"Lockdown" und "Gendersternchen" stehen nun im Duden. Das Standardwerk für deutsche Rechtschreibung fasst 3000 neue Wörter - und eine Menge Sprengstoff.
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Wie alle modernen Sprachen entwickelt sich auch die deutsche Sprache ständig weiter. Niemand weiß genau, wie viele Wörter der deutsche Wortschatz insgesamt umfasst. Zu den etwa 300.000 bis 500.000 Wörtern der deutschen Gegenwartssprache kommen immer wieder neue hinzu, andere verschwinden mit der Zeit aus dem täglichen Gebrauch.
Der Duden-Verlag hat es sich mit seinem Nachschlagewerk "Die deutsche Rechtschreibung" zur Aufgabe gemacht, "die verlässliche Instanz für alle Themen rund um die deutsche Sprache und Rechtschreibung" und dabei "immer auf der Höhe der Zeit" zu sein. Diese Verlässlichkeit macht sich mehr als bezahlt.
Seit der Erstveröffentlichung des "Vollständigen Orthographischen Wörterbuchs der deutschen Sprache" von Konrad Duden im Jahre 1880 wurde der "Rechtschreibduden" zum Standardwerk. Es gibt in Deutschland kaum ein Lehrerzimmer, eine Redaktion oder ein Großraumbüro, in dem das dicke, gelbe Buch nicht im Regal steht. Trotz digitaler Version wurden allein von der letzten Buchausgabe 650.000 Stück verkauft.
Duden als Spiegel der deutschen Gesellschaft
Jetzt ist die 28. Ausgabe des Duden mit 148.000 Stichwörtern zum Nachschlagen erschienen. 300 aus Sicht der Redaktion veraltete Begriffe wurden entfernt - so zum Beispiel der "Bäckerjunge" und der "Jägersmann". 3000 Wörter sind neu dabei - darunter "bienenfreundlich", "Flugscham", "Hatespeech", "Geisterspiel", "Lockdown", "Herdenimmunität", "Cisgender" und "Gendersternchen". Die neuen Begriffe im Duden sind ein auch ein Spiegel der aktuellen gesellschaftlichen Debatten um Klimawandel, Corona-Pandemie, soziale Medien, Rassismus und Gleichstellung in Deutschland.
Unter den neuen Einträgen finden sich zahlreiche Anglizismen und auch Ausdrücke aus der Genderforschung, die für Sprachpuristen Reizwörter darstellen. Der Verein Deutsche Sprache (VDS), der sich unter anderem gegen den aus seiner Sicht übermäßigen Gebrauch von Anglizismen und den Einzug von gendergerechter Sprache mit der Petition "Schluss mit dem Gender-Unfug!" einsetzt, greift den Duden für seine aktuelle Ausgabe scharf an.
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Sprachbewahrer gegen Erneuerer
Der VDS-Vorsitzende Walter Krämer sagte am Dienstag, es müsse "endlich Schluss sein, dass Einzelne von oben herab entscheiden wollen, wie sich Sprache zu entwickeln hat". Und er ergänzte: "Viele Menschen nehmen das, was im Duden steht, für bare Münze und werden glauben, dass Gendersternchen und ähnliche Konstrukte echte Bestandteile der deutschen Sprache seien". Die Angriffe des VDS gegen die Duden-Redaktion haben fast schon Tradition. So hatte der VDS den Duden 2013 zum "Sprachpanscher des Jahres" gekürt, angeblich enthielt schon die damalige Ausgabe zu viele Anglizismen.
Wo in der Welt wird Deutsch gesprochen?
118 Millionen Menschen sprechen Deutsch, in Dutzenden von Ländern. Wo ist die deutsche Sprache besonders stark verbreitet? Und wie kam das Deutsche dorthin?
Liechtenstein
Drei Länder in Europa sind offiziell deutschsprachig: Deutschland, Österreich und das kleine Liechtenstein mit der Hauptstadt Vaduz. In dem Fürstentum sprechen 35.000 Menschen Deutsch, in Österreich sind es 7,5 Millionen, in Deutschland etwa zehn Mal so viele.
Bild: picture-alliance/imagebroker/B. Claßen
Schweiz
In der Schweiz ist Deutsch eine von vier Amtssprachen, gesprochen von fünf Millionen Menschen, etwa zwei Dritteln der Einwohner. Bei deutschen Emigranten wie den Schriftstellern Hermann Hesse oder Erich Maria Remarque war die italienische Schweiz besonders beliebt. Remarque lebte im Exil und bis zu seinem Tod immer wieder in dieser Villa am Lago Maggiore.
Bild: picture-alliance/dpa
Luxemburg
Auch in Luxemburg ist Deutsch neben Lëtzebuergesch und Französisch offizielle Amtssprache. Ungefähr 470.000 Bewohner des Großherzogtums sprechen muttersprachlich Deutsch. Das Lëtzebuergesche - Luxemburgische - ist erst seit 1984 Nationalsprache und wird überwiegend im Radio und Fernsehen gesprochen. Geschrieben wird jedoch größtenteils auf Hochdeutsch.
Bild: picture-alliance/imagebroker/D. Renckhoff
Belgien
Belgien ist eines von sechs Ländern, in denen Deutsch Amtssprache ist, neben Niederländisch und Französisch. In Ostbelgien - hier ein Beispiel aus der Stadt Eupen in der Provinz Lüttich - leben rund 75.000 muttersprachlich deutsche Belgier. In neun weiteren europäischen Ländern ist Deutsch anerkannte Minderheitensprache.
Bild: picture alliance/dpa/H. Ossinger
Frankreich
Die Verbreitung von Sprache spiegelt Geschichte: In Frankreich ist Deutsch Minderheitensprache. Die 1,2 Millionen Deutschsprecher leben im deutsch-französischen Grenzgebiet, in der Region Grand Est, die das frühere Elsass, die Champagne-Ardenne und Lothringen umfasst. Sie sprechen tief verwurzelte fränkische und alemannische Dialekte. Alte Schrifttafel erinnern an Zeiten der deutschen Verwaltung.
Bild: picture-alliance/H. Meyer zur Capellen
Italien
Deutsch ist in Italien offizielle Minderheitensprache in Südtirol, das bis 1919 zu Österreich gehörte, und in der Vatikanstadt. Noch heute sprechen in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol mit etwa 520.000 Einwohnern mehr als 60 Prozent der Bevölkerung Deutsch als Muttersprache. Die Beschilderung ist in der ganzen Provinz zweisprachig: auf Deutsch und Italienisch.
Bild: picture-alliance/dpa/R.Kaufhold
Spanien
Das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen in Europa ist Spanien. Im gesamten Land sind etwa eine halbe Million Deutsche sesshaft geworden. Auf den Kanaren, Mallorca und entlang der spanischen Festlandküste gibt es große deutsche Kolonien. Das deutsche Nachtleben an der Playa de Palma auf Mallorca hat sich allerdings seit der Corona-Pandemie sehr beruhigt.
Bild: Imago Images/C.E. Janßen
Niederlande
In vielen Orten der Niederlande wird wie hier in Venlo neben der Landessprache auch Deutsch gesprochen und geschrieben - und das nicht nur im Grenzgebiet. Rund 360.000 Deutsche, die in das Land eingewandert sind, leben in den Niederlanden. An vielen niederländischen Schulen wird Deutsch als Fremdsprache angeboten.
Bild: picture-alliance/ANP/R. Engelaar
Irland
Es lassen sich viele Orte in Irland finden, an denen Deutsche Spuren hinterlassen haben. So wurde Händels "Messias"-Oratorium 1742 in der Dubliner Alten Musikhalle in der Fishamble Street (Bild) uraufgeführt. Der deutsche Architekt Richard Castle entwarf im frühen 18. Jahrhundert viele imposante Gebäude in Dublin. Heute sprechen noch etwa 100.000 Menschen in Irland Deutsch.
Bild: picture-alliance/akg-images
Israel
100.000 Israelis sprechen Deutsch, Nachfahren meist jüdischer Immigranten, zu denen auch die Bauhaus-Architekten zählten, die das Stadtbild von Tel Aviv mitgeprägt haben. Dabei war Deutsch in Israel als Sprache der Täter und der Nazis lange verpönt. Erst seit etwa zwei Jahrzehnten ist Deutsch nicht mehr stigmatisiert. Mit dem Interesse an Deutschland steigt auch das Interesse an der Sprache.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Küchler
Russland
Die deutsche Sprache in Russland hat eine mehr als 250-jährige Geschichte. Schon 1763 ermöglichte Katharina die Große tausenden deutschen Bauern die Ansiedlung an der Wolga. Nach 1990 ist ein Großteil der einst 2,3 Millionen Russlanddeutschen nach Deutschland umgesiedelt. Gegenwärtig leben noch 394.000 Deutschstämmige in Russland. Nicht alle von ihnen beherrschen die deutsche Sprache.
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Kasachstan über 92.000 "ortsansässige Deutsche", Nachfahren von freiwilligen Umsiedlern, von Hungerflüchtlingen aus der Wolgaregion und enteigneten Bauern. Während des Zweiten Weltkrieges wurden mehr als 444.000 Deutsche nach Kasachstan deportiert. Heute sprechen noch zwei Drittel der deutschen Bevölkerung Kasachstans Deutsch, etwa 350.000 Menschen.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Grimm
Südafrika
Südafrika ist beliebt bei deutschen Auswanderern, Kapstadt hat sogar ein deutsches Viertel, genannt "Sauerkraut-Hill". Die Zahlen variieren, geschätzt gibt es 100.000 bis 500.000 deutsche Muttersprachler in dem sonnigen Land. Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten niedersächsische Missionare und andere Auswanderer Siedlungen, die sie nach ihren Heimatorten wie Hermannsburg oder Lüneburg benannten.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Krüger
USA
Die Vereinigten Staaten gehören nach wie vor zu den beliebtesten Auswanderungsländern. Bis zum Corona-Einbruch verließen jährlich über 10.000 Bundesbürger Deutschland, um in den USA zu leben. Die geschätzte Zahl der Deutschsprechenden in den USA liegt bei 1,1 Millionen. Der "German Belt" zieht sich von Alabama über den Mittleren Westen bis nach Montana, Wyoming und Colorado.
Bild: picture-alliance/J. Dabrowski
Kanada
Auch Kanada steht bei Auswanderern hoch im Kurs. Seit den 1940er Jahren sind über 400.000 Deutsche in das Land ausgewandert. Insgesamt sind dort etwa 430.000 Menschen deutschsprachig. Das Mitte des 18. Jahrhunderts gegründete Lunenburg ist offiziell die älteste deutsche Siedlung in Kanada. Das Hafenstädtchen gehört seit 1995 zum UNESCO-Welterbe und ist nicht nur für Deutsche ein beliebtes Ziel.
Bild: picture-alliance/J. Schwenkenbecher
Brasilien
Zehn Prozent aller Brasilianer haben deutsche Vorfahren. Sie stammen von Deutschen ab, die im 19. und 20. Jahrhundert aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen nach Brasilien ausgewandert sind. 1,1 Mio. Menschen in Brasilien sprechen Deutsch. Die 1850 gegründete Stadt Blumenau veranstaltet das größte Oktoberfest außerhalb Deutschlands und zeigt dort auch das Leben der früheren Einwanderer.
Bild: Getty Images/M. Tama
Argentinien
Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Deutsche ihre Sprache in viele süd- und mittelamerikanische Länder getragen. In Argentinien beläuft sich die Schätzung auf 400.000 Sprecher, konzentriert u. a. in der deutschen Gründung Villa General Belgrano. In La Cumbrecita erinnern holzverzierte Häuser an traditionelle Bauten, wie man sie etwa in Bayern findet.
Bild: picture alliance / imageBROKER
Paraguay
Auch Paraguay, wo heute noch 166.000 Menschen Deutsch sprechen, gehört seit mehr als einem Jahrhundert zu den beliebten Auswanderungsländern. Hierher kamen auch Rassisten wie Bernhard Förster, der 1887 mit Nueva Germania eine "arische" Siedlung gründete. Die Kolonie des mit der Schwester des Philosophen Friedrich Nietzsche verheirateten Antisemiten scheiterte, und er beging Selbstmord.
Bild: picture-alliance/J. Dabrowski
Namibia
Die deutsche Sprache ist in 45 Ländern der Welt zuhause. Abgesehen von den Ländern, in denen Deutsch Amtssprache ist, zeigen wir in diesem Rundblick nur Länder mit mehr als 100.000 deutschen Muttersprachlern. In der einstigen Kolonie Namibia, in der die Deutschen viele sichtbare Spuren hinterlassen haben, sprechen von den 2,5 Mio. Einwohnern allerdings nur noch 20.000 Deutsch.
Bild: picture-alliance/Imagebroker/U. Doering
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Es wundert nicht, dass die rechtspopulistische Partei "Alternative für Deutschland" reflexhaft ihre Gewehre in Anschlag bringt und aus allen Rohren auf die Redaktion der Duden-Neuauflage schießt, wenn sie ihr vorwirft, ein manipulatives Organ im Interesse der linksliberalen Gesellschaft zu sein. Begriffe wie "Alltagsrassismus", "rechtsterroristisch" oder "Klimanotstand" seien "ideologisch", so der Vorwurf.
Wer hat das Sagen?
Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert. Die Globalisierung, das Internet, soziale Medien und der Populismus sorgen für immer feinere Aufsplitterungen in der täglichen Kommunikation. Was gestern landläufig noch als "der richtige Ton" galt, kann heute völlig anders interpretiert und gewertet werden. Das fängt nicht erst bei so pejorativen und ideologisch besetzten Begriffen wie dem N-Wort an.
Durch wen oder was sollte sich Sprache verändern? Die große Mehrheit der Sprachwissenschaftler jedenfalls ist sich schon seit Jahrzehnten darin einig, dass eine Sprache lebt und sich dynamisch weiterentwickelt. Aktualität ist für den Duden deshalb kein "Nice-to-have", sondern eine Notwendigkeit. Dieser Anglizismus steht übrigens nicht im Duden - noch nicht.