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Teil-Lockdown: Machen die Deutschen das mit?

Kay-Alexander Scholz
29. Oktober 2020

Mehr als vier Stunden haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten verhandelt - und dabei drastische Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie beschlossen. Doch wie werden die Bürger darauf reagieren?

Berlin Kanzlerin Merkel PK zu Corona-Maßnahmen
Bild: Jan Huebner/imago images

Mit neuen, harten Regeln wollen Bund und Länder von Montag an bis Ende November versuchen, die schnell steigenden Corona-Infektionszahlen wieder unter Kontrolle zu bringen. "Wir müssen uns der Welle entgegen stemmen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Beratungen. Ziel sei es, 75 Prozent der Kontakte zu reduzieren, um wieder auf einen ungefähreren Inzidenz-Wert von 50 zu kommen. Ab diesem Wert, so erklärte Merkel, seien Kontakte wieder nachvollziehbar, Infektionsketten könnten unterbrochen werden. 

Anders als im Frühjahr werden Schulen und Kitas nicht geschlossen. Auch der Einzelhandel bleibt offen. Industrie und Handel sollen weiter arbeiten. Dafür gibt es harte Auflagen für den privaten Bereich. Es dürfen sich nur noch maximal zehn Personen aus zwei Haushalten treffen. Restaurants und Cafés dürfen nicht mehr bewirten, sondern müssen wie im Frühjahr auf To-Go-Betrieb umschalten.

Wieder einmal müssen Gaststätten schließen - Gerichte zum Mitnehmen bleiben jedoch erlaubt Bild: Jens Kalaene/dpa/picture-alliance

Den Kulturbereich trifft es noch härter - Theater und Kinos müssen komplett schließen. Das gilt auch für Schwimmbäder, Fitness-Studios und andere Freizeit-Einrichtungen. Betroffene Unternehmen bis zu 50 Mitarbeitern bekommen aber den Umsatzausfall zu 75 Prozent ausgeglichen, wie es hieß. Die Höhe soll sich am Umsatz vom November 2019 orientieren. Touristische Reisen im Inland werden verboten. Neue Kontrollen an den Landesgrenzen soll es aber nicht geben. Demonstrationen bleiben erlaubt, ebenso Gottesdienste. 

Was macht der "Musterschüler"? 

Nach den Beschlüssen stellt sich jedoch die Frage: Werden die Bürger die neuen Anti-Corona-Regeln akzeptieren - oder sich dagegen stellen? Bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr wurde Deutschland als sehr diszipliniert wahrgenommen, die große Mehrheit trug die Maßnahmen mit, blieb zu Hause, reduzierte Kontakte. Zeitungen wie die "Neue Zürcher Zeitung" sprachen gar von "Europas Musterschüler". 

Dennoch gab und gibt es immer wieder Straßenproteste. Bekanntheit erlangten vor allem die "Querdenker 711"-Demonstrationen. Vor kurzem kam es in Berlin sogar zu einem Brandanschlag auf ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts, das auch für Covid-19 zuständig ist. Parallel zu den aktuellen Beratungen im Kanzleramt demonstrierten Tausende Vertreter eines Bündnisses aus Veranstaltungswirtschaft, Gastgewerbe und Tourismusbranche, um auf ihre existenzbedrohende Lage aufmerksam zu machen. Sind das Vorboten einer größeren Protest-Welle?

"Beachtliches Protestpotential" 

Den Organisatoren der bisherigen Proteste sei es nicht gelungen, "eine wirklich organisierte und stark vernetzte Protest-Bewegung daraus zu machen", sagt der Protestforscher Edgar Grande vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin (WZB). Die Proteste hätten sich zerfasert - wohl auch, weil die Teilnehmerschaft sehr heterogen ist.

Proteste der Event-Branche gegen die Corona-Maßnahmen: Viele fürchten um ihre Existenz Bild: Hannibal Hanschke/REUTERS

Dennoch, so betont Grande, wisse man aus regelmäßig stattfindenden Umfragen, dass es ein "durchaus beachtliches Protestpotential gibt". Rund jeder Zehnte sei generell bereit, an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen teilzunehmen. Noch einmal 20 Prozent zeigten Verständnis für die Proteste. Insgesamt sei das eine "signifikante Minderheit", die man nicht ignorieren sollte. Dieses Protest-Potential könne sich vergrößern, "wenn der Kreis der Betroffenen wie aus dem Gastro- oder Kulturbereich oder auch der in Kurzarbeit zunimmt". Und es könnten in einem "sehr langen Winter" noch sehr viele von den Maßnahmen betroffen sein.

Gefahr von Radikalisierung und Polarisierung

Er sehe durchaus die Gefahr einer "Pegidaisierung" der Proteste, sagt Grande - in Anspielung auf die fremdenfeindliche Protestbewegung "Pegida" in Sachsen. Wie damals auch gebe es gerade diffuse und politisch nicht eindeutig ausgerichtete Proteste, die sich zunehmend radikalisieren könnten. Doch gewalttätige Demonstrationen wie derzeit in Italien könne er sich derzeit nicht in Deutschland vorstellen. Dort gebe es eine "ganz andere Protest-Landschaft mit einer schon seit Jahren vorkommenden größeren Militanz".

Auf eine ähnliche Entwicklung weist das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap in seinen neuesten Umfragen hin. Im Vergleich zu Anfang Oktober steigt die Zahl der Kritiker, für die die Maßnahmen zu weit gehen (plus vier Prozentpunkte, gesamt 15 Prozent). 51 Prozent der Befragten empfindet die Maßnahmen als ausreichend, das sind acht Prozentpunkte weniger als noch vor einigen Wochen. Die Kritik in der Bevölkerung wächst also - erste Parteien nehmen das auf.

Merkel hat sich durchgesetzt

Die AfD als größte Oppositionspartei im Bundestag hat sich in den vergangenen Monaten als grundlegende Kritikerin der Corona-Politik präsentiert, ohne allerdings in den Wahl-Umfragen zuzulegen. Auch die Liberalen von der FDP, zweitgrößte Oppositionspartei im Bundestag, warnten zuletzt vor allem vor den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Politik. Parteichef Christian Lindner schrieb auf Twitter: Die Gastronomie komplett stillzulegen halte er "für unnötig und deshalb auch für verfassungswidrig". Zuletzt hatten Gerichte in Deutschland einige der Maßnahmen wie Sperrstunden und Beherbergungsverbote wieder gekippt.

Immerhin ist mit den neuen Maßnahmen noch eine andere Nachricht verbunden. Kanzlerin und Ministerpräsidenten ziehen wieder an einem Strang - obwohl manche Länderchefs noch vor dem Treffen im Kanzleramt Widerstand angekündigt hatten. Nun konnte sich die Bundeskanzlerin mit ihrer harten Linie durchsetzen. "Alle machen mit, das ist für mich eine gute Nachricht", sagte Merkel.

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