Angst in Bangui
18. April 2013Die Angst gehört zum Alltag in Boy-Rabe, einem Viertel im Norden der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui. Die Geschäfte sind geschlossen, viele Menschen trauen sich nicht aus ihren Häusern. Und selbst dort fühlen sich einige nicht mehr sicher, seit die Séléka-Rebellen durch die Straßen ziehen. "Sie schießen, sie plündern die Häuser, und wir haben große Angst", sagt eine junge Frau, die mit ihren Kindern in ein Krankenhaus geflüchtet ist. "Wir werden hier bleiben, bis die Schüsse aufhören. Vorher gehen wir nicht zurück in unser Viertel."
Bei Zusammenstößen zwischen Bürgern und Rebellen in Bangui kamen in den vergangenen Tagen etliche Menschen ums Leben, wie Medien und das Rote Kreuz berichteten. Beobachter sprechen von den schwersten Kämpfen seit dem Sturz der Regierung Bozizé durch die Séléka-Rebellen am 24. März 2013. Bereits zuvor hatten die Aufständischen den Rücktritt des Präsidenten gefordert. Ihr Vorwurf: François Bozizé habe sich nicht an die Vereinbarungen des Friedensabkommens vom Januar gehalten und die Séléka-Kämpfer nicht in die Armee integriert.
Die neuen Herrscher plündern
Das Viertel Boy-Rabe gilt als Hochburg des Ex-Präsidenten, der nach seinem Sturz ins Nachbarland Kamerun floh. Der blutige Putsch stieß international auf Kritik. Und auch Wochen nach der Machtübernahme durch die Séléka ist die Sicherheitslage in der Hauptstadt äußerst instabil. Die Vereinten Nationen werfen den Rebellen Plünderungen und Gewalt gegen Zivilisten vor.
"Séléka" - das heißt in der zentralafrikanischen Nationalsprache Sango "Allianz". In dem Bündnis haben sich verschiedene zentralafrikanische Widerstandsgruppen zusammengeschlossen. Viele kämpfen schon seit Jahren um mehr Macht und Einfluss im Staat, oft auch gegeneinander. "Die Séléka-Rebellen sind eine zusammengewürfelte Allianz aus verschiedenen Einheiten. Nicht alle werden kontrolliert. Es handelt sich nicht um eine durchstrukturierte Rebellenarmee", sagt Afrika-Experte Andreas Mehler vom GIGA-Institut in Hamburg. Mit anderen Worten: Das neue Regime hat die eigenen Truppen nicht im Griff. Dazu komme die große Armut im Land, sagt Mehler der DW: "Die Rebellen plündern jetzt wohl auch, um sich das zu sichern, was sie als Soldzahlungen nicht bekommen." In vielen Vierteln hätten sich die Einwohner zur Wehr gesetzt, so sei die jüngste Gewalteskalation zu erklären.
Rebellenchef wird Präsident
Die Truppen auf der Straße plündern, die politische Spitze der Séléka richtet sich im Präsidentenpalast ein. Ihr Chef, Michel Djotodia, ließ sich am Wochenende vom Nationalen Übergangsrat offiziell zum Staatschef erklären. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Djotodia macht Bozizés Lager für die Gewalt verantwortlich. "Präsident Bozizé hat über Monate hinweg Waffen an die Bevölkerung verteilt", verkündete Kommunikationsminister Christophe Gazembeti bereits in der vergangenen Woche. "Die Menschen sind heute unzufrieden und treiben nun mit den Waffen ihr Unwesen."
Der 63-jährige Séléka-Anführer Djotodia selbst gilt eher als Intellektueller denn als Kämpfer. Er kommt aus dem Nordosten der Zentralafrikanischen Republik und ist der erste Muslim an der Spitze des mehrheitlich christlichen Landes. Gleich nach dem Putsch setzte er die Verfassung außer Kraft und die Regierung unter Ministerpräsident Nicolas Tiangaye ab. Der darf nun allerdings das neu gebildete Kabinett führen, dem nach Angaben des zentralafrikanischen Rundfunks Vertreter der Rebellen, der ehemaligen Opposition, der Zivilgesellschaft sowie ein Anhänger des Ex-Präsidenten Bozizé angehören. Binnen 18 Monaten solle es Wahlen geben, kündigte Djotodia an. Er wolle dafür sorgen, dass wieder Ruhe und Frieden herrschen in dem Krisenland.
Flüchtlingswelle nach dem Putsch
Die Bevölkerung lebt weiter in Angst: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind seit der Machtübernahme der Rebellen im März etwa 40.000 Menschen in die Nachbarländer Tschad, Kamerun und in die Demokratische Republik Kongo geflohen. Zehntausende leben als Flüchtlinge im eigenen Land. Hilfsorganisationen kritisieren, dass ihre Mitarbeiter keinen freien Zugang zu Notleidenden hätten. "Die aktuelle Lage ist für uns sehr problematisch. Wir werden überfallen, unsere Autos werden gestohlen, unsere Mitarbeiter bedroht", sagt Tom Roth von der Nothilfe-Organisation "Ärzte ohne Grenzen". Er steht in engem Kontakt mit den Helfern in der Zentralafrikanischen Republik. Das Land habe derzeit keine funktionierende Regierung, die den Menschen Sicherheit garantiere, so Roth. "Sie können nicht ins Krankenhaus gehen, nicht auf die Arbeit oder aufs Feld. Wir sorgen uns also um das tägliche Überleben der Leute dort."
Rebellengruppen rekrutierten zudem verstärkt Kindersoldaten, warnt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF. Die Jungen und Mädchen würden nicht nur für Kämpfe missbraucht, sondern auch als Spione, Boten oder Köche eingesetzt.
Wie glaubwürdig ist das Rebellen-Regime?
Wenn erst einmal wieder Ruhe einkehren würde im Land, sei schon viel geschafft, sagt Afrika-Experte Mehler. Notfalls müssten die Nachbarstaaten eingreifen, vor allem der Tschad habe die nötige militärische Stärke.
Vor allem aber müsse der neue Machthaber und Séléka-Chef Djotodia seinen Worten endlich Taten folgen lassen. "Es ist klar, dass Djotodia auch danach beurteilt werden wird, ob er anfängt, wieder öffentliche Güter produzieren zu lassen." Krankenhäuser müssten funktionieren, Straßen freigeräumt werden und die Märkte wieder öffnen. "Nur dann gewinnt er Glaubwürdigkeit, andernfalls nicht", sagt Mehler.
Eine multinationale Einsatztruppe ist bereits vor Ort, sie soll zur Friedenssicherung in der Zentralafrikanischen Republik beitragen. Zurzeit umfasst sie jedoch nur rund 500 Mann, darunter Soldaten aus dem Tschad, Kamerun, Gabun und dem Kongo. Am Donnerstag (18.04.2013) beschlossen die Staatschefs mehrerer zentralafrikanischer Staaten, die Truppenstärke auf 2.000 Mann zu erhöhen - eine Reaktion auf die blutigen Auseinandersetzungen. Außerdem betonten sie, dass der Chef der Übergangsregierung Djotodia wie angekündigt nach 18 Monaten freie und demokratische Wahlen abhalten müsse - ohne dabei selbst zu kandidieren.
Sollten im kommenden Jahr tatsächlich Wahlen stattfinden - es wäre erst das vierte Mal seit 1979. In Sachen Demokratie hat das Land einen miserablen Ruf, immer wieder gab es Staatsstreiche und Aufstände. Schon Ex-Präsident Bozizé hatte seinen Vorgänger gewaltsam gestürzt. Die Geschichte wiederholt sich in der Zentralafrikanischen Republik.