Neuer Anlauf im EU-Asylstreit
2. Dezember 2019Seit Jahren bewegt sich in der Debatte um eine Reform des gemeinsamen Asylsystems der Europäischen Union wenig bis gar nichts - das sagen EU-Diplomaten ohne Umschweife. Migrationspolitik entzweit die Mitgliedsstaaten. Osteuropäische, aber auch einige westlich gelegene Mitgliedsstaaten wollen von einer Verteilung von Migranten nach Schlüssel oder Quoten nichts wissen. Die Staaten an den Außengrenzen und die Hauptzielländer, zu denen auch Deutschland gehört, wollen dagegen erreichen, dass sogenannte Schutzbedürftige, also Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber mit Erfolgschancen, auf die gesamte EU verteilt werden.
Die bis Ende November amtierende EU-Kommission hatte dazu sieben Gesetzesvorschläge vorgelegt, die aber alle nicht verabschiedet werden konnten, weil Staaten wie Ungarn, Polen oder Österreich blockieren. Diesen Stillstand will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) irgendwie überwinden. Deshalb hat er den Ministerkollegen der EU ein Papier auf den Tisch gelegt, das die Grundsätze einer künftigen EU-Asylpolitik umreißt. In Stichworten:
- Schutz der EU-Außengrenzen
- Vorprüfung von Asylanträgen bereits an den Außengrenzen
- Zurückweisung von Migranten ohne Asylgrund
- Verteilung der aussichtsreichen Bewerber von den Außengrenzen auf alle Staaten der EU.
Alles schon da gewesen
"Nichts von den Vorschlägen ist wirklich neu", räumte Horst Seehofer am Montag beim Treffen der EU-Innenminister in Brüssel ein, "aber entscheidend ist, dass es jetzt geschieht." Nach Seehofers Analyse kommen immer mehr Flüchtlinge vor den EU-Grenzen an, und zwar "aus allen Himmelsrichtungen". Besonders wichtig ist dem Minister, dass die Außengrenzen der EU in Griechenland, Spanien, Bulgarien, Italien und Kroatien besser abgeriegelt werden. "Wichtig ist, dass wir der deutschen Bevölkerung sagen können, die Sicherheit wird künftig an den Außengrenzen geprüft."
An den Grenzen Deutschlands, das komplett von EU-Staaten umgeben ist, würden täglich in "unglaublich hoher Weise" illegale Einreiseversuche registriert, darunter auch von Menschen mit kriminellem Hintergrund. Zahlen zu den Einreisen an deutschen Grenzen, an denen seit Jahren verstärkt kontrolliert wird, will der Minister am Mittwoch vorlegen.
Dublin: ja oder nein?
Die geltenden sogenannten Dublin-Regeln der EU sehen vor, dass derjenige Staat für Asylverfahren zuständig ist, in den Asylbewerber zuerst einreisen. Dieses System halten fast alle EU-Staaten für überholt, weil Griechenland, Malta und Italien als Ersteinreise-Staaten sichtbar überfordert sind. "Dublin ist gescheitert", hieß dazu auch schon von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Andererseits beruft sich Deutschland aktuell bei Abschiebungen von Migranten nach Italien oder Österreich auf eben diese Dublin-Regeln. Jetzt signalisiert Innenminister Horst Seehofer, dass er zu einer grundlegenden Neuordnung bereit ist.
Andere Staaten, wie etwa Frankreich, lehnen das ab. Sie wollen an den Dublin-Regeln festhalten. Ein neues Asylsystem müsste auch beinhalten, erfolgreiche Schutzsuchende auf alle EU-Staaten zu verteilen. Die Weigerung einiger EU-Staaten, überhaupt Flüchtlinge, Asylbewerber oder Migranten aufzunehmen, will Innenminister Seehofer nicht hinnehmen. "Man kann nicht auf der einen Seite Unterstützung von Europa wollen und dann auf der anderen Seite keine Solidarität einbringen, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Das muss erneut diskutiert und gelöst werden."
Neue Kommission, neuer Vorschlag
Die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen will im Februar oder März einen weiteren Vorschlag zur Änderung der Asylregeln vorlegen. Wahrscheinlich ist, dass der zuständige EU-Kommissar Margaritis Schinas auf einen verbindlichen Verteilungsmechanismus verzichten wird. Staaten, die keine Menschen aufnehmen wollen, könnten sich dann durch Geld- oder Sachleistungen "freikaufen". Dieses "flexible Solidarität" genannte Konzept unterstützt auch der deutschen Innenminister. Man könne nicht mehr "endlos" warten, bis alle 27 Staaten sich auf einen Verteilungsschlüssel geeinigt hätten, so Seehofer in Brüssel. Margaritis Schinas, der in der neuen Kommission für den Bereich Förderung der europäischen Lebensweise zuständig ist, erklärte, er laufe mit dem deutschen Minister "völlig synchron". Es komme jetzt darauf an, einen neuen Anlauf zu nehmen und Vertrauen unter den Mitgliedsstaaten wieder aufzubauen.
Vorerst nur Winter-Hilfe
Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten bereits im Juni 2018 die Einrichtung von sogenannten Ausschiffungsplattformen und Asylzentren an den Außengrenzen der EU verlangt, um dort innerhalb von Tagen über eine Asylberechtigung zu entscheiden. Geschehen ist seither wenig. Versuche der EU-Kommission, mit Staaten in Afrika über Lager für Migranten zu verhandeln, um diese von der Überfahrt über das Mittelmeer abzuhalten und die Geschäfte der Schleuser zu beenden, verliefen im Sande. Ebenso wenig ist bislang ein EU-Staat bereit, auf seinem Boden ein Asylzentrum einzurichten. Urteile des Europäischen Gerichtshofs zur verbindlichen Verteilung von Flüchtlingen und Asylsuchenden haben die ungarische und die polnische Regierung ignoriert.
Unabhängig von der grundsätzlichen und mutmaßlich noch langwierigen Debatte soll die EU den Staaten entlang der Westbalkan-Route Hilfe anbieten, weil die Situation jetzt im Winter "schwierig" sei, meint Innenminister Seehofer. Er bot das Technische Hilfswerk, den deutschen Katastrophenschutz, zum Bau von wetterfesten Unterkünften an. Die Dinge müssten "geordnet" ablaufen, ergänzte Seehofer.
Auf griechischen Inseln leben derzeit Tausende Migranten in überfüllten Lagern. In Bosnien-Herzegowina und Serbien kampieren weitere Tausende unter unzureichenden Bedingungen.