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Politik

Hitler-Vergleiche gehen daneben - fast immer

Konstantin Klein
12. April 2017

Wer "Hitler" sagt, hat schon verloren. Diesen ironisch formulierten Grundsatz bekam der Sprecher des US-amerikanischen Präsidenten zu spüren - nach Nazi-Vergleichen in einer Pressekonferenz. Kein Einzelfall.

Sean Spicer Pressesprecher des Weißen Hauses
Bild: picture-alliance/dpa/A. Harnik

Wer oder was auch immer den Sprecher des Weißen Hauses bei seinem Hitler-Vergleich geritten hat - fest steht, dass solche Vergleiche in der amerikanischen Politik einen festen Platz haben. Und meist gehen sie daneben - wie der von Sean Spicer.

In seiner Pressekonferenz am Dienstag hatte Spicer mit Bezug auf den syrischen Machthaber Baschar al-Assad und den Giftgasangriff auf Zivilisten in Nord-Syrien gesagt, nicht einmal Adolf Hitler sei so tief gesunken, Giftgas einzusetzen. Auf Nachfragen der anwesenden Reporter verhedderte sich Spicer noch tiefer in der eigenen Argumentation und behauptete, Hitler hätte Giftgas nicht "gegen die eigenen Leute", sondern nur in "Holocaust-Centern" eingesetzt.

Abgesehen von der seltsamen Bezeichnung für Konzentrationslager wie dem in Auschwitz, unterstellte Spicer damit, dass Juden, politische Gegner der Nazis, Homosexuelle, Roma oder geistig Behinderte im Nazi-Reich nicht zu den "eigenen Leuten", also zum deutschen Volk gehörten. Das New Yorker Anne Frank Center bezeichnete Spicers Äußerungen als "Leugnung des Holocaust" und forderte die Entlassung des Sprechers. Spicer sah sich zu öffentlichen Entschuldigungen gezwungen.

Hitler-Vergleiche als politisches Werkzeug

Hitler-Vergleiche sind nichts Außergewöhnliches in der amerikanischen Politik. Sie werden in alle Richtungen eingesetzt. So wurde Donald Trump, der jetzige Präsident der USA, im Wahlkampf 2016 mit Hitler-Bärtchen und Ku-Klux-Klan-Haube unter der Überschrift "Mein Trumpf" verunglimpft. Seinen direkten Vorgängern Barack Obama und George W. Bush sowie Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton ging es nicht besser: Das schwarze Rechteck ist schnell auf die Oberlippe geschmiert und auch SS-Uniformen lassen sich mit moderner Bildbearbeitung jedem auf den Leib manipulieren.

Lauter "Sozialisten": Hitler, Obama, LeninBild: picture-alliance/dpa/J. Heinz

Auffallend ist, dass solche Vergleiche oft aus der Ecke kommen, in der sich Adolf Hitler selbst wohlgefühlt hätte: von ganz, ganz weit rechts. Dabei machen sich die Agitatoren zunutze, dass an US-amerikanischen Schulen außeramerikanische Geschichte eine untergeordnete Rolle spielt. So wird die Bezeichnung der Hitler-Partei, der Nationalsozialisten, gerne genutzt, um zu unterstellen, dass die Nazis in Wirklichkeit keine Rechten, sondern Sozialisten gewesen seien. Das wird als Beschimpfung in der politischen Landschaft der USA nur noch von "communist" übertroffen.

Dass es in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts innerhalb der NSDAP durchaus sozialistisch angehauchte Strömungen gab, hat in dieser Art der Diskussion ebensowenig Platz wie die Tatsache, dass Hitler mit der finanziellen Unterstützung von Großkapitalisten an die Macht kam und er sich der "linken Nazis" um Gregor Strasser rasch entledigte.

Atomvertrag mit dem Iran? Hitler!

In der politischen Auseinandersetzung in den USA geht es aber meistens darum, dem politischen Gegner ein hässliches Etikett anzukleben. Jemand ist für schärfere Waffengesetze? Hitler! Ein liberales Abtreibungsrecht? Hitler! Der Atomvertrag mit dem Iran? Hitler! Keine Solidaritätsbekundung mit Terroropfern? Hitler! In allen diesen Fällen war Ex-Präsident Barack Obama gemeint und in allen Fällen kamen die Hitler-Vergleiche von Republikanern oder ihnen Nahestehenden.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete Auftrittsverbote in Deutschland als Nazi-MethodenBild: Getty Images/AFP/O. Kose

Damit befinden sich die US-amerikanischen "Hitler!"-Rufer und Nazi-Vergleicher in internationaler Gesellschaft: Recep Tayyip Erdogan hat Nazi-Vergleiche verwendet, der philippinische Präsident Rodrigo Duterte, und auch der heutige britische Außenminister Boris Johnson hat vor der Abstimmung über den Brexit dazu gegriffen. Britische und polnische Boulevardblätter übertreffen sich regelmäßig mit Darstellungen von Angela Merkel in SA-Uniform. Und die deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin verlor 2002 sogar ihren Job, nachdem sie die Politik des damaligen US-Präsidenten George W. Bush mit der Adolf Hitlers verglichen hatte.

Es geht nur noch um den Hitler-Vergleich

Es gibt zwei Grundsätze, die jeder beachten sollte, der sich in die Gefahr begibt, einen Hitler-Vergleich zu ziehen. Der eine ist der von dem deutsch-amerikanischen Philosophen Leo Strauss 1953 beschriebene Fehlschluss der "reductio ad Hitlerum". Danach wird versucht, ein Argument oder eine Handlung dadurch zu widerlegen oder zu verurteilen, dass man auch Hitler unterstellt, er habe das Argument vertreten oder die Handlung verantwortet. Spicers Versuch, den nordsyrischen Giftgasangriff als noch furchtbarer darzustellen als die Massenmorde durch das nationalsozialistische Deutschland, ist ebenfalls fehlgeschlagen.

Den zweiten Grundsatz formulierte etwa der Historiker Thomas Weber von der Universität Aberdeen in einem DW-Interview vor der US-Wahl 2016: "Der Erste, der Hitler anführt, hat die Diskussion verloren, weil das Gespräch sich nur noch um den Hitler-Vergleich dreht und nicht mehr um die wirkliche Substanz", sagt er.

Und genau das ist Sean Spicer passiert: Nicht die moralische Verkommenheit eines Giftgasangriffes auf Zivilisten ist das Thema, das die Diskussionen beherrscht, sondern der misslungene Hitler-Vergleich eines ungeschickten Pressesprechers.

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