kroatien an der offiziellen Feier zum Jahrestag der Militäroperation "Sturm" teilnehmen.

Panzer der kroatischen Armee
Panzer der kroatischen ArmeeBild: DW/Sinisa Bogdanic

Der Vize-Premier Kroatiens, Boris Milošević von der Unabhängigen Demokratischen Serbischen Partei (SDSS), wird am 5. August an der Feier zum 25. Jahrestag der "Operation Sturm" in der dalmatischen Kleinstadt Knin dabei sein. Der kroatischen Veteranenminister Tomo Medved von der Regierungspartei HDZ (Kroatische Demokratische Union) soll am 24. oder 25. August ein Kranz zu Ehren der serbischen Opfer in der Ortschaft Grubori niederlegen.

Für diejenigen, die sich mit der kroatischen Innenpolitik nicht so gut auskennen, mögen diese zwei Informationen wie langweilige protokollarische Meldungen erscheinen. In Wirklichkeit handelt es sich aber um einen symbolischen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit des Adria-Landes, das seit 2013 Mitglied der Europäischen Union ist. Die Wende könnte im Idealfall dazu beitragen, dass die Spannungen zwischen der kroatischen Mehrheitsgesellschaft und der serbischen Minderheit in Kroatien endlich nachlassen.

Zwei Seiten, zwei Versionen der Geschichte

Für die Kroaten, vor allem für diejenigen, die Anfang der 90er Jahre aus der sogenannten "Republika Srpska Krajina" (von den serbischen Aufständischen kontrollierte kroatische Gebiete, proklamiert mit der Absicht einer späteren Angliederung an Serbien, Anm. d. Red.) vertrieben wurden, ist die Militäroperation "Sturm" die Krönung des Unabhängigkeitskrieges. Durch den militärischen Sieg der kroatischen Truppen wurde der "Kroatienkrieg" beendet. Dies war die entscheidende militärische Niederlage für das großserbische Projekt des damaligen Präsidenten Serbiens, Slobodan Milošević.

5. August 2015: Erinnerung an Operation "Sturm" in KninBild: picture-alliance/dpa/D. Kasap

Innerhalb von nur vier Tagen (4.-7. August 1995) wurde ein Drittel Kroatiens befreit. Bei dem Einsatz und im Anschluss an die Operation kam es allerdings zu Kriegsverbrechen an serbischen Zivilisten. Das UN-Tribunal in Den Haag hat später die beiden militärischen Befehlshaber der Operation "Sturm" angeklagt wegen Vertreibung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Generäle Anto Gotovina und Mladen Markač wurden später vom Haager Tribunal freigesprochen.

Für die serbische Bevölkerung in Kroatien, die im August 1995 vor der Offensive der kroatischen Armee floh, markiert die Operation "Sturm" das Ende ihres bis dahin einigermaßen normalen Lebens - und den Anfang der Fluchterfahrung, so wie bei den Hunderttausenden Bewohnern des ehemaligen Jugoslawiens. Wie viele serbische Zivilisten und Mitglieder der serbischen Paramilitärs damals flohen oder vertrieben wurden, weiß man immer noch nicht ganz genau. Die Schätzungen unterscheiden sich je nachdem, wer darüber spricht: die einen sagen etwa 90.000, die anderen bis zu 250.000 Menschen.

Nach dem militärischen Erfolg folgten aber Raubüberfälle, viele der serbischen Häuser wurden in Brand gesetzt. Die kroatische Politik, beziehungsweise die militärische Führung schafften es nicht, dies zu verhindern. Nach Angaben von Documenta (Zentrum für die Aufarbeitung der Vergangenheit) wurden während der Operation "Sturm" und in den 100 darauffolgenden Tagen mehrere Hundert serbische Zivilisten ermordet. Die Täter waren Mitglieder der kroatischen Armee, beziehungsweise bewaffnete Personen, die Uniformen des kroatischen Militärs bzw. der Polizei trugen. Helsinki Watch (eine amerikanische Menschenrechts-NGO) sprach von mindestens 410 zivilen Opfern. Etwa 22.000 Häuser wurden in Brand gesteckt. In der bereits erwähnten Ortschaft Grubori wurden sechs serbische Zivilisten ermordet, das älteste Opfer war 80 Jahre alt. Bislang wurde niemand für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.

Versöhnung zwischen Serben und Kroaten?

Die bisherigen kroatischen Präsidenten Stjepan Mesić, Ivo Josipović und Kolinda Grabar-Kitarović haben zwar mehrmals diese Verbrechen verurteilt, die kroatische Politik hat sich aber stets bemüht, diese Episode aus der neuesten Vergangenheit an den Rand zu drängen. Zur Versöhnung zwischen Kroaten und Serben waren auch die Signale aus Belgrad wenig hilfreich. Es scheint so, als ob für die dortige Führung die frühere großserbische Politik und die Verfolgung der Kroaten gar nicht existierten.

Die kroatische Rechte fordert daher schon seit Jahren, dass bei der zentralen Feier in Knin auch Milorad Pupovac (SDSS) anwesend sein sollte. Dies wäre doch so "heilsam für die Gesellschaft", behaupten die Rechten. Pupovac ist die zentrale politische Figur der serbischen Minderheit in Kroatien. Vertreter der Rechten bezeichnen ihn oft als den verlängerten Arm der Führung Serbiens in Kroatien. Seine Teilnahme an den Feierlichkeiten wäre somit die endgültige Erniedrigung des "Feindes", so die Motivation aus der rechten Ecke.

Man darf dabei nicht aus den Augen verlieren, wer alles in Knin dabei ist. Die Feierlichkeiten sind unter anderem auch eine inoffizielle Schaubühne für Hooligans und Verbreiter des Hasses. Sie feiern keinen großen Sieg, sie feiern die serbische Niederlage. Nicht selten kann man dabei auch Lieder aus der Zeit des NDH, des faschistischen kroatischen "Unabhängigen Staates" hören, also der kroatischen Hitler-Kollaborateure.

Pupovac kommt nicht nach Knin. Er ist sowieso kein Mitglied der kroatischen Regierung. Stattdessen kommt der Vize-Premier Boris Milošević, ein relativ frisches Gesicht der SDSS.

Premierminister Andrej Plenković (HDZ) nach seinem Wahlsieg (5. Juli 2020)Bild: picture-alliance/S. Strukic

"Hier geht es um ein zweiseitiges Bild. Ich kann die zivilen Opfer und die ausgebrannten Häuser nicht vergessen, ich kann diesen Exodus nicht vergessen. Das ist ein Teil meiner Identität", so Milošević im Interview mit dem TV–Sender N1 wenige Tage vor den Feierlichkeiten in Knin. Dort muss er mit Provokateuren rechnen, sie haben schon in der Vergangenheit ehemalige Präsidenten wie Josipović ausgebuht. Oder den ehemaligen Regierungschef (und jetzigen Staatspräsidenten) Zoran Milanović von den Sozialdemokraten. "Ich kann das aushalten", sagt Milošević.

Klare Distanzierung von den Verbrechen?

Ende August soll der kroatische Veteranenminister Tomo Medved einen Kranz für die serbischen Opfer von Grubori niederlegen. Medved ist ehemaliger General der Kroatischen Armee und wurde drei Mal im Krieg verwundet. Auch er muss mit Kritik aus einem Teil der Veteranen-Organisationen rechnen, die nicht an einer Versöhnung interessiert sind. Das Verbrechen von Grubori geschah am 25. August 1995, ganze drei Wochen nach der Operation "Sturm". Der Regierung unter Andrej Plenković ermöglicht dies eine Trennung zwischen dem von den Kroaten als glanzvoll gefeierten militärischen Sieg und den Verbrechen, die während der Operation und danach passierten. Der "Sturm" soll als lupenreiner Erfolg in die Geschichte eingehen, das ist der Standpunkt aller bisherigen kroatischen Regierungen.

Milorad Pupovac (SDSS) erinnert dabei an die letzte große Friedensbotschaft in Kroatien. Die kam ausgerechnet von General Gotovina, nachdem er Ende 2012 in Den Haag freigesprochen wurde. "Der Krieg ist fertig. Schauen wir in die Zukunft", sagte er damals in Zagreb, nach seiner Rückkehr nach Kroatien. Die kroatischen Bürger haben in den letzten acht Jahren seit diesem Auftritt des Generals nicht auf ihren Kriegshelden gehört. Jetzt bekommen sie eine neue Gelegenheit dazu.