Jedem achten Bundesliga-Profi droht, in der kommenden Saison ohne Vertrag dazustehen. Die Experten sind sich einig: Die Corona-Krise wird dafür sorgen, dass mehr Profifußballer als sonst auf der Straße stehen werden.
Anzeige
Selbst der Schütze des "goldenen" Tors von Rio sitzt mit im Boot. Mario Götzes Vertrag bei Borussia Dortmund läuft am 30. Juni aus. Und seit Samstag steht endgültig fest: Der 27-Jährige wird den BVB verlassen. Wohin ist noch unklar, vielleicht nach England oder Italien. Götze, der 2014 mit seinem Siegtreffer zum 1:0 im Finale gegen Argentinien zum WM-Helden wurde, ist der prominenteste von über 60 Bundesliga-Profis, die Ende Juni ohne Job dastehen. Es sei denn, ihre Berater finden einen neuen Arbeitgeber oder einigen sich mit dem alten Klub darauf, den bestehenden Vertrag zu verlängern. Allein bei der abstiegsbedrohten Düsseldorfer Fortuna laufen zehn Verträge aus.
Ulf Baranowsky von der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) rechnet damit, dass wegen der Corona-Krise mehr Spieler als sonst auf der Straße stehen werden. "In der Tat müssen wir darauf vorbereitet sein, dass viele Klubs ihre Kader verkleinern und Neuverträge auch geringer vergütet werden", sagt der VdV-Geschäftsführer der DW.
Marktwert rasant gesunken
Die Unterbrechung oder sogar komplette Absage der Spielzeiten im europäischen Fußball haben nicht nur dazu geführt, dass den Vereinen fest eingeplante Einnahmen verloren gingen. Auch der Marktwert der Fußballer ist geschrumpft. Das Portal "transfermarkt.de" stufte alle nach 1998 geborenen Profis um 10 Prozent herunter, ältere Spieler um 20 Prozent.
Das renommierte, international tätige Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG ermittelte für die Bundesligaspieler einen Wertverlust zwischen Februar und Mai von im Schnitt 16,5 Prozent - für den Fall, dass der jetzt begonnene Spielbetrieb auch bis zum Saisonende fortgesetzt werden kann. Im Falle eines Saisonabbruchs läge der Marktwert sogar um durchschnittlich 25,4 Prozent niedriger.
Selbst Nationalspieler wie Leon Goretzka vom FC Bayern (minus 30 Prozent), Matthias Ginter von Borussia Mönchengladbach (35,3) und Emre Can von Borussia Dortmund (36,4) wären derzeit aktuell deutlich weniger wert als vor Beginn der Corona-Krise. Für diese drei Spieler trifft zu, was Spielerberater Stefan Backs im DW-Interview so beschreibt: "Jeder Spieler, der aktuell einen Vertrag hat, der über diesen Sommer hinaus gilt, kann sich glücklich schätzen."
Ganz normale Angestellte
Für jeden achten Bundesligaprofi gilt das nicht. In den Ligen darunter ist die Lage noch prekärer. In der 2. Liga läuft der Vertrag fast jedes vierten Spielers ab (23,9 Prozent der Verträge), in der 3. Liga ist mehr als jeder Dritte betroffen (36,6), in den fünf Regionalligen sogar mehr als jeder zweite Spieler (59,5).
Sowohl Gewerkschafter Baranowsky als auch Spielerberater Backs verweisen vor diesem Hintergrund auf eine verzerrte Wahrnehmung des Berufs Fußballprofi in Deutschland. Millionäre seien bestenfalls Spieler aus der Bundesliga. "Die breite Masse der Profis ist von Topgehältern meilenweit entfernt", sagt Baranowsky. Sie seien ganz normale Angestellte, die hart getroffen würden, wenn sie ohne Vertrag dastünden. "Beispielsweise kümmern wir uns gegenwärtig um Regionalliga-Spieler, die ihren Lebensunterhalt von deutlich weniger als 1000 Euro bestreiten müssen."
Auch in der zweiten und dritten Liga ist die Lage alles andere als rosig. "Die Spieler dort haben es ohnehin nicht leicht, weil sie in der Regel nicht so viel Geld verdienen, dass sie nach der Karriere ausgesorgt haben", sagt Backs. "Sie haben große Schwierigkeiten, hinterher wieder im Berufsleben Fuß zu fassen. In dieser Krise werden dann auch noch Gelder gekürzt, vielleicht werden hinterher sogar einige Vereine gar nicht mehr existieren."
Toptransfers nur noch bei Topspielern
Die Spielergewerkschaft VdV, so Geschäftsführer Baranowsky, rate Fußballern, die aktuell ohne Vertrag dastehen, abzuwägen, "inwieweit es besser ist, zunächst eine kurze Vertragslaufzeit zu wählen. Wenn danach nämlich die Krise vorbei sein sollte, hätten die Spieler im Verhandlungpoker wieder bessere Karten". Und ein Wechsel ins Ausland? Das hänge "sehr stark vom Leistungsniveau und von den persönlichen Vorstellungen" des Spielers ab, sagt Baranowsky. "Wer auch auf dem internationalen Arbeitsmarkt die Augen aufhält, hat aber zumindest bessere Jobchancen."
Dagegen spricht, dass auch in den anderen Staaten Europas Profi-Fußballklubs unter den Folgen der Corona-Krise leiden. Sie werden aller Voraussicht nach dreimal nachdenken, ehe sie einem guten, aber nicht überragenden Spieler aus Deutschland einen Vertrag geben. "Es wird kurzfristig erst mal so sein, dass die ganz großen Transfers nur noch bei absoluten Topspielern stattfinden", erwartet Spielerberater Backs.
Flucht in die Qualität
"Flight to quality", Flucht in die Qualität, nennen Finanzexperten dieses Phänomen: In einer wirtschaftlichen Krise investieren Unternehmen nur noch in risikoarme Geschäfte. Fußballvereine werden sich also eher dagegen entscheiden, einen Spieler zu verpflichten, der seine Topform nicht nachweisen konnte - oder auch durfte, wie im Fall Mario Götze, der zuletzt bei Borussia Dortmund meist auf der Auswechselbank saß. Götzes Marktwert ist übrigens inzwischen laut "transfermarkt.de" auf gut zehn Millionen Euro gesunken. Vor einem Jahr lag er noch bei 25 Millionen Euro, 2014 zu seiner Zeit bei den Bayern sogar bei über 50 Millionen Euro. Selbst WM-Ruhm verblasst - in der Corona-Krise noch schneller.
Bundesliga: Wohin wechseln die Top-Spieler?
Nächster Karriereschritt, auslaufender Vertrag oder keine Zukunft mehr beim alten Klub: Trotz der Corona-Pandemie könnten im Sommer einige Top-Spieler den Verein wechseln - darunter Weltmeister und Nationalspieler.
Bild: Imago Images/J. Schüler
Kai Havertz - Bayer Leverkusen
So viel Geld, was will man machen: In die Geste von Kai Havertz kann man das hineindeuten. 100 Millionen! Das ist seit Beginn der Spekulationen über den Leverkusener Top-Star der Betrag, um den es geht. Nun soll der FC Chelsea bereit sein, so tief in die Schatulle zu greifen. "Es ist für keinen ein Geheimnis, dass es Interessenten gibt", sagt der Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, Rudi Völler.
Bild: Imago images/U. Kraft
Timo Werner - RB Leipzig
Sollte Havertz' Transfer nach London zustande kommen, würde der 21-Jährige dort mit Nationalmannschaftskollege Timo Werner spielen, der für 53 Millionen Euro von RB Leipzig zu den "Blues" aus London wechselt. Leipzig hat als Werner-Nachfolger bereits den Koreaner Hee-chan Hwang von "Schwester-Klub" RB Salzburg verpflichtet, außerdem kommt der Ex-Leverkusener Benjamin Henrichs.
Bild: Getty Images/Bongarts/A. Grimm
Leroy Sané - Manchester City
Kommt er, kommt er nicht ....? Das Warten der Bayern-Fans hat ein Ende. Der Nationalstürmer verlässt Manchester City und heuert beim deutschen Rekordmeister an. Der Transfer des Wunschspielers kostet den Rekordmeister mindestens 50 Mio. Euro, erfolgsabhänigi ggf. auch mehr. Sané unterschrieb in München für fünf Jahre und bekommt die Rückennummer 10 vom Kollegen Coutinho ...
Bild: picture-alliance/dpa/PA Wire/M. Rickett
Philippe Coutinho - FC Bayern München
... den es wiederum ebenfalls zum FC Chelsea ziehen könnte. Der Brasilianer spielt bislang auf Leihbasis in München, konnte aber noch nicht vollends überzeugen. Der FCB hat seine Kaufoption verstreichen lassen. Die Bayern hätten die unglaubliche Ablösesumme von 120 Millionen Euro an Barcelona zahlen müssen, haben aber jetzt in Leroy Sané investiert. Für Coutinho ist wohl kein Platz mehr.
Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen
Milot Rashica - Werder Bremen
Dass der 23-jährige Kosovare Bremen verlassen wird, gilt als sicher. Fraglich ist nur, wo Rashica den nächsten Karriereschritt machen möchte. Liverpool, Leipzig, der BVB und auch der AC Mailand werden als potentielle Abnehmer gehandelt. Werders Sportchef Frank Baumann, der die Millionen gut gebrauchen kann, rechnet damit, dass der Transfermarkt wegen der Corona-Pandemie erst spät in Gang kommt.
Bild: Getty Images/Bongarts/C. Mueller
Jadon Sancho - Borussia Dortmund
Er hat noch zwei Jahre Vertrag in Dortmund, dennoch reißen die Gerüchte über einen Abschied im Sommer nicht ab. Sancho ist derzeit das wohl größte Talent des englischen Fußballs. Kein Wunder, dass einige Topklubs den 20-Jährigen nach Hause auf die Insel holen wollen. Neben Chelsea ist Manchester United bemüht und hat aktuell wohl die besten Chancen, das Top-Talent zu verpflichten.
Bild: Reuters/M. Rehle
Mario Götze - Borussia Dortmund
Der Weltmeister von 2014 hat beim BVB keinen neuen Vertrag mehr erhalten. Der 27-Jährige kann daher ablösefrei wechseln. Aus der Bundesliga war - noch zu Klinsmann-Zeiten - Hertha BSC interessiert. Zudem soll es in Italien, Spanien und Frankreich mehrere Klubs geben, die Götze gerne verpflichten würden. Heiße Kandidaten könnten der AC Mailand oder die AS Rom sein.
Bild: Imago Images/Nordphoto
André Schürrle - Borussia Dortmund
Auf Abschied stehen die Zeichen auch bei einem anderen 2014er-Weltmeister vom BVB. André Schürrle ist derzeit an Spartak Moskau ausgeliehen, doch die Russen ließen eine Kaufoption verstreichen. Wenn kein Angebot aus der Bundesliga kommt wird Schürrle wohl aus der Not eine Tugend machen und dorthin gehen, wo er das meiste Geld verdient - möglicherweise in die Türkei oder nach China.
Bild: Imago Images/S. Kivrin
Robin Gosens - Atalanta Bergamo
Gosens hat bislang noch nicht in der Bundesliga gespielt, steht aber auf dem Wunschzettel einiger deutscher Klubs. Der Linksverteidiger, der jüngst den Publikumspreis beim "Deutschen Fußball-Botschafter" gewinnen konnte, wird angeblich von Borussia Dortmund, Eintracht Frankfurt und dem FC Schalke umworben. Sein Marktwert soll bei 20 Millionen Euro liegen.
Bild: Imago-Images/Insidefoto/A. Staccioli
Achraf Hakimi - Borussia Dortmund
Nach zwei Jahren als Leihspieler beim BVB wird der 21-jährige Marokkaner seine Zelte in Dortmund abbrechen. Doch er geht nicht zu seinem Stammverein Real Madrid zurück, sondern wechselt zu Inter Mailand. 40 Millionen Euro beträgt die Ablösesumme. Ein Wechsel zu PSG hatte auch im Raum gestanden, aber offenbar haben die Pariser wegen des Geldes abgewunken.
Bild: Reuters/R. Orlowski
Dayot Upamecano - RB Leipzig
2021 endet sein Vertrag, Leipzig könnte mit einem Transfer daher nur noch in diesem Sommer Geld verdienen. Der FC Bayern soll Interesse haben, allerdings liegt die festgeschriebene Ablösesumme bei 60 Millionen Euro. Leipzig würde am liebsten mit Upamecano verlängern und drängt auf eine Unterschrift. Dessen Berater spielt dagegen auf Zeit, schließlich hat der 21-Jährige noch ein Jahr Vertrag.
Bild: picture-alliance/AP Images/J. Meyer
Malang Sarr - OGC Nizza
Der französische U21-Nationalspieler wird wohl in die Bundesliga wechseln, das verkündete Nizzas Sportchef Julien Fournier. Sarr ist eines der größten Verteidiger-Talente in Europa. Der 21-Jährige wird von Gladbach, Leverkusen, Hoffenheim und Leipzig umworben. Chancen hat letztlich wohl nur ein Verein, bei dem Sarr auch in der Champions League spielen kann. Schalke scheidet also aus.