Neues Waldgesetz spaltet Brasilien
7. Dezember 2011Die Zahlen kommen für die brasilianische Regierung zur rechten Zeit. Während in Durban über ein Klimaschutzabkommen verhandelt wird, konnte die Regierung in Brasília vermelden, dass die Waldzerstörung im Amazonas-Gebiet zurückgeht. Nach Angaben des nationalen Raumforschungsinstituts sind zwischen August 2010 und Juli 2011 insgesamt 6.240 Quadratkilometer Regenwald in Brasilien zerstört worden. Dies entspräche einem Rückgang von elf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Aber das ist noch nicht alles. Es sei zudem die geringste Zerstörung von Regenwald seit Beginn der Aufzeichnungen 1988, erklärt die brasilianische Regierung. Zum Vergleich: Im Jahr 1995, als die Abholzung ihren Höhepunkt erreichte, seien mehr als 29.000 Quadratkilometer Regenwald zerstört worden.
"Verhindern Sie eine globale Katastrophe"
Derweil setzt die Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) einen Notruf an die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff ab. Über eine spezielle Internetseite kann man mit einem "Emergency Call" Rousseff auffordern, eine "globale Katastrophe" zu verhindern. Die "globale Katastrophe" ist für den WWF das neue Waldgesetz, über das derzeit in Brasilien debattiert wird. Der Senat billigte in der Nacht zum Mittwoch (07.12.2011) den Entwurf, der nun zur Abstimmung ins Parlament weitergeleitet wird.
Während die von der Regierung vorgelegten Zahlen darlegen, dass die Regenwald-Rodung zuletzt rückläufig war, befürchtet die Naturschutzorganisation, dass sich mit der Verabschiedung des neuen Waldgesetzes die Lage dramatisch verschlechtern würde. Der WWF macht seine Kritik vor allem an zwei Punkten fest.
Punkt eins ist, dass laut WWF mit dem neuen Gesetz Millionen von Hektar Regenwald zusätzlich zur Abholzung freigegeben würden. Zum anderen beinhalte der Gesetzentwurf eine Amnestie für Waldsünder, erklärt Roberto Maldonado, beim WWF Deutschland für Amazonien zuständig: "Im Rahmen der Gesetzesreform in Brasilien wird vorgeschlagen, dass alle Menschen, die illegal bis 2008 Wald entwaldet haben, von einer Verpflichtung, diese Flächen wieder aufzuforsten, freigesprochen werden. Das können wir so nicht mittragen."
Laut WWF geht es um eine Fläche von der Größe Deutschlands, Italiens und Österreichs zusammen – insgesamt rund 76 Millionen Hektar. Der WWF rechnet dort sowohl die Fläche, die dann nicht mehr aufgeforstet werden müsste, als auch die Fläche, die dann abgeholzt werden dürfte, zusammen.
1,5 Millionen Unterschriften
Nicht nur der WWF, auch mehrere hundert andere Organisationen kämpfen bereits seit Jahren gegen die Reform des Waldgesetzes. Ende November gab es eine Demonstration vor dem Kongressgebäude in Brasiliens Hauptstadt Brasília mit mehreren tausend Teilnehmern. Eine davon war die ehemalige Umweltministerin Marina Silva. Sie überreichte der Regierung eine Liste mit 1,5 Millionen Unterschriften gegen das neue Gesetz. Der WWF weist auf eine repräsentative Umfrage hin, nach der 85 Prozent der Brasilianer gegen eine zusätzliche Entwaldung zu Gunsten von Agrarinteressen seien.
Im Parlament hingegen sehen die Mehrheitsverhältnisse laut Roberto Maldonado anders aus: "Unsere Analyse kommt zu dem Schluss, dass hinter dem Gesetz vor allem die brasilianische und internationale Agrarlobby steht, also agrarindustrielle Interessen. Deren Bündnis heißt 'Ruralistas'. Und die haben die Mehrheit im Parlament." Darum ruht die Hoffnung des WWF, das Gesetz zu kippen, nun vor allem auf Präsidentin Dilma Rousseff. Sie kann das Gesetz zwar nicht neu formulieren, aber sie kann ihr Veto einlegen. Darauf zielt die Kampagne des WWF ab.
Brasiliens Besonderheit
Wenn Dilma Rousseff ihr Veto intervenieren sollte, dann sollte sie allerdings auch eine Antwort auf die Fragen der privaten Landbesitzer haben, die von ihrem Grund leben, sagt Dr. Imme Scholz, stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik: "Die Besonderheit ist, dass sich das Waldgesetz in Brasilien darauf bezieht, was private Waldbesitzer tun dürfen und was sie nicht tun dürfen. Und für das Amazonas-Gebiet legt das Waldgesetz fest, dass private Landbesitzer nur 20 Prozent ihrer Landfläche abholzen dürfen, um dort Ackerland oder Weiden anzulegen."
Dagegegen wehren sich viele Landbesitzer. Viele sind der Meinung, dass sie, wenn sie das Land ihr Eigentum nennen, es auch wirtschaftlich nutzen dürften. Andererseits wussten sie aber zum Zeitpunkt des Landkaufs, dass für sie nur 20 Prozent nutzbar sein würden.
Rousseffs Zwickmühle
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff steckt in der Klemme. "Wenn man das Waldgesetz durchgehen lässt, dann muss man sein eigenes klimapolitisches Ziel aufgeben. Das ist das Problem von Frau Roussef", erklärt Imme Scholz. Wenn sie es nicht durchgehen ließe, würde sie ihrer Wirtschaft schaden. Denn 35 Prozent der Exporteinnahmen Brasiliens stammen aus dem Bereich landwirtschaftliche Güter.
Wichtig ist, dass Rousseff sich schnell entscheidet, ansonsten interpretiert jeder den Schwebezustand in seinem Sinne. So hat Imme Scholz beobachtet, dass im Mai, als es bereits Beratungen zum neuen Waldgesetz gab, die illegale Abholzung zugenommen hatte. Und die Gefahr besteht gerade wieder.
Autor: Marco Müller
Redaktion: Marko Langer