Die Frau an seiner Seite
16. Juni 2013
Gertrud Steinbrück benötigte nur wenige Minuten, dann hatte sie den nüchternen Saal im Berliner Tempodrom elektrisiert und die Genossen in ihren Bann gezogen. Die Ehefrau des SPD-Kanzlerkandidaten zeigte sich selbstbewusst, witzig und geistreich. Gemeinsam mit ihrem Mann wurde sie beim kleinen Parteitag der SPD von der Fernsehmoderatorin Bettina Böttinger interviewt. Dabei schilderte die Gymnasiallehrerin aus Bonn Steinbrück als einen "ganz normalen Mann" und eine "durch und durch ehrliche Haut".
Sie sei immer erstaunt, wenn sie über ihn in der Zeitung lese, denn sie kenne ihn seit vierzig Jahren ganz anders. Er sei komisch und witzig, gleichzeitig jedoch auch ein Sturkopf, der auch manchmal lernunwillig sei. In den Medien werde er dagegen als hart und kantig dargestellt, als zweite Wahl. Dabei suche man immer nach Kleinigkeiten, die man ihm anhängen können. "Das finde ich schwer zu ertragen". Bevor sich Steinbrück zur Kanzlerkandidatur entschieden habe, hätten sie ein "Super-Leben" geführt, sie hätten Zeit füreinander gehabt, seien zusammen spazieren gegangen und hätten Scrabble gespielt. Auf all dies müssten sie nun verzichten.
Die Tränen des Kandidaten
Die temperamentvollen und empathischen Worte seiner Frau bewegten Steinbrück so sehr, dass er mit den Tränen kämpfte und auf die einfache Frage der Moderatorin nicht antworten konnte: "Warum tun Sie es?" Daraufhin standen die 200 Delegierten auf und spendeten ihm stehend Beifall, bis er sich wieder fasste.
Im düsteren Veranstaltungssaal herrschte auf einmal die bislang so vermisste Aufbruchstimmung. Immer wieder löste Gertrud Steinbrück Heiterkeit aus, als sie aus dem Leben mit dem SPD-Spitzenkandidaten berichtete, über seine handwerklichen Fähigkeiten und seine Leidenschaft für den Modellbau von Schiffen. Bei der Geburt aller drei Kinder des Ehepaares sei er dabei gewesen, nicht üblich für die damalige Zeit. Von ihr habe er immer erwartet, dass sie berufstätig sei und ein eigenes selbständiges Leben führe.
Sollte ihr Mann Kanzler werden, wolle sie nicht die Michelle Obama geben. "Ich sehe nicht so gut aus, ich bin nicht so klug und die Rolle ist bei uns nicht so definiert." Mit dem Bergriff der Landesmutter könne sie nicht viel anfangen. Die Funktion sei in der Verfassung auch nicht vorgesehen. Im Übrigen verstehe sich auch Joachim Sauer, der Ehemann von Bundeskanzlerin Angela Merkel, nicht als "Landesmutter". Sie selbst müsse nun erst mal damit fertig werden, dass ihr Mann eine "Regenbogenehe mit Sigmar Gabriel" führe, sagte sie unter dem Gelächter der Delegierten.
Politische Ehe zwischen Gabriel und Steinbrück
Damit spielte Gertrud Steinbrück auf einen Satz des SPD-Parteichefs an, er führe mit dem Spitzenkandidaten eine gute und fröhliche politische Ehe. Gabriel wollte damit zum Auftakt des Parteikonvents den Streit ausräumen, der die vergangenen Tage bestimmt und überschattet hatte. Steinbrück hatte ihm mangelnde Loyalität vorgeworfen. Dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagte er: "Nur eine Bündelung aller Kräfte ermöglicht es der SPD, die Bundesregierung und Frau Merkel abzulösen." Er erwarte deshalb, "dass sich alle - auch der Parteivorsitzende - in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen."
Vorausgegangen war ein Auftritt Gabriels in der SPD-Bundestagsfraktion in der vergangenen Woche, bei dem er den fehlenden Schwung im Wahlkampf beklagt hatte. Die SPD liegt in Umfragen derzeit zwischen 24 und 28 Prozent. Vor allem Kanzlerkandidat Steinbrück kann im direkten Vergleich mit Kanzlerin Merkel nicht punkten. Auf der Beliebtheitsskala liegt er weit hinter der Amtsinhaberin zurück.
Gabriel bemühte sich, den Eindruck einer gespaltenen Parteispitze zu zerstreuen. "Es gibt Reibungen, Reibungen erzeugen Wärme und Muskeln entstehen in der Bewegung", sagte er.
Familien- und Sozialpolitik
Den politischen Teil des Parteikonvents beherrschte die Familien-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Dazu hatte der Gewerkschafter Klaus Wiesehügel einen Initiativantrag eingebracht. In Steinbrücks Kompetenzteam ist er verantwortlich für den Bereich Arbeit und Soziales. Die SPD will Krippen- und Kitaplätze kostenlos anbieten. Das entlaste die Familien durchschnittlich um monatlich 160 Euro, heißt es.
"Wir wollen, dass Männer und Frauen Arbeit und Familie miteinander verbinden können", sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Manuela Schwesig. Sie beschwor ihre Partei, die letzten 98 Tage bis zum Wahlabend zu kämpfen "bis wir kaum noch Luft haben".