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Politik

EU erwägt freiwillige Umsiedlung

1. Dezember 2017

Polen und Ungarn haben sich durchgesetzt: Die EU könnte die verbindliche Umverteilung von Flüchtlingen fallenlassen. Sie ist nicht durchzusetzen. Der Dauerstreit soll enden. Bernd Riegert berichtet aus Brüssel.

Frankreich - Flüchtlinge erreichen Flughafen nach Umsiedlung von Athen
Umverteilt nach EU-Quote: Flüchtlinge aus Athen wurden nach Lyon verlegt (Oktober 2017)Bild: Getty Images/AFP/R. Lafabregue

Zwei Jahre nach dem massiven Zustrom von Flüchtlingen und Migranten ringen die EU-Mitgliedsstaaten immer noch um ein System, wie künftig Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten in Europa verteilt werden sollen. Das von der EU vor zwei Jahren ursprünglich beschlossene Quotensystem ist gescheitert, weil viele Mitgliedsstaaten entweder gar keine oder nur wenige zugewiesene Migranten aufnehmen, trotz anderslautender Gerichtsurteile. Italien, Griechenland, Deutschland und andere fordern Solidarität und eine gleichmäßige Verteilung der Menschen. Polen, Ungarn, die Slowakei, Tschechien, Österreich und andere stehen einer zwangsweisen Verteilung aber sehr kritisch gegenüber. Bis zum Juni 2018 will die Europäische Union diese Migrationskrise eigentlich gelöst haben. Dann sollen die Staats- und Regierungschefs entscheiden, um den bitteren Streit zu beenden, der die EU grob in West und Ost aufteilt.

"Obergrenze" für jedes Mitgliedsland

Bislang verliefen die Diskussionen um das heikle Thema, wer wie viele Flüchtlinge oder Asylbewerber aufnehmen muss, im Sande. Die derzeitige Ratspräsidentschaft der EU, Estland, hat jetzt einen neuen Vorstoß unternommen. Zusammen mit der EU-Kommission legte Estland den 28 Botschaftern der EU einen Vorschlag zur Beratung vor, der eine Art "Phasenmodell" vorsieht, ein Mischung aus freiwilligen Aufnahmen und verbindlichen finanziellen Beiträgen. 

Die EU muss abhängig von Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl des jeweiligen Mitgliedslandes festlegen, wie viele Flüchtlinge, Asylbewerber oder Migranten pro Jahr aufgenommen werden müssten. Für jedes Land würde also eine "Obergrenze" eingeführt. Gegen diesen Begriff hat sich die noch geschäftsführende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel aus innenpolitischen Gründen aber immer gewehrt.

Zwei Phasen für den Krisenfall

1. Phase: Wenn ein EU-Staat 90 Prozent der Aufnahmekapazität erreicht hat, soll die EU-Kommission künftig innerhalb von 14 Tagen die übrigen Staaten auffordern, Personal, Hilfsgüter oder Geld in das betroffene Land zu senden. Das ist etwa die Hilfe, die Griechenland in Form von "Hotspots", also Registrierzentren, 2015 und 2016 zuteil wurde. Aber auch der Aufbau von Lagern und Transportkapazitäten könnte zu den Leistungen zählen, die die EU-Kommission von den Mitgliedsstaaten fordern könnte. Das basiert aber alles auf Freiwilligkeit, kein Staat könnte zur Hilfeleistung gezwungen werden.

2. Phase: Wenn ein EU-Staat 150 Prozent seiner Aufnahmekapazität erreicht hat, sollen die übrigen Staaten zu weiteren Hilfsleistungen und zu einer Umverteilung von Flüchtlingen und Asylbewerbern angehalten werden. Die Maßnahmen würden jetzt vom europäischen Ministerrat beschlossen werden. Das Ganze hätte mehr förmlichen Charakter, aber einen Zwang zur Umsiedlung soll es nicht geben. Nach Angaben eines Sprechers des estnischen Ratsvorsitzes solle eine Umsiedlung freiwillig zwischen abgebendem und aufnehmendem Staat vereinbart werden. "Wir wollen die Zwangsquote auf jeden Fall vermeiden. Wir suchen die Mutter aller Kompromisse", so der Vertreter Estlands.

Theoretische Quoten für die Umverteilung, die nie erreicht wurden

Kritik aus dem Europaparlament

"Dieser Vorschlag ist noch weit von dem entfernt, was wir brauchen", kritisiert die schwedische Europa-Abgeordnete Cecilia Wikström. Die liberale Politikerin ist im Europaparlament für eine Reform der Asylverfahren und der "Dublin-Regeln" zuständig. Die "Dublin-Regeln" legen heute fest, dass das Land der ersten Einreise für einen Asylbewerber zuständig ist. Griechenland und Italien als die hauptsächlichen Ersteinreiseländer wollen diese Regeln lockern. "Mit dem Vorschlag der estnischen Präsidentschaft würden wir die Fehler der Vergangenheit wiederholen", kritisierte Cecilia Wikström. Das Europaparlament hatte sich Mitte November erneut dafür ausgesprochen, verpflichtende Quoten für die Verteilung von Migranten einzuführen.

EU-Diplomaten in Brüssel sind frustriert, weil die MitgliedsstaatenEntscheidungen über die Dublin-Regeln schon mehrfach verschobenhaben. Ohne eine entscheidungsfähige Regierung in Deutschland könnte sich die Reform weiter verschieben. Bislang hatte Bundeskanzlerin Merkel sich für mehr Solidarität unter den Mitgliedsstaaten ausgesprochen, die notfalls auch erzwungen werden müsste. "Solidarität ist keine Einbahnstraße", heißt es von EU-Diplomaten immer wieder mit Hinweis auf die finanzielle Solidarität, die Nettozahler wie Deutschland, die Niederlande oder Italien den ärmeren Staaten im Osten angedeihen lassen. Spätestens, wenn im nächsten Jahr über die langfristige Haushaltsplanung der EU verhandelt werde, werde man auch über Umsiedlung und gerechte Schlüssel sprechen müssen, deuten EU-Diplomaten in Brüssel an.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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