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Neues vom NSU und vom Verfassungsschutz

4. November 2022

2011 fliegt die Nazi-Terrorgruppe auf. Nun wird ein Geheimdienst-Bericht geleakt und das Verfassungsgericht entscheidet zugunsten eines NSU-Helfers.

Deutschland Demonstration NSU Prozess Kein Schlusstrich
Demonstration "Kein Schlussstrich" nach der Urteilsverkündung im NSU-Prozess in München (11.07.2018)Bild: Christian Mang/IMAGO

Rückblende: Am 4. November 2011 enttarnt Beate Zschäpe die Terrorgruppe, der sie selbst angehört und die sich den Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gegeben hat. Auslöser ist der mutmaßliche Suizid ihrer Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, kurz bevor die Polizei sie festnehmen kann. Anschließend verschickt Zschäpe ein Bekennervideo an Medien. Darin rühmt sich der NSU seiner Verbrechen. Auf das Konto des Trios gehen zehn rassistisch motivierte Morde und Bombenanschläge, bei denen zahlreiche Menschen schwer verletzt werden.

Untersuchungsausschüsse mit mäßigem Erfolg

2018 wird die einzige überlebende Terroristin nach einem fünf Jahre dauernden Strafprozess vor dem Oberlandesgericht München zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Warum der NSU länger als ein Jahrzehnt unentdeckt bleibt, versuchen mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse herauszubekommen - mit mäßigem Erfolg. Was auch damit zu tun hat, dass Geheimdienst-Akten unter Verschluss bleiben.

Überlebende NSU-Opfer und Angehörige der Ermordeten sind empört und enttäuscht. Auch im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund erfährt niemand etwas darüber, was der Verfassungsschutz über die mordend durch Deutschland ziehende Nazi-Gruppe weiß und ob der Inlandsgeheimdienst womöglich Mitwisser in den eigenen Reihen deckt.

Doch mit der Geheimniskrämerei ist es jetzt zumindest teilweise vorbei, weil das Internetportal FragDenStaat und der TV-Satiriker Jan Böhmermann Ende Oktober 2022 einen ihnen zugespielten Bericht des hessischen Verfassungsschutzes veröffentlicht haben.

Jan Böhmermann veröffentlichte im "ZDF Magazin Royale" einen ihm zugespielten Bericht des hessischen VerfassungsschutzesBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Sehr zur Freude von Gamze Kubașik, deren Vater Mehmet im April 2006 in Dortmund erschossen wurde.

Gamze Kubașik: "Der Verfassungsschutz hat versagt"

Unter dem Eindruck der geleakten 173 Seiten fragt sich die Tochter, warum der 2014 verfasste Bericht 30 Jahre geheim gehalten werden sollte? Ursprünglich waren sogar 120 Jahre vorgesehen. Was sie dem Dossier entnehmen kann, kommt Gamze Kubașik bekannt vor: "Der Verfassungsschutz hat versagt. Er hat die Neonazis damals, wie heute massiv unterschätzt", schreibt sie in einer von ihrem Anwalt veröffentlichten Erklärung. 

Gamze Kubașik am 11. Juli 2018, als die NSU-Terrorsitin Beate Zschäpe zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wirdBild: picture alliance/dpa/T. Hase

Spitzel des Verfassungsschutzes, sogenannte V-Leute, hätten mit ihrem Geld und ihren Möglichkeiten die Nazis unterstützt, statt sie zu bekämpfen. "All das ist nicht neu", stellt Gamze Kubașik fest. Dennoch sei der nun veröffentlichte Bericht wichtig, "denn er zeigt, dass die Verfassungsschutzämter offensichtlich selbst ihre heftige Fehleinschätzung gesehen haben".

NSU-Akten sollen verschwunden sein

Dem Bericht zufolge sollen mindestens 200 Akten mit NSU-Bezug unauffindbar sein. Gamze Kubașik zweifelt an dieser Darstellung: Was möglicherweise direkt zum Nationalsozialistischen Untergrund und der Arbeit des Verfassungsschutzes in Hessen führen könnte, "verschwindet einfach" - fragt sie. Deshalb freue sie sich über jeden weiteren Whistleblower. Für den Verfassungsschutz ist der geleakte Bericht ein unerwarteter Rückschlag, gegen den er sich mit einer Strafanzeige wehrt. 

Derweil muss der Inlandsgeheimdienst noch einen weiteren Rückschlag verdauen, denn künftig dürfen von ihm heimlich gesammelte Daten über Personen nur noch in Ausnahmefällen an die Polizei und Staatsanwaltschaft weitergeben werden. Auch diese am 3. November 2022 veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat mit dem NSU zu tun: Geklagt hat nämlich ein Mann, der im Prozess gegen die Terror-Gruppe wegen Beihilfe zum Mord zu einer dreijährigen Jugendstrafe verurteilt worden war. Er sah sich durch die Praxis des Verfassungsschutzes in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt und legte Verfassungsbeschwerde ein - erfolgreich. 

Gericht nennt Bedingungen für Datenweitergabe

Das Gericht billigt zwar den "legitimen Zweck, den Bestand und die Sicherheit des Staates sowie Leib, Leben und Freiheit der Bevölkerung zu schützen", pocht aber zugleich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Um heimlich gesammelte Daten an eine Strafverfolgungsbehörde weiterzuleiten, bedarf es demnach eines begründeten Verdachts, "für den konkrete und verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorhanden sind". Diese Bedingung war nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichtes im Fall des NSU-Helfers zum Zeitpunkt der Datenübermittlung anscheinend noch nicht erfüllt.

 

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