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Neugierig bleiben für die Zukunft

20. Juli 2018

Im 350. Jubiläumsjahr hat der Chemiekonzern Merck einen hochdotierten Wissenschaftspreis ausgelobt und renommierte Forscher zur Konferenz geladen. Eine Neuausrichtung ist nötig, denn der Konzern schwächelt.

Professor Yoshiyuki Sankai präsentiert sein Exo-Skelett bei der Merck-Wissenschafts-Konferenz "Curious Future Insight"
Bild: DW/A. Freund

Wuchtig schiebt sich die kubistische Glasfassade in den strahlendblauen Himmel. Im Inneren des postmodernen Konferenzzentrums knallige Trendfarben, satter Sound, hippes Ambiente. Das futuristische Erscheinungsbild ist Teil des gewünschten Imagewechsels, an dem der hessische Traditionskonzern Merck intensiv arbeitet. Merck soll nicht mehr nur Arzneimittelhersteller sein, sondern will sich als Wissenschaftskonzern verstanden wissen, der in Ideen, der in die Zukunft investiert. Denn der aus einer Darmstädter Apotheke hervorgegangene Dax-Konzern feiert in diesem Jahr seinen 350. Geburtstag.

Im Jubiläumsjahr feiert sich der ältesten Pharma- und Chemiekonzern der Welt deshalb vor allem selbst. Medienwirksam lobte Merck einen jeweils mit einer Millionen Euro dotierten Wissenschaftspreis für wegweisende Forschungsleistungen in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Energie aus. Der neu geschaffene "Future Insight Prize" soll in Anlehnung an das Jubiläum in den nächsten 35 Jahren verliehen werden. Er ist gemessen am Preisgeld sogar höher dotiert als der renommierte Nobelpreis (rund 870.000 Euro). 

Vergangenheit trifft Zukunft bei der "Curious2018" Bild: DW/A. Freund

Der Konzern hat auch schon sehr konkrete Vorstellungen, wer den Preis erhalten soll: Gesucht werden Wissenschaftler, die einen substantiellen Beitrag zur Entwicklung eines Pandemie-Schutzgerätes entwickeln, das einen schnellen Schutz vor neuen Krankheitserregen ermöglicht.

Und auch für die Folgejahre hat der Preisstifter bereits sehr konkrete Themenfelder vorgegeben, in den er sich "visionäre Traumprodukte" erhofft: 2020 sollen neue Lösungen gegen Antibiotikaresistenzen, 2021 wegweisende Entwicklungen zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung und 2022 bedeutsame Innovationen zur Treibstofferzeugung durch die Umwandlung von Kohlendioxid ausgezeichnet werden.

Interdisziplinärer Gedankenaustausch

Verliehen wird der neu geschaffene Preis erstmals im kommenden Jahr auf der nächsten "Curious-Future-Insight"-Konferenz. Zur diesjährigen Auftaktveranstaltung hatte Merck 35 renommierte Wissenschaftler aus den verschiedensten Bereichen geladen, darunter immerhin 5 Nobelpreisträger, um ihre aktuellen Forschungen zu präsentieren und im Idealfall interdisziplinär über die Zukunft der Wissenschaft und Technologie zu diskutieren: Welche Fortschritte gibt es bei Medikamenten oder in der Chemie? Wie sieht das Gesundheitssystem der Zukunft aus? Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf unseren Alltag? Was ändert sich durch künstliche Intelligenz, durch die Robotik oder durch virtuelle Realitäten? Was kann, was darf die Stammzellenforschung?

Gedankenaustausch über ZukunftsfragenBild: DW/A. Freund

Zukunftsweisende Fragen also, über die die Nobelpreisträger Biophysiker Joachim Frank (Chemie 2017), den Nano-Ingenieur Fraser Stoddart (Chemie 2016), der Immunologe Bruce Beutler (Medizin 2011), der Virusforscher Harald zur Hausen (Medizin 2008) und der Supramolekular-Chemiker Jean-Marie Lehn (Chemie 1987) drei Tage lang mit ihren Wissenschaftskollegen und rund 1000 Konferenzteilnehmern und Wirtschaftsvertretern diskutieren konnten. 

Stelldichein der Spitzenforscher

Auf der hochkarätigen Gästeliste finden sich zudem weltbekannte Namen wie der US-Genomforschungspionier Craig Venter, der spektakuläre Erkenntnisse aus dem Bereich der Genomentzifferung präsentierte. Wenn nämlich lernende Maschinen den genetischen Code kennen und interpretieren, so können sie etwa ein dreidimensionales Gesicht allein auf Grundlage der Genetik reproduzieren. Ohne das Erscheinungsbild einer Person zu kennen, berechnet die Maschine anhand des genetischen Codes verblüffend genau das tatsächliche Aussehen eines Menschen. 

Solche weitweisenden Fortschritte faszinieren oder verstören, je nach Auffassung. Auch darüber wurde bei der "Curious"-Konferenz debattiert. Ähnliches gilt für die Frage, wie weit die Korrektur genetischer Defekte gehen kann oder darf? Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die CRISPR-Entdeckerin Emmanuelle Charpentier, die ihre vor allem aus ethischen Gründen nicht unumstrittene "Genomschere" zur Veränderung oder Reparatur von Genomsträngen präsentierte. 

CRISPR-Entdeckerin Emmanuelle Charpentier erklärt die "Genschere"Bild: DW/A. Freund

Begeistert zeigte sich das Fachpublikum auch von Yoshiyuki Sankais Exoskeletten. Das sind "Roboteranzüge" oder mechanische Hosen, die Schlaganfall-Patienten oder älteren Menschen wieder das Gehen ermöglichen. Bei körperlich besonders anstrengenden Berufen - etwa in der Altenpflege - erleichtern sie das Heben. 

Das breite Themenspektrum der Konferenz soll unterstreichen, dass sich Merck mit seinen weltweit rund 53.000 Mitarbeitern längst nicht mehr als Arzneimittelkonzern sieht, auch wenn diese Sparte traditionell den meisten Umsatz brachte.

Aber die etablierten Arzneien von Merck bringen inzwischen immer weniger Erlös. Selbst bei seinen lukrativen Krebsmittel Erbitux und dem Mutiple-Sklerose-Präparat Rebif sind die Umsätze angesichts der großen und zum Teil eben auch günstigeren Konkurrenz rückläufig. Gerade erst musste Merck - wie seine Konkurrenten auch - nach harscher Kritik von US-Präsident Trump an der Preispolitik von Pharmakonzernen die Preise senken, im Schnitt um 10 Prozent. Und beim Hepatitis-Medikament Zepatier sogar um 60 Prozent. Deshalb will sich Merck als neuer Wissenschaftskonzern neue Geschäftsfelder erschließen und steckt auch wieder größere Summen in die Erforschung neuer Medikamente.

Runder Geburtstag - Merck, das älteste Pharmaunternehmen der Welt, wird 350

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Strategische Neuausrichtung

Auch um den angestrebten Wandel finanzieren zu können, verkaufte Merck die Lizenzen für seine rezeptfreien Arzneien an Procter&Gamble für 3,4 Milliarden Euro. Mercks große Hoffnungen lagen zuletzt auf dem Mittel Avelumab, das das körpereigene Abwehrsystem stärken soll, um Krebszellen zu zerstören. Mit dieser Krebsimmuntherapie konnte Merck 2017 erstmals seit neun Jahren wieder ein neues Medikament auf den Markt bringen. Aber bei den entscheidenden Phase-III-Studien fiel der Hoffnungsträger durch – ein weiterer herber Rückschlag für den Darmstädter Konzern. Denn auch im bislang so profitablen Geschäft mit Flüssigkristallen etwa für Smartphone-oder Tablet-Displays hat die chinesische Konkurrenz inzwischen mächtig aufgeholt und drückt die Preise.

Neue Ideen und Konzepte sind also gefragt, neugierig will man bleiben. Denn eine strategische Neuausrichtung in Richtung eines innovativen Wissenschaftskonzerns ist dringend geboten, will das hessische Traditionshaus Merck den Anschluss an die zuweilen übermächtigen Pharmakonzerne aus den USA und der Schweiz nicht verlieren.

Ausgerechnet im Jubiläumsjahr aber schwächelt der älteste Pharma- und Chemiekonzern der Welt. 2018 werden leichte Rückgänge beim Betriebsergebnis erwartet. Im Geschäftsjahr 2017 erzielte Merck einen Umsatz von 15,3 Milliarden Euro und einen Gewinn von 2,61 Milliarden Euro.

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