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Neustart für Tourismus in Deutschlands Nordosten

Anja Steinbuch
12. Mai 2020

Grünes Licht für den Urlaub im eigenen Land: Vor Pfingsten öffnen Hotels und Gasthöfe teilweise wieder ihre Türen. Ferien auf dem Bauernhof oder im Gutshaus eignen sich in Corona-Zeiten besonders.

Mit Sicherheit Gast sein. Platz ist nicht das Problem auf Gut Pohnstorf.
Bild: Gut Pohnstorf

Es geht wieder los. Vor Pfingsten - in diesem Jahr Ende Mai - werden die meisten Hotels, Ferienhäuser, Gutshöfe, Schlösser und Campingplätze wieder Feriengäste aus der ganzen Republik empfangen. Auch im Nordosten, in Mecklenburg-Vorpommern. Mit schneeweißen Sandstränden, Campingplätzen im Grünen, herrschaftlichen Gutshäusern und jeder Menge Natur sind Frühling und Sommer eigentlich die schönsten und für die Gastgeber der Region vor allem die umsatzstärksten Jahreszeiten. Eigentlich. Denn Mitte März war erstmal Lockdown angesagt.

Heinrich Graf von Bassewitz vom Feriengut Dalwitz, der mitten in der Mecklenburgischen Schweiz Landwirtschaft und Ferienwohnungen mit Restaurant betreibt, mag trotzdem nicht klagen: "Wenn wir in unserer Wiederaufbauphase jeden Rückschlag beweint hätten, wären wir jetzt nicht mehr hier." Bassewitz hat mit seiner Familie das Hofgut Dalwitz, das viele Jahrhunderte seinen Vorfahren gehörte, nach dem Fall der Mauer wiederaufgebaut. Er brachte damals sogar Gauchos und deren Pferde mit aus dem südamerikanischen Exil.

Heinrich Graf von Bassewitz, Landwirt und Betreiber des Feriengut Dalwitz in Mecklenburg VorpommernBild: Gut Dalwitz

Nicht nur Tourismus

Tourismus ist in Dalwitz mit 24 Familien-Ferienwohnungen und dem Restaurant zwar ein wichtiges Standbein, erwirtschaftet aber nur 20 Prozent des Umsatzes. Das Feriengut ist mit 2000 Hektar Weiden, Ackerland und Wald, einhundert Angus-Rindern und genauso vielen südamerikanischen Criollos-Pferden außerdem ein ökologisch, biologischer und autarker Landwirtschaftsbetrieb mit Biogasanlage, eigenem Solarstrom und E-Tankstelle.

"Das spart Fixkosten", erklärt Bassewitz. Das verpasste Ostergeschäft habe trotzdem ein Loch in die Kasse gerissen. Insgesamt fehlen jetzt schon 30.000 Euro in der Kasse. Für den Sommer hat von Bassewitz bereits so viele Buchungen, dass ihm eine 60-prozentige Auslastung sicher ist.

Ist der Neustart die Rettung?

Doch nicht alle Gastgeber können so optimistisch in die Zukunft schauen. "Vielen Betrieben geht finanziell die Luft aus", so Tobias Woitendorf, Chef des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommern. Schätzungen zufolge summieren sich die Umsatzverluste in Tourismus und Gastgewerbe im Nordosten bislang auf rund eine Milliarde Euro. Ob der Neustart die Rettung ist?

Mal wie ein echter Gaucho fühlen: Ausritte auf Gut DalwitzBild: Anja Steinbuch

Das Urlaubsland Mecklenburg-Vorpommern öffne sich wieder, weil die Infektionszahlen niedrig blieben, so Ministerpräsidentin Manuela Schwesig von der SPD. Die Task Force Tourismus aus Branchenvertretern, Verbänden und Politik hat einen Stufenplan für den "Re-Start" ausgearbeitet. Er sieht vor, dass nach Gaststätten, die unter strikten Hygieneauflagen und mit maximal sechs Erwachsenen je Tisch loslegen, ab dem 18. Mai auch Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen wieder Gäste beherbergen dürfen. Zum 25. Mai sollen dann Touristen aus anderen Bundesländern wieder einreisen. Schwesig: "Die Schließung von Gaststätten und Hotels war ein schmerzvoller Schritt und gegen unsere DNA als Tourismusland."

Für viele "die letzte Chance"

Genau auf diese DNA setzt jetzt Bert Balke vom Tourismusverband Mecklenburgische Seenplatte: "Wie sehr alle am Tropf der touristischen Wertschöpfung hängen, ist vielen jetzt erst klar geworden." Mit 75.000 Gästebetten in seiner Region beläuft sich der Ertrag für die regionale Wirtschaft an einem voll ausgelasteten Tag durch den Tourismus auf sieben Millionen Euro. Viele kämpfen bereits jetzt ums wirtschaftliche Überleben. Die Vorgabe für Hotels und Ferienbetriebe, nur 60 Prozent Belegung zuzulassen, um Sicherheitsabstände gewährleisten zu können, macht Bert Balke große Bauchschmerzen.

"Damit werden unser Betriebe, die vom kleinteiligen Selbstversorger-Tourismus leben und im Schnitt nur 25 Zimmer vermieten, kaum rentabel an den Start gehen, geschweige denn ihre Verluste der vergangenen Wochen wettmachen können." Balke weiter: "Es muss zu Pfingsten wieder los gehen, das ist für viele die letzte Chance." Trotz allem sieht er einen positiven Nebeneffekt: Landurlaub, Natur-Safaris und Ferien auf dem Bauernhof erhalten durch die neuen Vorschriften eine besondere Aufmerksamkeit: "Es wird einfach sein, in unserer weitläufigen Landschaft die Abstandsregeln einzuhalten. Und Urlaub auf dem Land ist klimafreundlicher und weniger kostspielig als eine Fernreise. Wir rechnen mit vielen neuen Gästen."

Bert Balke vom Tourismusverband Mecklenburgische SeenplatteBild: Privat

Digitale Urlaubsangebote

"Die Hochzeitssaison ist in diesem Jahr komplett ausgefallen", klagt Robert Uhde, der normalerweise fast 20 Veranstaltungen von April bis August organisiert. Der engagierte Besitzer und Retter des Herrenhauses Vogelsang bei Rostock blickt besorgt in die Zukunft: Durch den Lockdown fehlen ihm 80.000 Euro in der Kasse. Auch er musste die fünf Mitarbeiter seiner Wissenschaftskommunikationsfirma in Kurzarbeit schicken.

Selbst wenn eine Woche vor Pfingsten der Tourismus in seinem Bundesland wieder möglich ist - für ihn als Kultur-Veranstalter sind die Verluste nicht mehr aufzuholen. Gleichzeitig sei dies die Gelegenheit, um die Ecke zu denken: "Wir digitalisieren unser Angebot." Uhde organisiert Online-Ausstellungen in Schlössern und Gutshäusern und bringt seine Veranstaltung "Mittsommerremise" auf eine digitale Ebene. "Man wird dieses Jahr wie durch ein Puppenhaus durch Schlösser und Herrenhäuser online spazieren können."

Die Veranstaltungen am 20. Und 21. Juni finden trotzdem auch analog statt, mit Mini-Vorführungen in Schlossgärten, Autokino und Vorträgen unter freiem Himmel. Auflagen werden eingehalten, aktuelle Infektionszahlen stets beobachtet. "Uns helfen unsere dezentralen Strukturen", erklärt Uhde. Er meint damit nicht nur die vielen kleinen Gutsdörfer zwischen Ostsee und Berlin. Die Landschaft Mecklenburgs habe vor allem eines: Viel Platz, um Abstand zu halten. 

Liebevoll restauriert: Herrenhaus Vogelsang bei Rostock.Bild: Anja Steinbuch

Krisen haben auch was Gutes

Kamila Sösemann betreibt in Pohnstorf bei Teterow für maximal 30 Personen ein Feriengut mit großem Gutsgarten. Auf 1000 Quadratmetern verteilen sich in Pohnstorf sieben Ferienwohnungen. Großzügige Gärten und breite Flure schaffen automatisch Sicherheitsabstände. Doch auch sie startet mit Bauchschmerzen: "Um im Winter unseren Angestellten weiter Gehalt zahlen zu können, müssen wir im Frühling und Sommer gut verdienen", fasst die Wahl-Mecklenburgerin zusammen. Pohnstorf ist für die Ferienzeit fast ausgebucht. "Aber Krisen müssen am Ende nicht schlecht sein", ist sie überzeugt. Es komme immer auf den Umgang damit an. Jetzt versuche sie zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. "Ich glaube, dass ein großes Gästehaus im Hinterland der Ostsee ein nachhaltiges Geschäftsmodell für die Zukunft ist."

Heinrich Graf von Bassewitz hat die verordnete Corona-Auszeit genutzt, um sich noch ein weiteres Standbein aufzubauen: In seinem neuen Online-Shop verkauft er das Biofleisch der Erzeugergemeinschaft Biopark Ökologischer Landbau mit insgesamt 60 Betrieben. Darunter ist auch das Fleisch seiner Angus-Rinder. Der Clou: Zwei Prozent des Umsatzes werden für die vom WWF und vom Biopark unterstützten Initiative Landwirtschaft für Artenvielfalt gespendet - ein positiver Nebeneffekt der Krise.

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