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Politik

Nicht mehr als ein Symbol

18. April 2020

Rund 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind nach Deutschland gekommen - trotz Corona. Zu wenige, befinden Kritiker. Denn die EU lässt Griechenland weiter im Regen stehen, das Land steuert auf eine Katastrophe zu.

Hannover | Minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland gelandet
Rund 50 minderjährige Flüchtlinge sind in Deutschland gelandet - für Kritiker viel zu wenige Bild: Reuters/F. Bimmer

Eigentlich wimmelt es am Athener Flughafen von Touristen und Geschäftsleuten. Im Jahr 2019 hat der Airport fast 26 Millionen Passagiere abgefertigt, in diesem Jahr sollte dieser Rekord noch einmal übertroffen werden.

Doch in Zeiten von Corona bleiben die riesigen Flure gespenstisch leer - trotz des griechischen Osterfestes, das eine Woche später gefeiert wird als in Deutschland. Eine der wenigen Maschinen, die am griechisch-orthodoxen Karsamstag starten durfte, machte sich auf den Weg nach Hannover. An Bord befanden sich 47 minderjährige und unbegleitete Flüchtlinge. 58 Kinder sollten ursprünglich am heutigen Tag kommen, doch ein Teil von ihnen ist derzeit - nicht-coronabedingt - krank und soll später nachreisen. Trotz der strengen Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus dürfen sie nach Deutschland. Bereits am Mittwoch waren weitere zwölf nach Luxemburg gebracht worden. Doch die Situation in den griechischen Flüchtlingslagern dürfte sich durch diese 70 Kinder weniger nicht wirklich entspannen.

Gähnende Leere auf dem Athener Flughafen Eleftherios VenizelosBild: picture-alliance/ANE

5200 unbegleitete Minderjährige in Griechenland

Eigentlich hatte Europa versprochen, 1600 der insgesamt 5200 minderjährigen und unbegleiteten Flüchtlinge aus Griechenland zu evakuieren. Dann kam die Corona-Krise und Mitte März beschloss auch die Bundesregierung, zunächst keine neuen Flüchtlinge aufzunehmen.

Auf Anfrage der Deutschen Welle teilte das Innenministerium kurz darauf zwar mit, dass sich die Entscheidung nicht auf die Flüchtlingskinder beziehe, die man zu evakuieren versprochen hatte, doch dann passierte lange nichts.

Dass jetzt nur insgesamt 70 Kinder ausreisen dürfen, wird von vielen Hilfsorganisationen im besten Fall als nette Geste bewertet. Angesichts der sich immer weiter verschlimmernden Lage in den griechischen Flüchtlingslagern, hatte man sich mehr erhofft.

Auch die frisch am Samstag abgegebene Erklärung des deutschen Botschafters in Griechenland, Ernst Reichel, wird an der Enttäuschung vermutlich wenig ändern. Dieser sagte vor Journalisten, dass zwischen 350 und 500 weitere Flüchtlingskinder nach Deutschland kommen dürfen. Wann genau, sei aber unklar.

"Unerträgliche Situation": Philippe Leclerc, Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in GriechenlandBild: DW/N. Ziogas

Für Philippe Leclerc, den Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Griechenland, ist dieser Transport aber zumindest ein Anfang, auch wenn die meisten Länder ihr Versprechen zur Aufnahme von jungen Flüchtlingen vorerst wieder zurückgezogen haben. Nach vielen Hilfeaufrufen hätte man nun endlich damit begonnen, vor allem Kinder unter 14 Jahren, die unter besonders schlimmen Bedingungen auf den Inseln ausharrten, nach Westeuropa zu bringen. Später würden noch mehr Kinder nach Deutschland und in andere Staaten gebracht werden, die für ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen garantieren könnten.

Dies sei auch dringend notwendig, sagt Leclerc: "Seit mehr als einem Jahr ist die Situation auf den Inseln, vor allem in Lesbos, Samos und Chios, unerträglich. In Samos ist die eigentliche Kapazität inzwischen um das Elffache überschritten." Gerade in Zeiten von Corona könne man eine solche Überbelegung nicht hinnehmen und dürfe Griechenland mit diesem Problem nicht alle lassen, unterstreicht Leclerc und hofft auf die Solidarität und das gemeinsame Verantwortungsbewusstsein der europäischen Staaten.

Kinder im Flüchtlingscamp Nea Kavala, GriechenlandBild: imago/Christian Mang

Ob seine Hoffnung erfüllt wird, ist fraglich. Jahrelang hatte Brüssel sich auf den Flüchtlingsdeal mit der Türkei verlassen und die sich immer weiter zuspitzende Lage auf den Inseln schlichtweg ignoriert. Erst als Ankara Ende Februar den Deal offiziell aufkündigte und Tausende von Flüchtlingen an der Evros-Grenze feststeckten, kam Bewegung in die Sache.

Wirtschaftlicher Absturz durch Corona?

Vasilis Papadopoulos macht sich derweil noch ganz andere Sorgen. Der Präsident des Griechischen Flüchtlingsrates (GCR) denkt bereits jetzt an die Zeit nach Corona. Griechenland würde durch das Virus erneut in eine wirtschaftliche Krise stürzen. Die Lage sei angespannt. "Es wird Probleme mit der Integration geben", befürchtet der GCR-Chef. Gerade Kinder seien davon besonders betroffen, auch jetzt schon: "Mehr als 1000 unbegleitete Minderjährige haben nicht mal eine feste Unterkunft, von Schulbildung oder einer Zukunft ganz zu schweigen. 300 von diesen Minderjährigen befinden sich in Polizeigewahrsam." So sei auch schon eine kleine Anzahl an Umsiedlungsmaßnahmen ein guter Schritt. Doch Papadopoulos weiß: Die Zeit drängt.

Der Präsident des Flüchtlingsrates, Vasilis Papadopoulos, befürchtet eine Verschlimmerung der Lage nach der Corona-Krise Bild: DW/N. Ziogas

Derweil befindet sich Hellas im Ausnahmezustand. Die Regierung in Athen ist stolz darauf, mit besonders strengen Maßnahmen die Ausbreitung des Virus in Schach zu halten. Jeder Gang vor die Tür muss gerechtfertigt und haarklein protokolliert werden. Wer sich ohne triftigen Grund draußen oder zu weit von zuhause aufhält, muss Strafe zahlen. Pünktlich zum Osterfest wurde der Personenverkehr auf den Autobahnen untersagt. Um jeden Preis will man verhindern, dass die Menschen zum wichtigsten Fest des Jahres ihre Familien besuchen und sich das Virus auf diese Weise ausbreitet. Auch deswegen hatte die Regierung die Strafen in der vergangenen Woche von 150 auf 300 Euro verdoppelt.

Keine Hoffnung auf Hilfe

Die Straßen von Athen und Thessaloniki sind leer. Überall patrouilliert die Polizei und kontrolliert die Bürger. Corona beherrscht das Leben und die Medien - und nimmt die Aufmerksamkeit von den 58 Flüchtlingskindern, die sich auf den Weg nach Deutschland machen. Vor Corona hätte die geringe Zahl wohl einen Aufschrei der Empörung verursacht. Nun interessieren sich die Menschen  allenfalls dafür, ob Flüchtlinge sich an die Maßnahmen halten oder ob sie, sollte sich das Virus in den Lagern ausbreiten, zur Gefahr für die lokale Bevölkerung werden könnten. Nach langen Wochen des Nichtstuns will die Regierung nun endlich damit beginnen, 2300 besonders gefährdete Flüchtlinge aus den Lagern zu evakuieren und in Hotels unterzubringen - zur Not auch gegen den Willen der Besitzer.

Für die meisten Menschen in Griechenland aber stehen gerade Zukunftssorgen im Mittelpunkt: "Ich lebe davon, im Sommer Touristen zu ihren Unterkünften zu bringen. Wir haben feste Abmachungen mit den Hotels. Wenn jetzt im Sommer niemand kommt, weiß ich nicht, was ich machen werde", klagt ein Taxifahrer. Auf Hilfe von der EU hofft er nicht. Nach den Jahren der Krise ist das Vertrauen in Europa gebrochen. Niemand glaubt daran, dass Athen und Brüssel den tiefen wirtschaftlichen Fall, den auch Experten durch die Corona-Krise vorhersagen, abfedern können.

Die 70 Flüchtlingskinder, die jetzt auf eine bessere Zukunft in Deutschland und in Luxemburg hoffen dürfen, lassen ein Land voller Sorgen hinter sich. Sowohl die Griechen, als auch die Flüchtlinge und Migranten selbst wissen nicht, was die Zukunft bringen wird. Aussicht auf Besserung hat hier kaum jemand. Dafür hat man das Land zu lange sich selbst überlassen.

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