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Neue Vorwürfe gegen Nigerias Armee

Philipp Sandner5. August 2014

Die nigerianischen Streitkräfte geraten unter Druck: Soldaten hätten mutmaßliche Mitglieder von Boko Haram hingerichtet, kritisiert Amnesty International. Die Selbstjustiz schüre den Konflikt noch zusätzlich.

Nigeria Soldaten
Bild: AFP/Getty Images

Woche für Woche sterben Menschen in Nordnigeria bei Anschlägen von Boko Haram. Jetzt erhebt Amnesty International schwere Vorwürfe - diesmal nicht gegen die Islamisten, sondern gegen die nigerianischen Sicherheitskräfte. Das Militär sei verantwortlich für schwere Kriegsverbrechen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation.

Amnesty stützt sich unter anderem auf ein Video, das in Nigeria kursiert. Es zeigt Menschen in Militäruniformen, die Gefangenen mit Messern die Kehle durchschneiden und ihre Leichen in ein Massengrab werfen. 14 Menschen sollen auf diese Weise hingerichtet worden sein, zwei weitere seien erschossen worden. Man habe die Informationen gründlich geprüft, sagte der Nigeria-Experte der Organisation, Makmid Kamara, im Gespräch mit der DW. Augenzeugen hätten die Opfer und auch einige der Soldaten identifizieren können.

Militär will Vorfälle prüfen

Auch hochrangige nigerianische Militärs hätten die Informationen in großen Teilen bestätigt. "Kontaktpersonen beim Militär, die anonym bleiben möchten, bestätigten uns sogar die Abteilung und die Einheit der Soldaten", so Kamara. Demnach sollen die Täter der 81. Kompanie angehören, die im nordostnigerianischen Bundesstaat Borno stationiert ist. Die Hinrichtungen ereigneten sich laut Amnesty International am 14. März im Ort Giddari in der Nähe der Provinzhauptstadt Maiduguri. Am gleichen Tag hatte Boko Haram ein Militärlager überfallen und hunderte Häftlinge befreit. Berichten zufolge sollen Soldaten daraufhin mehr als 600 Menschen erneut verhaftet und getötet haben.

Nicht zum ersten Mal steht Nigerias Armee am Pranger. Kenner des Konflikt gehen seit Jahren von einer Mitschuld des Militärs aus. Mehrfach berichteten Menschenrechtsorganisationen über das brutale Vorgehen der nigerianischen Sicherheitskräfte - Vorwürfe, die bisweilen auch internationale Militärhilfe für Nigeria infrage stellen. Nigerias Armee reagierte stets mit Dementi.

So wies die Armee auch die Verantwortung für die aktuellen Vorfälle zurück, kündigte aber an, Untersuchungen einzuleiten. Der Armeesprecher Chris Olukolade bezeichnete das Geschehene am Dienstag (05.08.2014) als "unglücklich". Das Militär dulde keine Form von Menschenrechtsverletzungen, wie sie in dem Video zu sehen seien, sagte Olukolade, fügte aber hinzu: "Die Armee ist ihrem Land und ihrem Volk verpflichtet. Die Meinung, die da draußen über uns herrscht, ist zweitrangig. Früher oder später werden alle die Wahrheit erfahren, wenn die Wirkung der Militäroperationen deutlich wird."

Armeesprecher Chris OlukoladeBild: DW/A. Kriesch

Die Wirkung des Ausnahmezustands

Seit Mai 2013 gilt in den drei nordöstlichsten Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa der Ausnahmezustand. Im gleichen Monat startete das Militär eine neue Offensive gegen die Islamisten. Die Armee sei sehr erfolgreich darin gewesen, die Einheit Nigerias zu garantieren, sagt Sprecher Olukolade. Vor Verhängung des Notstands sei die Region im Chaos versunken: "Überall wurden fremde Flaggen gehisst, es wurden illegale Steuern erhoben. Unsere Operationen haben dazu beigetragen, diese Entwicklung umzukehren."

Nigeria-Experte Kamara sieht das anders. "Die Menschenrechtslage und die Sicherheitslage im Allgemeinen hat sich nicht verbessert. Vielmehr haben die Menschenrechtsverletzungen und das Ausmaß der Gewalt zugenommen - sowohl durch Boko Haram als auch durch die nigerianischen Sicherheitskräfte." Auch wenn es keine Rechtfertigung für die Verbrechen durch Boko Haram gäbe, sei der nigerianische Staat verpflichtet, bei der Bekämpfung der Islamisten nationales und internationales Recht einzuhalten. "Viele Nigerianer sehen sogar den Grund für die Eskalation der Gewalt darin, dass die Sicherheitskräfte sich nicht an geltendes Recht halten."

In Nigerias Nordosten gilt seit 2013 der Ausnahmezustand

Kamara erinnert an die Anfänge der Gewalt im Jahr 2009: Boko Haram verstärkte seine Anschläge, nachdem der damalige Anführer der Organisation, Mohammad Yussuf, in Polizeigewahrsam ermordet worden war. In Anbetracht der neuen mutmaßlichen Hinrichtungswelle pocht Amnesty International nun auf unabhängige Untersuchungen, an denen auch die nigerianische Zivilgesellschaft beteiligt werden müsse. Es reiche nicht aus, dass das Militär selbst in dem Fall ermittele.

Allein 2014 sind in dem Konflikt zwischen Boko Haram und der nigerianischen Regierung nach Angaben von Amnesty International mehr als 4000 Menschen ums Leben gekommen.

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