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Musik

Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern

Rick Fulker
1. Januar 2018

Mit 50 Millionen Zuschauern in 90 Ländern ist dieses traditionelle Konzert das erfolgreichste Klassikevent weltweit. Seit mehr als 170 Jahren steht der Klang des Orchesters für allerhöchste Qualität.

Wiener Philharmoniker Neujahrskonzert 2016
Bild: picture-alliance/dpa/H. Neubauer

Wenn Melodien von Johann Strauss auf der Bühne des schmucken Wiener Musikvereins erklingen, heißt das, dass wieder ein Jahr vergangen ist. Bei der Liveübertragung des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker kommen zum Fernsehpublikum viele Radiohörer und Live Stream-User hinzu. Annika Nyberg Frankenhauser, ehemalige Mediendirektorin der European Broadcasting Union (EBU), brachte einmal den Zauber auf den Punkt: "Dieses lange erwartete Konzert ist eine Gelegenheit, um im Rahmen eines flotten und zugleich nostalgischen Programms auf das vergangene Jahr zurückzublicken und das neue Jahr beschwingt anzugehen."

Auf dem Podium steht diesmal der italienische Dirigent Riccardo Muti, dessen Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern Jahrzehnte zurückreicht. Zu Beginn erklingt der Auftrittsmarsch aus der Operette "Der Zigeunerbaron" von Johann Strauss, Jr. Auf dem Programm stehen auch Walzer, Polkas und Märsche der Strauss-Komponistendynastie sowie von Franz von Suppé und Alphons Czibulka.

Riccardo MutiBild: DW

Berauschender Dreivierteltakt

"Man kann kaum die Macht begreifen, die der Walzer ausübt", schrieb der französischer Graf Auguste de la Garde 1815 während des Wiener Kongresses. "Sobald die ersten Takte sich hören lassen, klären sich die Mienen auf, die Augen beleben sich, ein Wonnebeben durchrieselt alle." Es dürfte nicht überraschen, dass diese Tanzform, die aus dem adretten, höfischen Menuett entstand, von der Kirche verboten wurde - allerdings ohne Erfolg: Seine verführerische Kraft, so die Glaubenshüter, hätte angeblich nicht nur seelische Aspekte.

Im Epizentrum des Walzers steht die Strauss-Komponistendynastie, angeführt von Johann Strauss Vater, den kein geringerer als Richard Wagner als "den musikalischsten Schädel in Europa" beschrieb. Strauss Junior, wohl der erste Popstar der Musikgeschichte, durchkreuzte Europa mit seinem Tanzorchester und schuf unsterbliche Melodien wie "An der schönen blauen Donau". "Leider nicht von mir" lamentierte sein Zeitgenosse Johannes Brahms.

Die Marke Strauss verwischte die Grenze zwischen ernster Musik und Unterhaltung und ist in Wien beheimatet, so wie auch die Wiener Philharmoniker ihren Sitz in der "Hauptstadt der Klassik" haben. Das Orchester ist wie kein anderes mit Walzern, Polkas, Märschen und Operetten in Wiener Tradition verbunden. Es wäre jedoch ein Fehler, es darauf zu beschränken.

Vom Hofmusikanten zum Philharmoniker

Orchestergründer Otto Nikolai, Komponist der "Lustigen Weiber von Windsor"Bild: ulton Archive/Getty Images

Die Ursprünge des Orchesters gehen auf die Wiener Hofoper zurück, dessen Musiker gelegentlich von Mozart oder Beethoven für "Akademie"-Konzerte engagiert wurden. Im Laufe der Zeit entstand der Bedarf nach einem eigenständigen Klangkörper, der Werke jenseits des Opernrepertoires pflegen sollte. 1841 gründete der Komponist und Dirigent Otto Nikolai das Ensemble, das später als Wiener Philharmoniker zu Weltruhm kommen sollte. Bis zum heutigen Tag müssen sich seine Mitglieder verpflichten, auch im Orchester der Wiener Staatsoper zu spielen.

Etwa 7000 Konzertauftritte gaben die Wiener Philharmoniker in ihrer mehr als 170-jährigen Geschichte. Viele Komponisten spendeten dem Orchester reichlich Lob. Richard Wagner bezeichnete es als "eines der allervorzüglichsten der Welt", Anton Bruckner nannte es "den höchsten Kunstverein in der Musik", Johannes Brahms bezeichnete sich als "Freund und Verehrer", und Richard Strauss fasste zusammen: "Die Philharmoniker preisen heißt Geigen nach Wien tragen."

Geheimnis des Erfolgs

Seit ihren Anfangstagen sind die Philharmoniker ein selbstverwaltetes Orchester. "Das Eingangstor zum Orchester ist die Wiener Staatsoper", erklärte Oboist Wolfgang Plank das Aufnahmeverfahren im DW-Interview. "Dort werden junge Musiker zunächst aufgenommen, und wenn sie die dreijährige Probezeit bestehen, werden sie nach und nach auch zum Konzertspielen herangezogen. Die Gewichtung, wie viel Oper und wie viel Konzert man spielt, hängt von den Erfordernissen der jeweiligen Termine ab. Man leistet den Hauptdienst schon in der Oper, aber es dürfte für die meisten Orchestermitglieder etwa halbe-halbe sein."

Einen Orchesterklang als unverwechselbar zu beschreiben, fällt in der heutigen Zeit zwar schwer, aber genau das wird von den Wienern behauptet. "Die Oboe zum Beispiel ist hier ein anderes Instrument als bei anderen Orchestern: ein früheres, obertonreicheres Exemplar", so Wolfgang Plank. "Auch Hörner, Pauken und sogar die Triangel sind Sonderanfertigungen für die Wiener Philharmoniker."

Auch Lorin Maazel dirigierte schon beim NeujahrskonzertBild: picture alliance/AP Photo

Dabei ist der spezielle Klang wie bei keinem anderen Orchester auch von den wichtigsten Dirigenten der jeweiligen Zeit geprägt worden - allen voran von Hans Richter, dem legendären Dirigenten des ersten Bayreuther "Ring". Seine Zeit als Chefdirigent von 1875 bis 1898 wird als "goldene Ära" beschrieben. Wagner, Verdi, Bruckner, Brahms und Liszt dirigierten das Orchester beziehungsweise konzertierten darin als Solisten. Von 1898 bis 1901 arbeitete Gustav Mahler eng mit dem Klangkörper zusammen und ging mit ihm 1900 auf seine erste Auslandstournee, zur Weltausstellung in Paris. Mit Felix von Weingartner, der die Wiener ab 1908 19 Jahre lang leitete, verließ das Orchester 1922 erstmals Europa und gastierte in Südamerika. Seit 1933 arbeiten die Wiener Philharmoniker nur noch mit Gastdirigenten.

Die dunkle Zeit

Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 lösten die Nationalsozialisten die Selbstverwaltungsstruktur der Wiener Philharmoniker auf, um sie unter staatliche Kontrolle zu bringen; nur durch Intervention des Dirigenten Wilhelm Furtwängler und anderer konnte dieser Bescheid rückgängig gemacht werden. Es war kaum eine goldene Ära: Alle jüdischen Künstler wurden sofort entlassen. Fünf davon starben während der Haft im Konzentrationslager oder wurden dort ermordet, zwei weitere starben verfolgungsbedingt in Wien. Neun Orchestermitglieder wurden ins Exil gezwungen. Elf Mitglieder, die entweder mit Jüdinnen verheiratet oder als "Halbjuden" stigmatisiert waren, verblieben im Orchester, lebten jedoch unter ständiger Bedrohung. 1942 waren 60 der 123 aktiven Mitglieder der Wiener Philharmoniker Mitglieder der NSDAP, ein viel größerer Anteil als allgemein in der Bevölkerung.

Herbert von Karajan war lange der inoffizielle Chefdirigent der PhilharmonikerBild: picture-alliance/dpa/M. Hellmann

Diese Details sind erst in der jüngeren Geschichte veröffentlicht worden. "Der öffentliche Druck auf das Orchester wurde so groß, dass es die Karten offen legen musste", sagte der Schweizer Historiker Fritz Trümpi der DW im Interview. Er ist einer von drei Historikern, die die Geschichte des Orchesters im Zweiten Weltkrieg unter die Lupe nahmen. Eine fortlaufende Dokumentation der Nazi-Ära mit erschütternden Geschichten einzelner Schicksale ist seit 2013 auf der Homepage der Wiener Philharmoniker zu lesen.

Aufbruch in die Moderne

Sogar das Neujahrskonzert ist eine Tradition aus der Nazi-Ära. Das hat den Glanz der Philharmoniker in der Nachkriegszeit allerdings kaum getrübt. Sie arbeiteten mit führenden Dirigenten weiter: fünf Jahrzehnte mit Herbert von Karajan und mehrere Jahre mit dem Ehrenmitglied Leonard Bernstein. Die Wiener Philharmoniker sind seit 1922 fast jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen aufgetreten, und die "Wiener Philharmoniker-Wochen" finden in New York und Japan seit 1989 bzw. 1993 statt. Sommerliche Freiluftaufführungen am Schloss Schönbrünn in Wien ziehen an die 100.000 Besucher an.

Eine schöne Kulisse für die FernsehübertragungBild: AFP/Getty Images/D. Nagl

2005 wurden die Musiker zu Ehrenbotschaftern der Weltgesundheitsorganisation WHO ernannt. 2014 erhielt das Orchester gleich zwei wichtige Auszeichnungen: den schwedischen Birgit Nilsson-Preis (mit einer Million US-Dollar der höchstdotierte Klassik-Preis) und den Herbert von Karajan-Preis, der im Dezember bei einem Galakonzert in Baden-Baden verliehen wurde. In seiner Laudatio würdigte Andreas Mölich-Zebhauser, der Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, das Orchester mit den Worten: "Dass die 'Philharmonische Idee' rechtzeitig von Generation zu Generation weitergegeben wird, zeugt von einem tiefen Bewusstsein dafür, dass die Musik lebendig gehalten wird und nicht museal werden darf."

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