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Politik

Ein Autokrat zieht die Zügel an

Gabriel González Zorrilla
10. Juli 2018

Trotz monatelanger Proteste und mehr als 300 Todesopfern verkündet Staatschef Ortega, dass er bis zum Ende seiner Amtszeit 2021 weiter regieren will. Die Opposition scheint zu schwach, um ihn davon abbringen zu können.

Nicaragua Ortega
Bild: Getty Images/AFP/M. Recinos

"Alles hat seine Zeit", sagte der nicaraguanische Staatspräsident Daniel Ortega am Wochenende bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit Ende Mai vor Tausenden von Anhängern und erteile damit allen Forderungen der Opposition nach vorgezogenen Wahlen eine klare Absage: "Die Wahlen werden so abgehalten, wie das Gesetz es vorschreibt." Gerade diese Anspielung auf die Einhaltung einer vermeintlichen Rechtsstaatlichkeit muss auf die Opposition im Lande wie Hohn wirken.

Seit Mitte April wird das mittelamerikanische Land von heftigen Protesten gegen die Regierung von Daniel Ortega und seiner Frau, der Vizepräsidentin Rosario Murillo, erschüttert. Den Protesten auf der Straße sind in heftigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften schon über 300 Menschen zum Opfer gefallen – mehr als bei den Protesten gegen das Maduro-Regime vergangenes Jahr in Venezuela.

Seit Monaten protestieren hunderttausende Nicaraguaner gegen die Regierung OrtegaBild: picture-alliance/AP Photo/A. Zuniga

Auslöser für die heftigen Proteste war eine vom Internationalen Währungsfond (IWF) empfohlene Reform der Rentenversicherung. Diese sah eine starke Erhöhung der Rentenzahlungen für Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Kürzung der Renten im zweitärmsten Land Lateinamerikas vor.

Doch selbst die schnelle Einkassierung der Reform seitens der Regierung konnte die aufkommende Protestwelle nicht mehr aufhalten. Jahrelang aufgestauter Frust über die schlechte Wirtschaftslage und den zunehmend autoritären Regierungsstil des Präsidentenpaares machte auf den Straßen Luft.

Oberwasser im Inland

Sabine Kurtenbach, kommissarische Direktorin des GIGA-Instituts für Lateinamerika-Studien in Hamburg, schätzt die Absicht von Ortega kritisch ein. "Der Konflikt wird dadurch weiter eskalieren. Eine zentrale Forderung der Opposition ist ja, dass er und seine Frau abtreten. Neuwahlen wären also eine gesichtswahrende Option gewesen. Die Leute werden also weiter protestieren und auf die Straße gehen". Offensichtlich rechne Ortega nicht damit, dass ihm die Proteste in näherer Zukunft das Amt kosten, so Kurtenbach.

Anscheinend könne Ortega es sich leisten, die Zügel wieder anzuziehen, denn ein Schlüsselfaktor für den erstarkten Machtwillen Ortegas ist die Schwäche der Opposition. "Wie sehen es ja in Venezuela, wie lang ein Regime durchhalten kann, wenn es keine gemeinsame Oppositionsfront gibt", meint Sabine Kurtenbach.

Die Beliebtheitswerte von Daniel Ortega sind auf einen Tiefpunkt gesunken.Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Castillo

Laut Meinung der Lateinamerika-Expertin braucht eine Opposition in einem solchen Konfliktfall eine Vision über das bloße Ziel eines "Der-muss-weg" hinaus. Auch fehle es der Opposition in Nicaragua an einer starken Integrationsfigur. Erschwerend komme hinzu, dass unter der Regierung Ortega nicht nur die Polizei, sondern auch das Militär im Sinne der Regierung politisiert und auf Gefolgschaft eingeschworen wurde, so Kurtenbach.

USA: Der imperiale Helfer in der Not?

Am 5. Juli verhängten die USA Sanktionen gegen Nicaraguas Polizeichef, den Bürochef des Bürgermeisters der Hauptstadt Managua, sowie den Chef des nicaraguanisch-venezolanischen Erdölunternehmens ALBA. Der Vorwurf: Korruption und Verletzung von Menschenrechten. Mitte Juni hatte der US-amerikanische Vizepräsident Mike Pence Ortega vorgeworfen, das Land mit einer Welle von Gewalt zu überziehen. Den Verbrechen der Regierung müsse ein Ende gesetzt werden, so Pence.

"In Nicaragua würde ein Eingreifen der USA nur Ortega stärken", meint Sabine Kurtenbach. "Gerade in Nicaragua haben US-amerikanische Interventionen eine Tradition: von der Besatzung Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur Finanzierung der Contra-Rebellen in den 1980er Jahren." Und als ehrlichen Unterhändler könne man sich die Regierung Trump in diesem Konflikt auch nicht vorstellen, so Kurtenbach.

Europäische Union: Nicht mehr als Worthülsen

Auf der Suche nach Unterstützung aus dem Ausland richten sich die Hoffnungen vieler nicaraguanischer Oppositioneller auch an die Adresse der Europäischen Union. Doch auch hier scheinen die Möglichkeiten begrenzt zu sein: "Die EU hat keinen besseren Hebel als die nicaraguanischen Bischöfe, die wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern die beste Vermittlungsoption darstellen", so Kurtenbach.

Auch Nicaraguas katholische Kirche konnte bislang nicht erfolgreich vermittelnBild: picture-alliance/AP Photo/J. Martin

Doch gerade die Vermittlungsversuche der Bischöfe haben nach mehreren Gesprächsunterbrechungen immer noch kein konkretes Ergebnis ergeben. Und die EU hat gerade halt "andere Probleme", befindet Sabine Kurtenbach. Ansonsten sei kein internationaler Akteur in Sicht, der zur Befriedung oder gar Lösung des Konflikts in Nicaragua beitragen könne.

Der 72 Jahre alte Daniel Ortega scheint nur noch am Erhalt seiner Macht interessiert zu sein. Anfang 2017 trat er seine vierte Präsidentschaft an. Das reguläre Mandat läuft noch bis Ende 2021. Die Aussichten der Opposition, Ortega zu vorgezogenen Neuwahlen zu bewegen, stehen trotz Unterstützung durch die nicaraguanische Bischofskonferenz und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nicht gut. "Solange Nicolás Maduro in Venezuela noch an der Macht beleibt, an dessen finanziellen Öl-Tropf Daniel Ortega hängt, wird sich in Nicaragua wohl kaum etwas ändern", so Sabine Kurtenbach.

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