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Politik

Welches Europa wollt ihr haben?

Kay-Alexander Scholz
24. Oktober 2016

Was denken Jugendliche über die Krise in Europa? Das Auswärtige Amt hat eine neue Gesprächsreihe gestartet. Doch das Format hat Schwächen.

Steinmeier mit Jugendlichen beim Bürgerdialog im Auswärtigen Amt (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Mit "Bürgerdialogen" ist das so eine Sache. Einerseits ist diese Form eines inszenierten Gesprächs zwischen "normalen" Wählern und Spitzenpolitikern seit einigen Jahren in der Bundesregierung sehr beliebt. Am Mittwoch zum Beispiel wird die Bundesregierung das Ergebnis des von Angela Merkel angestoßenen Bürgerdialogs "Gut leben in Deutschland - was uns wichtig ist" im Kabinett beraten. Andererseits sind die Schwächen des Formats offensichtlich: Teilnehmer bekommen durch den kurzen Draht den Eindruck, ihre Vorschläge könnten direkt die Politik beeinflussen - auf diesem Weg aber werden keine Gesetze gemacht. Ein anderes Manko: Die Dialog-Teilnehmer werden oftmals ausgewählt - ihre Meinungen sind also nicht unbedingt repräsentativ.

Manchmal aber passiert auch Ungeplantes mit Langzeitwirkung. Zum Beispiel bei einem Dialog der Kanzlerin mit dem Flüchtlingsmädchen Reem im Sommer 2015 in Rostock, als diese in Tränen ausbrach, weil sie Angst vor Abschiebung hatte und Merkel irgendwie versuchte zu trösten. Nicht wenige vermuten, dass dieses Erlebnis ein auslösendes Moment für Merkels dann folgende Politik in der Flüchtlingskrise war, weil ihr klar wurde, dass das damals noch herrschende Chaos bei den Asylgesetzen so nicht weitergehen konnte.

400 Teilnehmer - zu wenig Zeit für Diskussion

Nun hat auch der Außenminister einen Bürgerdialog gestartet. In Berlin traf sich Frank-Walter Steinmeier mit 400 Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 26 Jahren im Weltsaal des Auswärtigen Amts, um die Frage zu besprechen: "Welches Europa wollen wir?" Anders als bei anderen Formaten, bei denen der Teilnehmerkreis ausgesucht war, konnte sich hier jeder auf einen Aufruf unter anderem auf Facebook für eine Teilnahme bewerben. Der Berliner Verein "Polis 180 e.V." übernahm dann die Auswahl und die Organisation.

Im ersten Teil redeten die Teilnehmer über ein, zwei Stunden in 16 Arbeitsgruppen miteinander. Anschließend konnten die dabei entstandenen Fragen dem Außenminister gestellt werden - immer je eine Frage in wechselnden Dreier-Gruppen auf der Bühne. Allerdings war nur eine Stunde Zeit vorgesehen, so dass nur Zeit für rund zwei Dutzend Fragen blieb. Obwohl die bekannte TV-Journalisten und Moderatorin Dunja Hajali mit einer strengen Gesprächsleitung versuchte, viele Fragen unterzubringen.

Wann beginnt der Dialog?

Der emotionalste Moment, um einen Vergleich zu Merkel und der Situation dem Flüchtlingsmädchen zu ziehen, war die Frage eines Syrers, der vor einem Jahr nach Deutschland kam. Wann fangt ihr endlich an, nicht nur über uns, sondern mit uns zu reden, fragte der junge Mann in recht gutem Deutsch. Er schien einen Nerv getroffen zu haben, denn es gab viel spontanen Applaus für diese Frage. Steinmeier flüchtete sich in eine Aufzählung von schon vorhandenen Gesprächssituationen. An dieser Stelle hätte man gerne mehr gehört, was aber nicht passierte.

Steinmeier: "Der Blick auf Europa ist anders geworden"Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Hat die Türkei noch eine Zukunft in Europa? Warum exportiert Deutschland Waffen in den Nahen Osten? Kann es in Syrien eine Lösung mit Assad geben? So lauteten Fragen der Teilnehmer, auf die Steinmeier weitgehend als Außenminister mit bekannten Positionen antwortete. Im Nachhinein war das manchem Teilnehmer zu wenig. Richard zum Beispiel hatte erwartet, dass auch neue Lösungen und Konzepte erarbeitet würden. Diese Kritik teilten auch andere, die sich mehr Tiefe erhofft hatten, was in einer derart getakteten Frage-Antwort-Situation schwer möglich ist. Doch sei gerade die Differenzierung, das Nachdenken jenseits von Ja-Nein-Schemata, genau das, was die Probleme der Zeit verlangten.

Jugend wird wieder politischer - aber anders

In seiner Einschätzung zum Zustand Europas ließ Steinmeier erkennen, dass er die geäußerte generelle Sorge über den Zustand der EU teile. Wenn man die Menschen nicht dahin kriegen würde, sich für Europa einzusetzen, "dann wird Europa vor die Hunde gehen", so Steinmeier. Der Weg dahin sei zu zeigen, "dass Europa leistungsfähig ist" und sich der Einsatz für europäische Werte lohne.

Auffallend war die verantwortungsbewusste Haltung bei vielen der Jugendlichen. Sie machen sich Sorgen um das gesellschaftliche Umfeld. Um Einwanderer der zweiten und dritten Generation, die keinen wirklichen Bezug zum deutschen Staat oder Europa hätten. Oder um eine Rechtssprechung in Griechenland, die mit dem Europa-Recht kollidiere. Oder um die EU, "die wir so lieb haben", aber die verloren zu gehen scheint. In diesen Aussagen bestätigte sich, was der Jugend- und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann eine neue Politisierung nennt. Nach der Phase des Neo-Biedermeiers in Deutschland, im der sich junge Erwachsene ins Private zurückzogen und wenig für Politik und Gemeinwesen interessierten, sei nun ein neues Spannungsfeld zwischen neuem Nationalismus und Internationalismus oder zwischen rechts und links entstanden.

Teilnehmerin Lena wollte aber nicht unbedingt von einer neuen Politisierung sprechen, sondern von einer Emotionalisierung. Und die habe Schattenseiten, weil einem Ja-Nein-Fragen aufgedrückt würden. Schuld daran seien auch die Medien, die zu meinungslastig, zu pathetisch berichten würden, statt erst einmal Fakten zu liefern.

Mit klassischen Parteien wollten viele nichts mehr zu tun haben, war häufig zu hören. Stattdessen gebe es zum Beispiel "Freelance"-Politiker, die sich pragmatisch für bestimmte Probleme finden würden. Leider fielen diese Aussagen alle nach dem Bürgerdialog am Stehtisch und ohne Steinmeier.

Dem Dialog in Berlin werden bis zu 30 öffentliche "Bürgerwerkstätten" in anderen deutschen Städten folgen. Nicht immer wird Steinmeier dabei sein, sondern Staatsminister oder hochrangige Diplomaten des Auswärtigen Amts, wie es in der Ankündigung heißt.

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