1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftAsien

Mehr Hilfe für afghanische Schwerbehinderte

Oliver Schulz
28. Februar 2022

In Afghanistan leben besonders viele Menschen mit Einschränkungen. Die Not hat ihre Lage verschlechtert, von den Taliban fühlen sie sich missachtet.

Handicap International | Unterstützung für afghanische Zivilisten
Armamputierter afghanischer Junge mit Mitarbeitern von Handicap International in Kandahar Bild: Handicap International

Menschen mit Einschränkungen leiden in Afghanistan besonders unter der aktuellen Versorgungsnot. Die Selbstdarstellung der Taliban, dass sie auch dieser Bevölkerungsgruppe gegenüber ein gemäßigteres Regime führen würden als in ihrem ersten "Emirat" von 1996-2001, scheint sich nicht zu bestätigen. Die Arbeit nationaler wie auch internationaler  Organisationen für Menschen mit Einschränkungen wird weiter behindert. Besonders unter Druck geraten junge Frauen und Mädchen mit Einschränkungen.

"Früher habe ich nicht einmal daran gedacht, Spenden und Hilfe anzunehmen, aber jetzt habe ich Angst, dass mir meine Grundbedürfnisse wie Medikamente und Heizöl fehlen", sagt Abdul Hadi. Der 42-Jährige aus Kandahar ist Rollstuhlfahrer, Rollstuhlproduktionstechniker und Peer-Trainer und arbeitet bei der Nichtregierungsorganisation Handicap International (HI). Die Inflation sei rasant: "Zum Beispiel habe ich früher zehn Liter Speiseöl für 600 Afghanis (etwa sechs Euro) gekauft, jetzt kaufe ich dasselbe Speiseöl für 1600 Afghanis." Menschen mit Einschränkungen fühlten sich von den Regierenden im Land allein gelassen. "Wir befürchten, dass die Taliban uns vergessen, da sie andere Prioritäten setzen."

Ins wirtschaftliche Nichts gestürzt

"Seit die vorherige Regierung Afghanistans von den Taliban gestürzt wurde, hat nicht nur die Mehrheit der Menschen mit Einschränkungen, die in der Regierung, in Nichtregierungsorganisationen und im privaten Sektor arbeiteten, ihren Arbeitsplatz verloren", sagt Amina Azimi, Aktivistin für Menschen mit Einschränkungen aus Afghanistan, die für die Afghan Landmine Organization (ALSO) arbeitet. Azimi, die in den 1980ern geboren wurde, verlor als Zwölfjährige ihr rechtes Bein, als ihr Wohnhaus im Bürgerkrieg von einer Rakete getroffen wurde. "Auch ihre kleinen Geschäfte wurden geschlossen. Zudem haben die Taliban die Rente, die den Menschen mit Einschränkungen gewährt wurde, eingestellt."

Abdul Hadi in seiner Rollstuhl-Werkstatt in KandaharBild: Handicap International

Afghanistan hat eine der höchsten Raten von Menschen mit Einschränkungen weltweit. Einer Studie der Asia Foundation zufolge lebten 2020 in dem Land 80 Prozent der Erwachsenen und 17,3 Prozent der Kinder mit irgendeiner Form von Einschränkung. Mehr als 40 Jahre Krieg haben mehr als eine Million Afghanen mit amputierten Gliedmaßen und anderen Mobilitäts-, Seh- oder Hörbeschränkungen zurückgelassen. Viele Afghanen leiden unter psychosozialen Einschränkungen wie Depressionen, Angstzuständen und posttraumatischem Stress. Andere haben bereits bestehende Einschränkungen, die nicht direkt mit den Konflikten zusammenhängen.

Zwar sind körperliche und geistige Einschränkungen etwas sehr Alltägliches in der afghanischen Gesellschaft. Emanzipiert sind Menschen mit Einschränkungen aber noch lange nicht. Laut Human Rights Watch gab es auch unter der Regierung, die nun von den Taliban gestürzt wurde, noch eine tief verwurzelte Diskriminierung.

Frauen besonders hart betroffen

Zahlreiche Regierungsorganisationen und NGOs setzten sich deshalb zuletzt in dem Land für deren Rechte ein. Noch sind Organisationen wie das Committee on the Rights of the Child (CRC), das Swedish Committee for Afghanistan und Handicap International (HI) sowie einige wenige lokale Organisationen im Land aktiv. "Aber die meisten lokalen Hilfsorganisationen, einschließlich ALSO, sind aufgrund der Sicherheitslage seit der Machtübernahme der Taliban geschlossen", beschreibt Amina Azimi die Lage. Aktivisten für Behindertenrechte seien gefährdet. "Sie leben in Angst vor den Taliban."

Amina Azimi (r) von der NGO Afghan Landmine Organization (ALSO) wünscht mehr internationale Aufmerksamkeit für die Belange Schwerbehinderter.Bild: Handicap International

Den Beteuerungen der neuen Herrscher, anders als im Emirat vor 2001 Minderheiten fortan zu schützen, glauben die wenigsten Betroffenen. Aktivistin Amina Azimi geht nicht davon aus, dass die Taliban, wie sie nach ihrer Machtübernahme oft erklärt haben, heute gemäßigter sind als während des ersten Emirats vor 2001. "Ihr Verhalten hat sich nicht geändert."

Darunter litten besonders die Mädchen und Frauen, sagt Azimi: "Derzeit sind alle Frauen und Mädchen mit Einschränkungen zu Hause - keine Bildung, keine Arbeit und keine Freiheit. Frauen mit Einschränkungen sind in dieser Situation sehr entmutigt. Ihre Lage ist besonders schlimm. Wir kämpfen ums Überleben."

Ruf nach internationaler Hilfe

Und es ist zu befürchten, dass die Lage nicht besser wird. "Unser Zukunftsaussichten sind diffus und unvorhersehbar", sagt Abdu Hadi. "Alle befürchten, dass die internationale Gemeinschaft weitere Wirtschaftssanktionen gegen Afghanistan verhängt."

Mit Prothesen in eine ungewisse Zukunft Bild: Handicap International

Denn das würde zu noch mehr Not führen. "Die Wirtschaft Afghanistans bricht zusammen, von dieser Regierung gibt es derzeit keine Hoffnung. In dieser Situation brauchen Menschen mit Einschränkungen ganz besonders Unterstützung", sagt Amina Azimi. "Internationale Organisationen sollten ihre humanitäre Hilfe für Menschen mit Einschränkungen in Afghanistan deshalb unbedingt fortsetzen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen