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Neve Shalom: Dieser Ort hat mich gefesselt

Das Gespräch führte Diana Hodali11. Oktober 2005

Maram Masarwi lebt als Palästinenserin mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen im Dorf Neve Shalom/Wahat al Salam. Im Gespräch mit DW-WORLD erzählt sie, dass gewaltfreie Konfliktlösung den Alltag des Dorfes bestimmt.

Maram Masarwi engagiert sich stark im Friedensprozess

DW-WORLD: Sie sind in den frühen Neunzigern in das Dorf Neve Shalom/Wahat al Salam (NSWAS) gezogen. Was hat sie dazu bewegt dorthin zu ziehen?

Maram Masarwi: Ich war schon vor den Neunzigern als Studentin oft in NSWAS bei Workshops. Dieser Ort hat mich gefesselt, und nachdem ich mein Studium beendet hatte und meinen Ehemann geheiratet hatte, wollte ich meine Kinder an einem Ort groß ziehen, der eine Alternative zur Realität bot. Deshalb sind wir 1992 nach NSWAS gezogen.

Wie muss man sich das vorstellen, wenn man in die Oase des Friedens ziehen will. Muss man sich bewerben, oder kann jeder dort leben?

Man muss sich bewerben, wenn man in NSWAS leben möchte. Die Bewerbung besteht unter anderem aus Workshops, Gesprächen und psychologischen Sitzungen. Es ist ein langer Weg. Und eines der Prinzipien von NSWAS ist, dass der Anteil an Palästinensern und Israelis immer ausgewogen sein muss.

Das Friedensdorf soll wachsenBild: Neve Shalom

Haben Bewohner das Dorf verlassen, seit Sie und Ihre Familie in NSWAS leben?

Es hat seither noch keiner das Dorf verlassen, im Gegenteil. Die Liste der Bewerber wird immer länger, immer mehr Menschen wollen in NSWAS leben. Ich würde auch nie woanders leben wollen.

Wie ist die Akzeptanz im Land außerhalb der Gemeinschaft?

Im Allgemeinen ist das Feedback eher positiv. Die Menschen wollen immer wissen, wie und ob ein gemeinsames Leben möglich ist. Oft hören wir Leute, die uns sagen: Bitte sagt uns, dass Palästinenser und Israelis miteinander leben können. Und das bestätigt uns immer wieder, dass die Menschen interessiert sind an uns.

Wie sieht es mit Unterstützung seitens der israelischen Regierung aus?

Das kommt darauf an, wer die Regierung stellt. Es gab viele Jahre, in denen wir sogar finanzielle Unterstützung bekamen. Als man allerdings eine Polizei-Einheit neben unserem Dorf platzieren wollte, sind wir gegen die Regierung vor Gericht gezogen und haben den Prozess gewonnen.

Inwieweit hat die andauernde Intifada Einfluss auf die Gesellschaft genommen? Wer tröstet wen, wenn etwas passiert?

Es gibt ja zwei Arten von Problemen. Zum einen sind da die kollektiven Probleme, die außerhalb von NSWAS existieren, und zum anderen die Probleme im Dorf selbst. Wir sind stets bemüht, beide Arten durch Dialoge zu bewältigen - und das macht diesen Ort so einzigartig: Die Menschen geben nicht auf, wenn es eine Krise gibt. Wir versuchen immer, die andere Seite zu verstehen - auch im alltäglichen Leben. Ich sage nicht, dass es bei uns keine Probleme gibt und alles rosig und positiv ist, auch wir haben unsere Auseinandersetzungen. Aber wir versuchen, unsere Ängste gemeinsam zu überwinden. NSWAS ist ein sehr politischer Ort und die Intifada motiviert uns dazu, uns noch aktiver am Friedensprozess zu beteiligen. Wir versuchen soweit es geht auch außerhalb Einfluss auf die Menschen zu nehmen und ein höheres Bewusstsein für die Situation zu schaffen. Außerdem ist es uns wichtig, Menschen dazu zu bewegen sich gegen die Besatzung stark zu machen.

Welche Rolle spielt dabei denn Religion im Dorf?

Die meisten Bewohner sind nicht religiös. In NSWAS leben sowohl Juden, Christen als auch Muslime. Dennoch gibt es auch religiöse Menschen bei uns im Dorf. Wir respektieren deren Wunsch, Religion zu praktizieren und versuchen einen Zusammenhang zwischen Spiritualität, Religion und Politik herzustellen.

Sowohl Hebräisch als auch Arabisch wird im Dorf gesprochen, aber welche der beiden Sprachen beherrscht den alltäglichen Umgang miteinander und welcher Sprache bedienen sich die Kinder?

Jugendliche in NSWAS versuchen Konflikte miteinander zu lösenBild: Neve Shalom

Wir Erwachsenen und die Kinder sprechen überwiegend Hebräisch miteinander. Wir sind ein Teil der gesamten Bevölkerung und sowohl die Medien als auch die politische Situation nehmen ihren Einfluss auf uns, daher ist Hebräisch die dominante Sprache. Die Palästinenser in NSWAS versuchen allerdings zumindest zu Hause nur Arabisch miteinander zu sprechen. Die Kinder sprechen daher beide Sprachen fließend.

Die Kinder gehen auf eine gemeinsame Schule ...


Die Kinder lernen beide Geschichten aus beiden Perspektiven in einer Schule. Wir respektieren unsere Erzählungen gegenseitig. Ein Beispiel: Wenn die israelischen Kinder den Unabhängigkeitstag Israels feiern, dann ist dieser Tag für die Palästinenser das was man im Arabischen als "Nakba" bezeichnet (deutsch: nationale Katastrophe). An diesem Tag werden die Kinder in zwei Gruppen geteilt: Danach trifft man sich wieder, um darüber zu sprechen und sich auszutauschen. Es müssen nicht unbedingt Bücher sein, aus denen die Kinder die Geschichte des Anderen lernen.

Maram Masarwi leitet bis 1999 Workshops an der Friedensschule in NSWAS. Danach war sie bis 2001 als Co-Moderatorin der Sendung "Arabeska" im israelischen Fernsehen, die sich politischen Angelegenheiten im Mittleren Osten widmete. Seit 2005 promoviert sie in Erziehungswissenschaft an der Hebräischen Universität von Jerusalem und arbeitet aber gleichzeitig als Lehrerin am David Yellen Teacher’s College.