Neuer Bundestag, aber (noch) keine neue Regierung
24. März 2025
Es ist keine Wunschkoalition, die sich in Berlin gerade anschickt, eine gemeinsame Basis für eine Regierungsbildung zu finden. CDU/CSU, die beiden konservativen Schwester-Parteien haben die Bundestagswahl zwar gewonnen. Um im neuen Parlament eine Mehrheit zu haben und den Bundeskanzler stellen zu können, brauchen sie allerdings die bisher regierenden Sozialdemokraten.
Die machen es der Union nicht leicht. In der SPD ist die Stimmung nach ihrer historischen Wahlniederlage mies. Im neuen Bundestag hat die Partei nur noch die Hälfte der bisherigen Sitze. Trotzdem pocht sie auf Verhandlungen "auf Augenhöhe", wie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch betont.
Da ist Trotz zu spüren, aber auch jenes Selbstbewusstsein, das aus dem Wissen um die eigene Unentbehrlichkeit erwächst. Eine rein rechnerisch noch mögliche Koalition mit der in Teilen rechtsextremen AfD haben CDU/CSU vorab ausgeschlossen.
Arbeitsgruppen mit insgesamt rund 250 Mitgliedern
Um Inhalte und Ziele der künftigen Koalition grundsätzlich abzustimmen, haben CDU, CSU und SPD 16 gemeinsame Arbeitsgruppen gebildet. Zehn Tage wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, doch bei mehr als 250 Politikern in den Arbeitsgruppen sickerte immer wieder mal was durch. Vor allem, wenn es nicht gut lief.
Er halte es für völlig normal, "dass es auch mal ein bisschen knirscht", sagte SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil in Berlin. "Das wäre ja auch verwunderlich, wenn wenige Wochen nach einem harten Wahlkampf man sofort sich einig wäre." Ähnlich äußerte sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der nach einer Sitzung des CDU-Bundesvorstands zwar von "ermutigenden" Signalen aus den Arbeitsgruppen sprach, aber zugleich einräumte, dass Dissens normal sei.
SPD-Politiker verlassen Verhandlungsraum
Streit wurde vor allem aus den Arbeitsgruppen Steuern/Finanzen, Sozialpolitik, sowie Migration bekannt. Eigentlich sollte man meinen, dass sich am Geld keine Diskussionen mehr entzünden können, nachdem Bundestag und Bundesrat das gigantische Finanzpaket für Verteidigungsausgaben und Investitionen beschlossen haben. Trotzdem hakt es beim Thema Steuern. So sehr, dass die SPD-Verhandler aus Protest zeitweilig den Verhandlungsraum verließen.
Nicht weniger hoch geht es her bei der Frage, welche Änderungen die neue Regierung in der Asylpolitik durchsetzen will. Die SPD lasse keine Bereitschaft erkennen, auf einen schärferen Migrationskurs einzuschwenken, hieß es in der Union. CDU/CSU hatten die Latte im Wahlkampf hochgelegt und eine "echte Migrationswende" versprochen. Illegale Einreisen sollten auf null reduziert und auch Asylbewerber zukünftig an der Grenze abgewiesen werden.
Gute Nachbarschaft in der EU in Gefahr?
In ersten Absprachen hatten Union und SPD vor den Koalitionsverhandlungen festgehalten, dass Zurückweisungen an den Landgrenzen "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" erfolgen sollten. In der Arbeitsgruppe Migration wurde nun über die Frage gestritten, was darunter genau zu verstehen ist.
Für die Union bedeutet Abstimmung lediglich, dem Nachbarn mitzuteilen, was man macht. Auf keinen Fall bedeute es, dass man sich von der Zustimmung anderer EU-Länder abhängig machen will. Die SPD versteht die Formulierung aber so, dass für Zurückweisungen ein Konsens mit dem jeweiligen Nachbarstaat erforderlich sei.
Wettbewerb in Schäbigkeit?
Zudem blockiere die SPD die Forderung der Union, die Sozialleistungen für ausreisepflichtige Asylbewerber auf "Bett, Brot und Seife" zu reduzieren. Der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der für die SPD verhandelt, sagte der Bild-Zeitung: "Bei Menschen, die zu uns gekommen sind und sich nichts haben zuschulden kommen lassen, wird es mit der SPD keinen Schäbigkeitswettbewerb geben."
Keine Zustimmung bekam auch der Vorschlag der Union, Flüchtlingen aus der Ukraine künftig nur noch Asylbewerberleistungen zu zahlen. Derzeit bekommen sie Bürgergeld, wie die Grundsicherung für Arbeitslose heißt. Das sind 563 Euro für Alleinstehende pro Monat. Für Asylbewerber sind hingegen 441 Euro vorgesehen.
Migration: SPD beißt bei Union auf Granit
Beim Thema Migration will die Union aber keinesfalls Kompromisse machen. Zu groß ist die Sorge, ein Glaubwürdigkeitsproblem zu bekommen. Es sei klar, "dass wir im Bereich Migration Dinge zum Ausdruck gebracht haben, zu denen wir heute noch stehen und wir der festen Überzeugung sind, dass ein Politikwechsel sich daran festmachen wird, ob wir in diesen Punkten erfolgreich sind oder nicht", so CDU-Generalsekretär Linnemann.
Der Fahrplan für die Koalitionsverhandlungen sieht vor, dass sich nun die sogenannte Steuerungsgruppe mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppen beschäftigt. Das Gremium besteht aus neun Mitgliedern der SPD-Parteispitze, von der Union kommen zehn führende Politiker. "Ich bin mir sicher, dass man am Ende Kompromisse findet für die herausfordernden Fragen unseres Landes, die die Menschen bewegen, das wird jetzt auch in der Hauptverhandlungsrunde in den nächsten Tagen dann gelingen", gibt sich SPD-Chef Klingbeil zuversichtlich.
Regierung im April? Vielleicht noch nicht
Sich auf Kompromisse zu einigen, dürfte der schwierigste Teil der Verhandlungen werden. Der voraussichtlich nächste Bundeskanzler, CDU-Chef Friedrich Merz, hatte eigentlich in Aussicht gestellt, bis Ostern (20. April) eine Regierung bilden zu können. Doch sowohl in der CDU als auch in der SPD will sich inzwischen niemand mehr auf ein konkretes Datum einlassen.
"Wir lassen uns nicht unter Druck setzen", betont Linnemann. In den Koalitionsverhandlungen gingen "Klarheit und Gründlichkeit vor Schnelligkeit". SPD-Chef Klingbeil sieht das genauso, es müsse alles gründlich ausverhandelt werden. "Das ist uns doch in der jetzigen Regierung auf die Füße gefallen, dass man vielleicht manche schönen Sätze im Koalitionsvertrag formuliert hat, sie aber unterschiedlich interpretiert wurden."
Über Ministerposten wird zuletzt gesprochen
Um den Zuschnitt der zukünftigen Ministerien und um Personalien der neuen Regierung wird es erst gehen, wenn die Inhalte geklärt sind. Bis dahin hält Lars Klingbeil noch einen Appell bereit: Es gehe "jetzt nicht darum, wer setzt sich wo durch, welche Trophäen werden gesammelt". Wichtig sei für alle Beteiligten, dass sie "eine gemeinsame Verantwortung für unser Land" hätten.