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Politik

Nicaragua: Mit Festnahmen gegen die Opposition

9. Juni 2021

Im Vorfeld der Wahlen vom November zieht Nicaraguas autoritärer Präsident Daniel Ortega die Zügel an. Der ehemalige Revolutionsführer hat innerhalb weniger Tage vier Oppositionspolitiker verhaften lassen.

Nicaragua Managua | Oppositioneller Felix Maradiaga
Einer der festgenommenen Oppositionspolitiker: Félix MaradiagaBild: Carlos Herrera/REUTERS

Fünf Monate vor der Präsidentenwahl geht die Führung in Nicaragua weiter gegen ihre politischen Gegner vor. Innerhalb einer Woche sind inzwischen vier Oppositionskandidaten festgenommen worden - zuletzt Félix Maradiaga und Juan Sebastián Chamorro Garcia. Zuvor war der frühere Botschafter des mittelamerikanischen Landes in den USA, Arturo Cruz, festgenommen worden.

In den drei Fällen berief sich die Polizei nach Angaben lokaler Medien auf ein Gesetz, das die sandinistische Regierungspartei FSLN des autoritären Präsidenten Daniel Ortega erst im Dezember mit ihrer großen Mehrheit im Parlament verabschiedet hatte: das umstrittene "Gesetz zur Verteidigung der Rechte des Volkes auf Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung für den Frieden". Es sieht vor, dass nicht für ein gewähltes Amt kandidieren darf, wer unter anderem einen Staatsstreich anführt, zu ausländischer Einmischung anstiftet oder terroristische Handlungen schürt.

Cristiana Chamorro wenige Tage vor ihrer Festnahme bei einem InterviewBild: Diana Ulloa/AP Photo/picture alliance

Oppositionspolitikerin Cristina Chamorro war die erste Oppositionskandidatin, die festgenommen wurde. Eigentlich wollte sie bei den Präsidentschaftswahlen Machthaber Daniel Ortega die Stirn bieten. Das liegt praktisch in der Familie: Schon ihre Mutter Violeta besiegte 1990 an der Spitze eines breiten Oppositionsbündnisses Ortega. Es waren die ersten freien Wahlen seit dem Sieg der linken Sandinisten-Rebellen im Jahr 1979. Doch aus der Neuauflage des Familienduells scheint nichts zu werden - am Mittwoch wurde Chamorro festgenommen und später unter Hausarrest gestellt.

Die von Ortega kontrollierte Justiz wirft der 67-Jährigen Geldwäsche "zum Schaden des nicaraguanischen Staates und Volkes" sowie "ideologische Falschheit" vor. Gleichzeitig beantragte die Staatsanwaltschaft ihren Ausschluss von den Wahlen. Chamorro wies die Vorwürfe als haltlos und politisch motiviert zurück. Sie hatte sich erst einen Tag vor ihrer Festnahme als Kandidatin für die parteiinternen Vorwahlen der Oppositionsbewegung "Bürger für die Freiheit" eingetragen. Alle Festgenommen sind scharfe Kritiker des autoritär regierenden Staatschefs Daniel Ortega und wollen im November gegen ihn antreten.

Beobachter sehen in den Festnahmen einen weiteren Schachzug des zunehmend autokratischen Ortega, um seine Wiederwahl zu sichern. Gleichzeitig sei dies auch ein Zeichen von Nervosität und Schwäche - und noch nicht das Ende des politischen Pokers in Managua.

Ortega bei einer Veranstaltung zum 40. Jahrestag der Revolution (Archivbild)Bild: Alfredo Zuniga/AA/picture alliance

"Ortega arbeitet systematisch daran, seine Gegner von einer Teilnahme an den Wahlen abzuhalten. Dafür hat er Anti-Terror- und NGO-Gesetze erlassen, Parteien aufgelöst und den Wahlrat mit seinen Anhängern besetzt", zählt Tiziano Breda, Mittelamerika-Experte der International Crisis Group, gegenüber der DW auf. Mehrere prominente Oppositionelle stehen unter Hausarrest. Anfang Mai wurde das Oppositionsbündnis Nationale Koalition von einer Wahlteilnahme ausgeschlossen. Die "Bürger für die Freiheit", für die Chamorro antreten wollte, sind deshalb das wichtigste politische Vehikel seiner Gegner.

"Angst vor einer Niederlage"

"Cristina Chamorro ist für Ortega besonders gefährlich, denn sie ist die bekannteste der Oppositionskandidaten, unter denen sie in Umfragen vorne liegt, und sie ist eine Sympathieträgerin, die ähnlich wie ihre Mutter in der Lage gewesen wäre, die Opposition zu einen", sagt Breda.

"Ortega nimmt alle potenziell gefährlichen Kandidaten vorzeitig aus dem Rennen, um gegen den bequemsten Gegner anzutreten", vermutet Alberto Cortes, Professor des Lehrstuhls für Mittelamerika an der Universität von Costa Rica. "Die für ihn beste Option besteht darin, seine Kritiker so zu zermürben, dass sie erst gar nicht wählen gehen."

Oppositionspolitiker Juan Sebastián Chamorro GarciaBild: Courtesy of J.S. Chamorro

Doch dass Ortega "dermaßen absurde Vorwürfe" erfinden musste, ist für Cortes auch ein Zeichen der Schwäche und der Angst vor einer Niederlage. "Cristiana aus dem Rennen zu nehmen, bedeutet noch nicht, dass eine Einheitskandidatur der Opposition vom Tisch ist", sagt der Professor für Politikwissenschaften und Geographie im Gespräch mit der DW. "Solche Aktionen können die Opposition auch zusammenschweißen."

Nagelprobe für seine Gegner

Breda ist da skeptischer und spricht von einer "Stunde der Wahrheit" für die Opposition. Er warnt, sie könne gespalten werden, bis nur noch ein Grüppchen übrig bleibe, das alle Bedingungen - und auch die Aussicht auf eine Niederlage - akzeptiere, nur um an den Wahlen teilnehmen zu können. "Egal, wie die Opposition sich entscheidet, sie geht Risiken ein und verliert Optionen. Ortega ist sehr geschickt darin, seine Gegner auseinander zu dividieren und ihnen Steine in den Weg zu legen."

Violeta Chamorro nach ihrem Wahlsieg 1990 mit OrtegaBild: dpa/picture alliance

Dennoch riskiert auch Ortega einiges. "Die Würfel sind noch nicht gefallen. Solche Aktionen können einen Bumerang-Effekt haben, zu Protesten führen und den internen Druck auf ihn erhöhen", sagt Cortés. "Und sie dürften auch dem letzten im Ausland klar machen, dass dies ein autoritäres Regime ist." Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch haben die Repression in Nicaragua kritisiert; auch die UN und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) haben wiederholt Verstöße gegen Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie angeprangert. Sein internationales Image sei für Ortega zweitrangig, glaubt indessen Breda. "Für ihn ist die Aussicht auf eine Wahlniederlage eine größere Bedrohung als die internationale Isolation."

Erinnerungen an 1990

Cortés und Breda sind sich jedoch einig, dass das letzte Wort hinsichtlich der Wahlen noch nicht gesprochen ist, und dass der Druck der internationalen Gemeinschaft hilfreich sein könnte. "Ich glaube, dass es noch eine Möglichkeit des Dialogs gibt, vor allem weil die US-Außenpolitik nun deutlich aktiver wird in der Region", sagt Breda. "Die von den USA verhängten wirtschaftlichen Sanktionen haben Ortega schwer getroffen, was er auch mehrfach erklärt hat. Da könnte man ansetzen."

Für Cortés ist es wichtig, dass die internationale Gemeinschaft Ortega drängt, Minimalstandards für eine demokratische Wahl einzuhalten und internationale Beobachter zuzulassen. "Wenn die Opposition antreten darf, wenn politische Gefangene freigelassen werden und politische Exilanten zurückkommen dürfen, dann hat Ortega wenig Chancen auf einen Wahlsieg", sagt er unter Verweis auf 1990. Denn auch damals verlor Ortega unerwartet entgegen aller vorherigen Umfragen. "Diese Lektion hat er gelernt, und deswegen will er Überraschungen vermeiden."

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