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Politik

Technik soll Angriff auf UN-Hilfskonvoi aufklären

6. Oktober 2016

Wer den UN-Hilfskonvoi bei Aleppo angegriffen hat, lässt sich nicht eindeutig klären. Es gibt aber starke, durch den Einsatz digitaler Techniken gewonnene Indizien. Die weisen vor allem auf einen Verantwortlichen hin.

Syrien Angriff auf UN Hilfskonvoi bei Aleppo
Bild: picture-alliance/newscom/O. Haj Kadour

War es ein "Luftangriff"? Oder nur ein "Angriff"? Die Attacke auf den UN-Hilfskonvoi westlich von Aleppo am 19. September dieses Jahres war kaum ausgeführt, da stritten die beiden Großmächte USA und Russland bereits über die Verantwortung dafür - und deshalb auch um die Begriffe, mit denen der Angriff zu beschreiben sei. Schnell entschlossen sich die Vereinten Nationen, von einem "Luftangriff" zu sprechen. Die Russen protestierten: Der Begriff sei eine Art Vorverurteilung - gemünzt auf die russische Armee. Sie protestierten und setzten durch, dass die Vereinten Nationen fortan nur von einem "Angriff" sprechen durften.

Doch das wurde nun wieder rückgängig gemacht. "Aufgrund unserer Analysen kommen wir zu dem Schluss, dass es sich um einen Luftschlag  handelte", sagte Lars Bromley, beratender Forschungsberater bei UNOSAT, dem Satellitenbeobachtungsprogramm der Vereinten Nationen: "Ich glaube, viele andere Quellen sagen das ebenso."

Tatsächlich lassen sich militärische Aktionen dank hochentwickelter Satellitenbilder seit geraumer Zeit recht genau verfolgen und belegen. Einen weiteren Qualitätssprung machten die Dokumentationstechniken in Kombination mit dem Programm Google Earth, das Satelliten-, Luft- und Bodenaufnahmen in hoher Auflösung zusammenstellt und so vom gesamten Globus 3D-Karten entwickelt hat.

Aufklärungsarbeit in der Ukraine

Der größeren Öffentlichkeit war diese Technik erstmals im Sommer 2014 bekannt geworden. Damals wurde darüber diskutiert, von wo innerhalb des russisch-ukrainischen Konflikts Raketenangriffe auf ukrainische Truppen ausgeführt worden waren. Damals hatte der britische Investigativjournalist Eliot Higgins auf seiner Plattform Bellingcat seine Rechercheergebnisse veröffentlicht.

Russischer Raketenwerfer in der UkraineBild: picture-alliance/ITAR-TASS/D. Rogulin

Über Google Earth erhältliche Satellitenbilder zeigten die Einschusskrater der Raketen. Anhand der Größe und Ausrichtung errechneten Higgins und sein Team die Flugbahn der Raketen - und damit auch ihre vermutlichen Abschussorte. Die lagen alle auf russischem Gebiet.

Zugleich analysierten sie - ebenfalls mit Google Earth - Videos von den Abschüssen, die russische Zivilisten ins Internet gestellt hatten. Sie ergaben: Die Abschusspositionen lagen auf russischem Gebiet. Neuere Satellitenbilder ließen an den entsprechenden Stellen Brandflecken und Reifenspuren erkennen.

Widerspruch zwischen Aussagen und Satellitenbildern

Auch im Fall des Angriffs auf den UN-Hilfskonvoi bei Aleppo kam Satellitentechnik zum Einsatz. Auch sie ließ an den getroffenen Orten Einschussstellen erkennen. Darunter war auch ein besonders großer Krater. Der stamme "mit großer Wahrscheinlichkeit von aus der Luft abgeworfener Munition", sagte UN-Forschungsberater Bromley. Der Krater sehe anders aus als bei Artillerie- oder Mörserfeuer.

Der UN-Hilfskonvoi und sein Schatten um die MittagszeitBild: picture-alliance/dpa/Russian Defence Ministry

Schon vorher waren Analytikern Ungereimtheiten in der russischen Argumentation aufgefallen. Da allein die Russen in der entsprechenden Region fliegen, fiel der Verdacht schnell auf sie. Russische Militärs bestritten den Vorwurf, sie verantworteten den Angriff.

Ihre Behauptungen stehen allerdings in Widerspruch zu den Satellitenbildern, die sie in der Annahme veröffentlichten, diese würden ihre Erläuterungen erhärten. Doch der Schattenwurf auf den Bildern lässt vermuten, dass diese am Tag des Angriffs um ca. 13:30 Uhr entstanden - also rund fünfeinhalb Stunden vor dem Angriff auf den Konvoi. Die Russen hatten diesen also lange Zeit nachrichtentechnisch verfolgt. Weitere Bilder zeigen den Konvoi fünf Stunden später, kurz vor dem Angriff.

Indizien weisen auf Russland

Die russischen Militärs hatten den Hilfszug also offenbar sehr genau beobachtet und wussten damit wohl auch zu jedem Moment, wo genau er sich befand und wer sich rund um ihn aufhielt. Die russische Führung leugnete den Abschuss und sprach stattdessen nun von einem US-amerikanischen Drohnenangriff - und das, obwohl sie vorher die These eines Luftangriffs generell ausgeschlossen hatte.

Hinzu kommt: Die Ausrüstung einer Drohne ist für den schweren Luftkampf gar nicht geeignet. Die zwei "Hellfire"- oder die sechs kleineren Boden-Luft-Raketen seien gar nicht in  der Lage, ein solch schweres Bombardement wie das auf den Konvoi durchzuführen, schreibt die "Neuer Zürcher Zeitung" (NZZ): "Das passt nicht zu den Videobildern, die ein wesentlich intensiveres Bombardement dokumentieren."

Trümmerstück der mutmaßlischen Bombe vom Angriff auf den Hilfskonvoi Bild: Bellingcat

Zudem fliege allein die russische Luftwaffe über dem fraglichen Gebiet. Dabei attackiere sie bis zuletzt auch ganz bewusst die zentrale Infrastruktur, schreibt die NZZ, diese Taktik füge sich in die russische Gesamtstrategie: "Das Kalkül dahinter ist offenbar, das Leben in den Rebellengebieten so höllisch wie möglich zu machen."

Die Satellitenanalyse deckt sich mit Äußerungen der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds. Die Hilfsorganisationen hatten die Attacke schon in ihren ersten Erklärungen als "Luftangriff" bezeichnet. Die entsprechenden Beweise sind zwar nicht eindeutig. Wohl aber liefern sie bedrückende Indizien.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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