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Glaube

Nicht aus Zucker

23. Juni 2023

Was bedeutet es, in dieser Welt als Christ oder Christin zu leben? In der Bibel gibt Jesus eine gesalzene Antwort.

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Bild: Oleksandr Prokopenko/PantherMedia/IMAGO

Meine kleine Tochter ist jetzt 10 Monate alt und ob sie ihre ersten tapsigen Gehversuche macht oder fröhlich das Essen vom Hochstuhl schmeißt – in meinen Augen ist sie einfach süß wie Zucker. Wenn ich als Erwachsene hingegen mit Essen um mich werfe oder das Gleichgewicht verliere, findet das natürlich niemand niedlich. Süß – das sind scheinbar nur die Kleinen.

In der Bibel macht Jesus den Jüngern – und damit allen Christen – sogar ein nahezu gegenteiliges Kompliment. Er sagt: „Ihr seid das Salz der Erde.[1]

Als Christin bin ich laut Jesus also nicht süß – ich bin salzig. Zugegeben, auf den ersten Blick eine eher schräge Würdigung. Doch in dem Bild vom „Salz der Erde“ steckt eine tiefgehende Zusage über das Verhältnis von Christentum und Welt, die es näher zu ergründen gilt.

Wenn ein Essen versalzen ist, ist es ungenießbar. Ist es dagegen gar nicht gesalzen, schmeckt es fad. Was also heißt es, wenn diese Welt gesalzen ist und das durch das Christentum – durch mich als Christin?

Zunächst einmal und egal wie streng manche Diät auch sein mag: Jeder Mensch isst Salz. Niemand aber kann ausschließlich Salz essen. In der Sprache des biblischen Bildes wäre ein religiöser Fanatiker allerdings genau das: Ein Mensch, der nur Salz löffelt. Ein Christ, der alle Bereiche seines Lebens ausschließlich auf seine Religion reduzieren will und nichts anderes gelten lassen kann. Für das Verstehen anderer Weltanschauungen und den Dialog unterschiedlicher Perspektiven bleibt dann kein Platz. Eine sehr einseitige und auch gefährliche Angelegenheit. Denn so, wie eine ganze Packung Salz zu essen, nicht nur Übelkeit verursachen, sondern auch lebensbedrohlich sein kann, so besteht auch bei einem religiösen Fanatiker die Gefahr, dass er Andersdenkende nicht nur nicht tolerieren, sondern ihre Existenz schließlich auch nicht mehr ertragen kann.

Umgekehrt sagt Jesus aber auch: „Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr, außer weggeworfen und von den Leuten zertreten zu werden.“[2]

Wenn ein Essen lasch schmeckt, können wir es mit Salz würzen. Verliert das Salz aber seine Würze, kann es durch nichts anderes wieder gewürzt werden. Das Essen bleibt fad, egal was ich hinzugebe. Verlieren die Christen also ihren Geschmack – ihren Glauben –, dann kann das Christliche durch nichts anderes in der Welt ersetzt werden. Gerade als Christen sind wir in dieser Welt unersetzlich und zwar weil wir Gottes Liebe in die „Erde“ bringen, die ohne Gott nicht woanders hergenommen werden kann. Denn der Kern des Christentums – das, was durch nichts ersetzt werden kann – ist Christus selbst: Gottes Liebe, die Mensch geworden ist. Seine grenzenlose Hingabe für uns.

Dieser Liebe zu folgen und diese Liebe durch unser Denken und Handeln bis heute „zur Welt zu bringen“ – das ist es, was die christliche Würze zu einem so unersetzlichen Auftrag macht. Wenn wir nicht lieben wie Jesus, tut es sonst keiner für uns. Das gilt für jede und jeden Einzelnen, auch für mich.

Ob ein Essen aber schließlich gesalzen ist oder nicht – das lässt sich rein optisch nicht unterscheiden. Und so sieht man auch einem Menschen nicht an, ob er glaubt oder nicht. Nur „schmeckt“ dieser Mensch vielleicht irgendwie anders. Denn ein Christ würzt sich und sein Umfeld mit sich selbst.

Aber wie?

Ich glaube, das Besondere an der Würze des Glaubens ist: Sie fügt der Welt gar nichts hinzu. So wie das Salz – in richtiger Dosierung – keinen neuen Geschmack erschafft, sondern auf geheimnisvolle Weise nur den Geschmack hervorhebt, den die Nahrung bereits hat.

Und so verstehe ich mein Christ-sein: Ich füge der Welt nichts Fremdes hinzu, sondern als Christin will ich das hervorheben, was schon an Gutem vorhanden ist. Das heißt für mich beispielsweise, liebevoll die Stärken in einem Menschen zu sehen, Verständnis zu zeigen und meine Mitmenschen anzuerkennen und zu fördern.

Denn ich will diese Welt nicht versalzen, sondern ich will, dass sie schmeckt. Und zu einer guten Speise für jeden Menschen wird. So, dass wir alle auf den Geschmack kommen – von Gottes Liebe

 

.Anna-Marleen Wolter (Jahrgang 1988)

ist in Limburg an der Lahn groß geworden und hat in Freiburg katholische Theologie studiert. Nach dem Studium war sie im Schwarzwald und am Bodensee als Pastoralreferentin tätig und ist als Radioautorin derzeit bei den SWR4-Abendgedanken zu hören. Seit kurzem lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Bonn.

[1] Mt 5, 13.

[2] Ebd.