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PolitikEuropa

Ein Kanal gegen die Russland-Abhängigkeit

5. Oktober 2022

Damit Schiffe in Richtung Ostsee nicht mehr durch russische Hoheitsgewässer müssen, hat Polen einen Kanal gebaut. Einige sehen in der millionenschweren Investition einen Befreiungsschlag - andere nur ein Prestigeprojekt.

Schifffahrtskanal bei Skowronki in Polen
Der neue Kanal führt durch die Landzunge Frische Nehrung in die OstseeBild: Adam Warzawa/pap/dpa/picture alliance

Es war eine große Feier für einen kurzen Weg: Mitte September weihten Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und Staatspräsident Andrzej Duda an der polnischen Küste einen Kanal ein, der den Hafen von Elbląg mit der Ostsee verbindet. Es ist ein 1,3 Kilometer langer Durchstich durch die Frische Nehrung, eine Landzunge, die teils in Polen und teils in der russischen Enklave Kaliningrad liegt. Der Kanal soll Schiffen künftig den 60 Kilometer langen Umweg über die russischen Hoheitsgewässer in der Nähe des Kaliningrader Hafens Baltijsk ersparen. Zwischen Polen und Russland gibt es zwar Abkommen, die die Passage durch diese Wasserstraße regeln, doch häufig hängt der reibungslose Verkehr auf dieser Route von der politischen Wetterlage ab. Diese Abhängigkeit soll nun wegfallen, so die Hoffnung der polnischen Regierung. 

Ein symbolträchtiges Projekt - lange vor Russlands Ukraine-Angriff

Angesichts von Russlands Angriff auf die Ukraine und der sich zuletzt deutlich verschlechternden Beziehung zwischen Polen und Russland scheint der Kanal gerade zur rechten Zeit zu kommen. Doch das Projekt ist schon deutlich länger in Planung - und umstritten. Der heutige Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und frühere Premierminister Jaroslaw Kaczynski hatte das jahrzehntelang diskutierte Vorhaben 2006 angeschoben, nachdem Russland internationalen Schiffen aufgrund eines angeblich abgelaufenen Vertrags die Passage über die Meerenge bei Baltijsk verweigert hatte. Ein 2009 geschlossener Vertrag entschärfte die Situation zwar wieder und für Donald Tusk, Kaczynskis Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, hatte das Projekt keine Priorität. Doch mit der Machtübernahme der nationalkonservativen Partei PiS 2016 bekam auch das Kanal-Projekt einen neuen Schub. 2019 schließlich begannen die Arbeiten am Kanal.

Kräne im Hafen von KaliningradBild: Vitaly Nevar/TASS/picture alliance

Der erste Bauabschnitt des Kanals wurde ausgerechnet am 17. September 2022 eröffnet, dem Jahrestag des sowjetischen Überfalls auf Polen - ein symbolträchtiges Datum. Kurz nach dem deutschen Angriff am 1. September 1939 hatte die Rote Armee damals gemäß eines geheimen Zusatzprotokolls des Hitler-Stalin-Pakts die östlichen Gebiete Polens besetzt. Und nun, genau 83 Jahre später, twitterte Premierminister Morawiecki am Tag der Eröffnung stolz: "Der Schifffahrtskanal durch die Frische Nehrung, der heute eröffnet wird, ist ein Weg der Freiheit, der neuen Chancen und Möglichkeiten. Am 83. Jahrestag des Überfalls der Sowjetunion auf Polen zerreißen wir symbolisch die letzten Fesseln unserer Abhängigkeit von Russland."

"Die Idee war, diese Wasserstraße symbolisch zu eröffnen, damit wir nicht ein Land um Genehmigung bitten müssen, das uns nicht freundlich gesinnt ist - ein Land, das nicht zögert, andere anzugreifen und zu versklaven", sagte Staatspräsident Duda. Und PiS-Chef Kaczynski, der bei den Feierlichkeiten auch zugegen war, versprach viele neue Arbeitsplätze in Zusammenhang mit dem Kanalbau, der zu einem der Leuchtturmprojekte der PiS geworden ist. 

Symbolpolitik: Der Kanal ist immer noch im Bau 

Auch die Eröffnungsfeier an sich war rein symbolischer Natur. Für den Wasserverkehr hat sich nichts geändert: Transportschiffe müssen weiterhin russische Gewässer passieren, denn die Fahrrinne des neuen Kanals ist gerade einmal zweieinhalb Meter tief, das reicht nicht für größere Frachtschiffe.

Die geplante fünf Meter tiefe Fahrrinne ist noch im Bau. Außerdem muss in Elbląg ein Wendekreis für Schiffe entstehen. Zu den fast 500 Millionen Euro, die bereits ausgegeben wurden, kommen also noch viele Millionen Euro hinzu. 

Sind die Bauarbeiten am Kanal erst einmal abgeschlossen, sollen bis zu 100 Meter lange und 20 Meter breite Schiffe den Elbląger Hafen erreichen. Dann soll auch Danzig, das über den größten Containerhafen im Ostseeraum verfügt, entlastet werden, weil mittlere Frachtschiffe direkt nach Elbląg statt nach Danzig geschickt werden können. Ladung, die in Danzig ankommt, könnte mit kleineren Transportschiffen, sogenannten Feederschiffen, nach Elbląg transportiert werden, um hier umgeladen zu werden - das könnte das Straßen- und Schienennetz entlasten, so die Hoffnung.

Ein Containerschiff wird entladenBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

Derzeit werden in Elbląg 90.000 Tonnen Waren umgeschlagen. Nach der Fertigstellung der neuen Wasserstraße könnte die Kapazität auf bis zu 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr steigen. Das klingt nach viel, doch zu dem von der PiS versprochenen Wirtschaftsmotor wird der Hafen dadurch nicht unbedingt. Zum Vergleich: In Danzig werden jährlich über 60 Millionen Tonnen, in Hamburg etwa 130 Millionen Tonnen umgeschlagen.

Kritik am Kanal: Verschlammte Baggerlöcher und trübes Wasser

Die Reaktionen auf das riesige PiS-Prestigeprojekt in direkter Nachbarschaft sind bei den Bewohnern der Landzunge gemischt. Krzysztof Rogowski arbeitet als Reiseleiter und lebt in einem Haus, das einen Kilometer entfernt vom neuen Kanal steht. Das alte Haus aus Ziegelsteinen stammt aus dem 19. Jahrhundert, als die nordöstlichen Gebiete des heutigen Polen noch zu Ostpreußen gehörten. Erst 1945 wurde aus dem ostpreußischen Elbling das polnische Elbląg. Von seinem Fenster aus sieht Rogowski jeden Tag die Baumaschinen. Er hält das Projekt für "eine reine Propaganda-Aktion", die trotz Versprechen kaum Arbeitsplätze schaffe. Außerdem würden die Bagger vor seinem Fenster nie fertig werden, glaubt er. "Die Meeresströmungen werden die ausgebaggerten Stellen ständig mit neuem Sand füllen, der Boden bleibt ununterbrochen verschlammt. Die Bagger werden hier für immer bleiben, um die Fahrrinne ständig zu vertiefen", sagt der 50-Jährige. 

Anwohner Krzysztof Rogowski glaubt nicht an ein schnelles Ende des KanalbausBild: Aleksander Rajewski/DW

Auch Krzysztof Cibor von Greenpeace Polen sieht darin ein Problem. "Durch die kontinuierliche Ausbaggerung der Fahrrinne wird das Wasser getrübt, was die Jungfische und wasserfilternden Organismen beeinträchtigt", sagt er. Außerdem wurde mit dem Durchstich, der durch ein Naturschutzgebiet verläuft, der ökologische Korridor vieler Tierarten unterbrochen, die nun ungewollt auf einer Insel leben.

Krzysztof Cibor von Greenpeace PolenBild: Monika Sieradzka/DW

Die künstliche Insel wiederum, die auf dem Frischen Haff, also dem Becken zwischen Elbląg und der Nehrung, aus der weggebaggerten Erde gebaut wird und zum Vogelparadies werden soll, werde die Naturschäden nicht ausgleichen, glaubt Cibor.

Der Hafen von Elbląg: Schlampige Planung oder geplante Übernahme?

Kritik kommt auch von der Opposition - obwohl sich früher auch die liberalen Regierungen für den Bau des Kanals eingesetzt haben. Jerzy Wcisla aus Elbląg, der seit 2019 für die Bürgerkoalition im polnischen Senat sitzt, enthüllte vor drei Jahren Dokumente, die beweisen, dass das Projekt nie gänzlich fertig geplant wurde. Den Wendekreis und den letzten Kilometer Fahrrinne soll deswegen nun die Stadt Elblag bezahlen. Weil die Stadt über die fehlenden 23 Millionen Euro nicht verfügt, schlägt die Regierung jetzt vor, das Geld zuzuschießen und gleichzeitig den Hafen zu übernehmen. 

Senator Jerzy Wcisla aus ElblagBild: Monika Sieradzka/DW

Wcisla hat einen Appell an die Regierung geschrieben, um das Bauprojekt zu beenden - und Tausende Polen haben seinen Aufruf bereits unterschrieben. "Eine Investition absichtlich nicht zu Ende zu planen und damit ein Scheitern des Projekts einzukalkulieren, ist unwirtschaftlich und Amtsmissbrauch", sagt der Senator. Er vermutet, dass der Kanal langfristig vor allem die PiS stärken soll. "Die PiS will ihre Position bei den anstehenden Parlaments- und Kommunalwahlen verbessern. Im Wahlkampf werden sich in Elbląg verschiedene Politiker profilieren und dem Hafen eine große Entwicklung versprechen - unter der Bedingung, dass der Hafen vom Staat kontrolliert wird", sagt Wcisla. Übernimmt der Staat aber die Kontrolle, so befürchtet der Politiker, könne die PiS lukraktive Posten an Parteifreunde vergeben und insgesamt deutlich an Stärke gewinnen in Elblag, wo die Wähler ansonsten eher liberal wählen. 

PiS-Politiker Marek PruszakBild: Aleksander Rajewski/DW

Für den lokalen PiS-Politiker Marek Pruszak, der im Stadtrat von Elbląg sitzt, würde die Verstaatlichung des Hafens mehr Geld für die Stadt bedeuten. "Es ist auch eine Chance für die Entwicklung vieler Bereiche wie Gastronomie, Gastgewerbe und Tourismus", sagt er. Pruszak hofft auf die Beilegung des jetzigen Streits zwischen der Stadt und der Regierung. "Nach dem aktuellen Plan sollen bis Ende 2023 die ersten großen Schiffe im Hafen anlanden", erklärt der Lokalpolitiker. Er hofft, dass die Schiffe am besten noch vor dem nächsten Herbst kommen - wenn in Polen die Parlamentswahlen stattfinden.

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