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PolitikAfrika

Neues Massaker in Nord-Mosambik?

10. November 2020

Die mosambikanische Provinz Cabo Delgado kommt nicht zur Ruhe: Nach aktuellen Meldungen sollen Islamisten bei einem Angriff mehr als 50 Dorfbewohner ermordet haben. Doch es gibt noch keine Bestätigung - und viele Fragen.

Zerstörtes Dorf im Norden von Mosambik
Immer wieder kommt es zu Angriffen auf Dörfer (Archivbild)Bild: AFP/J. Nhamirre

Twitter-User sind in Aufruhr. Auf dem Kurznachrichten-Dienst kursieren Berichte über ein neues Massaker im Norden Mosambiks, das sich am vergangenen Wochenende im Dorf Muatide ereignet haben soll. Dort seien 50 Menschen enthauptet worden, melden auch mehrere internationale Medien, darunter die Deutsche Welle. "Ja, es sind 50, nicht nur zwei wie in Frankreich", twittert etwa der kanadische Kolumnist Tarek Fatah in Anspielung auf die Messerattacke in der französischen Stadt Nizza, bei der Ende Oktober drei Menschen ermordet wurden. Fatahs provokante Frage: "Afrikaner sind Kinder von niedrigeren Göttern, oder?" 

Andere User entrüsten sich, dass die letzten Meldungen zum Terror in Mosambik in der Flut der US-Wahl-Berichterstattung untergegangen seien. "Auf einmal haben schwarze Leben keine Bedeutung für Liberale, weil es nicht um Amerika geht", schreibt Twitter-Userin Vaidehi.

Tatsächlich gibt es große Schwierigkeiten, Meldungen aus der mosambikanischen Unruheprovinz Cabo Delgado zu verifizieren. Journalisten und Menschenrechtsorganisationen haben kaum Zugang zu der abgelegenen Region. In den großen mosambikanischen Medien sind keine Berichte über den angeblichen Angriff auf Muatide zu finden. Die Meldungen auf Twitter und in den internationalen Medien stützen sich im Wesentlichen auf einen Bericht der privaten Nachrichtenplattform Pinnacle News, außerdem soll Polizeichef Bernardino Rafael das Massaker auf einer Pressekonferenz am Montag angesprochen haben. Doch Journalisten vor Ort wissen nicht einmal, dass überhaupt eine Pressekonferenz stattgefunden haben soll.

Angriffe gehören zur Tagesordnung

Solche Vorfälle seien leider nichts Außergewöhnliches, sagt Zenaida Machado von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Seit Beginn der Unruhen im Oktober 2017 habe es immer wieder Berichte über Enthauptungen gegeben. Aber auch sie habe in zahlreichen Gesprächen bisher keine Bestätigungen für die Berichte über das jüngste Massaker bekommen können, so Machado im DW-Gespräch. Auf Twitter begrüßte sie indes, dass wieder über den Konflikt berichtet werde.

Die Sicherheitskräfte haben die Angriffe nicht stoppen könnenBild: Roberto Paquete/DW

Auch der katholische Bischof der Provinzhauptstadt Pemba, Luiz Fernando Lisboa, kann die Zahl von 50 Opfern nicht bestätigen. "Dass es Angriffe gab wissen wir, dass Menschen dabei gestorben sind, wissen wir auch", so Lisboa im DW-Interview. "Aber, dass auf dem Fußballfeld von Muatide 50 oder mehr Menschen ermordet worden sein sollen, das wissen wir nicht wirklich. Wer da behaupt, er wisse Genaues, riskiert einiges."

Hunderttausende auf der Flucht

Die fragile Sicherheitslage in der öl- und erdgasreichen Provinz Cabo Delgado hat sich in den letzten Monaten noch verschlechtert. Im August hatte islamistische Kämpfer zum wiederholten Mal die kleine Hafenstadt Mocímboa da Praia angegriffen und teilweise eingenommen. Dort hatten die Gewaltwelle im Oktober 2017 begonnen, als lslamisten eine Polizeistation angriffen, zahlreiche Beamte töteten und Waffen raubten. Seitdem hat sich die Lage weiter verschlechtert: Der Investigativjournalist Estácio Valói sprach im August 2020 von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die Lage sei völlig außer Kontrolle. Die Regierung hält mit Erfolgsmeldungen dagegen. Im August berichtete sie, Sicherheitskräfte hätten 59 Terroristen getötet. Auch das konnte von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden.

Viele Menschen sind auf der FluchtBild: DW

Der bisher schwerste Angriff ereignete sich im April dieses Jahres, als 52 Menschen in dem kleinen Dorf Xitaxi ermordet wurden. "Jahrhundertelang lebten die verschiedenen Religionsgemeinschaften hier friedlich miteinander, aber das hat sich geändert", sagte Valói damals der DW. Er befürchte, in Mosambik könnten bald Zustände wie in Somalia herrschen. Die Angreifer werden in Nordmosambik oft als Al-Shabaab bezeichnet - so nennt sich auch die islamistische Miliz in Somalia. Seit 2019 bezeichnen sich die Kämpfer in Mosambik als Teil der Terrororganisation „Islamischer Staat". Experten glauben jedoch, dass die meisten Mitglieder der Gruppe aus Nordmosambik oder aus dem nahen Tansania stammen.

Nur wenigen Beobachtern gelingt es noch, in die ländlichen Gegenden der Provinz Cabo Delgado vorzudringen. Das sei auch auf Regierungstruppen zurückzuführen, die ebenfalls Menschenrechtsverletzungen verübt hätten und dafür keine Zeugen wollten, sagt HRW-Experten Zenaida Machado. Nun stelle die prekäre Sicherheitslage eine weitere Hürde dar.

Rund 435.000 Menschen sind inzwischen auf der Flucht. Allein in den vergangenen drei Wochen sind 11.000 Menschen in der kleinen Provinzhauptstadt Pemba angekommen. Die Notunterkünfte sind überlaufen, viele versuchen, privat unterzukommen. Teilweise würden 50 Personen in einem Haushalt leben, sagt Machado. Die Flüchtlinge in Pemba böten eine seltene Gelegenheit, an Informationen über Menschenrechtsverletzungen zu kommen. Doch auch das funktioniere meist nur über persönliche Kontakte: Der Staat schirme die Neuankömmlinge so weit wie möglich ab.

Mitarbeit: Antonio Cascais, Raquel Loureiro