Fast achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschließt die Bundesregierung ein Konzept für ein Dokumentationszentrum in Berlin. Es soll die Auswirkungen der Nazi-Zeit in Europa aufarbeiten.
Anzeige
Schon vor zwei Jahren hat sich der Bundestag für die Errichtung eines Dokumentationszentrums für alle Opfer des deutschen Vernichtungskrieges und der NS-Besatzungen ausgesprochen. Jetzt billigte die Bundesregierung einen Realisierungsvorschlag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Der Entwurf für den neuen Lern- und Gedenkort wurde vom Deutschen Historischen Museum entwickelt.
Scholz: "Es ist gut, dass das jetzt und zu diesem Zeitpunkt geschieht"
Das Dokumentationszentrum soll die Dimension der Schreckensherrschaft der Nazis in ganz Europa verdeutlichen. Mit dem Beschluss, einen weiteren Gedenk- und Dokumentationsort in Berlin zu errichten, bringt die Bundesregierung zentrale erinnerungspolitische Vorhaben der vergangenen Wahlperiode voran.
Bundeskanzler Olaf Scholz teilte am Rande einer Kabinettssitzung in Meseberg mit, dass es gerade mit Blick auf den aktuellen Krieg in der Ukraine wichtig sei, an die historische deutsche Verantwortung, die deutsche Besatzungsherrschaft und die von Deutschen verursachte Zerstörung zu erinnern.
"Wichtiges erinnerungspolitisches Signal"
Kulturstaatsministerin Claudia Roth kommentierte, dass die "Neugestaltung der Erinnerungspolitik" ein "zentrales Vorhaben der Bundesregierung" sei. In dem neuen Konzeptentwurf solle die deutsche Erinnerungspolitik bewusst in einen europäischen Kontext gestellt werden. Es gehe darum zu beleuchten, wie die verheerende NS-Diktatur Krieg, Zerstörung und Vernichtung bis hin zum Menschheitsverbrechen des Holocaust ganz Europa in Mitleidenschaft gezogen hat.
Im Mittelpunkt des Zentrums sollen die Opfer vor allem in Polen, dem Baltikum, der Sowjetunion, Jugoslawien und Griechenland stehen.
Das Dokumentationszentrum hat den Auftrag, zu einem besseren Verständnis der Gegenwart beizutragen. "Dieses Erinnern soll vor allem auch in die Zukunft gerichtet sein und deutlich machen, wie wichtig für das europäische Projekt und für unser Land im Herzen Europas Demokratie, Rechtsstaat und gelebte Vielfalt sind, wie entscheidend unser Engagement in und für Europa ist", führte Roth weiter aus.
Anzeige
Standort noch ungewiss
Über das Konzept muss jetzt noch im Bundestag abgestimmt werden. Die Frage nach einem geeigneten Standort in Berlin steht auch noch aus.
Das Dokumentationszentrum Zweiter Weltkrieg ist jedenfalls nicht die einzige Erinnerungsstätte, für die derzeit ein Standort gesucht wird. Drei weitere Gedenkstätten sollen in der deutschen Hauptstadt entstehen: für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft, die polnischen Opfer von Krieg und Nazi-Terror sowie NS-Opfer unter den Zeugen Jehovas.
Das Grauen der NS-Zeit in Graphic Novels
In den Niederlanden wurde der vielleicht älteste Comic über Nazis entdeckt. Doch es gibt noch mehr Comics, die sich mit der NS-Zeit beschäftigen.
Bild: Institut zur Erforschung von Krieg, Holocaust und Völkermord/picture alliance
Der vermutlich älteste Comic über Nazi-Gräuel
Der niederländische Historiker Kees Ribbens entdeckte bei einem Internet-Händler in den USA den Comic "Nazi Death Parade" aus dem Jahr 1944. Die Zeichnungen zeigen Menschen in Viehwaggons, ihre Ermordung in als Duschen getarnten Gaskammern und die Verbrennung der Leichen in Öfen und beruhen auf Berichten von Augenzeugen. Der Comic war laut Ribbens Teil einer Kampfschrift gegen das NS-Regime.
Bild: Institut zur Erforschung von Krieg, Holocaust und Völkermord/picture alliance
"Maus. Geschichte eines Überlebenden"
Der weltberühmte Comic des US-Amerikaners Art Spiegelman über die NS-Zeit erschien 1991. Darin werden Juden als Mäuse und Deutsche als Katzen dargestellt. In der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Graphic Novel erzählt der Autor die Geschichte seines Vaters, eines Auschwitzüberlebenden, und spart auch den Suizid der Mutter und das spannungsgeladene Verhältnis der Familie nicht aus.
Bild: Artie/Jewish Museum New York/picture alliance
Die NS-Zeit aus der Sicht eines Kindes
"Wenn ich Albträume habe, erzähle ich sie Mama, und danach geht’s viel besser. Willst du mir deine erzählen?", fragt Elsa ihre Großmutter Dounia. Diese bricht ihr jahrzehntelanges Schweigen, und so erfährt die Enkelin, was die Oma als jüdisches Mädchen in Frankreich erleiden musste. Loïc Dauvillier plädiert in seiner Graphic Novel von 2014 dafür, auch in dunklen Zeiten menschlich zu bleiben.
Zwischen Deutschland und Mallorca
Auch dieser Comic von 2016 hat autobiografische Züge: Autorin Katrin Bacher besucht ihre Tante auf Mallorca. Deren Vater war 1933 mit seiner Familie auf die sonnige Insel gezogen. Als drei Jahre später der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, ging die jüdische Mutter mit den Kindern nach Deutschland zurück. "Tante Wussi" erzählt eine Familiengeschichte zwischen Ausgrenzung und Verfolgung.
Der Bunker "Valentin"
Der Comic-Autor Jens Genehr gibt ehrenamtlich Führungen im von den Nazis erbauten U-Boot-Bunker Valentin in Bremen-Farge. Sein Buch aus dem Jahr 2019 basiert auf den Tagebucheinträgen des Franzosen Raymond Portefaix, der als KZ-Häftling für den Bau dieses gigantischen Rüstungsprojekts eingeteilt wurde. Mehr als 1000 Zwangsarbeiter aus ganz Europa ließen damals ihr Leben.
"Beate & Serge Klarsfeld. Die Nazi-Jäger"
Dieser 2020 erschienene Comic von Pascal Bresson und Sylvain Dorange erzählt die wahre Geschichte von Beate Klarsfeld. Als sie in Paris ihren späteren Mann Serge, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde, kennenlernt, kämpfen beide fortan dagegen, dass NS-Kriegsverbrecher nach 1945 ungeschoren davon kamen. 1968 ohrfeigt Beate Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und bezeichnet ihn als Nazi.
Bild: 2020 Pascal Bresson, Sylvain Dorange, La Boîte à Bulle/Carlsen Verlag GmbH