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Ärzte-Notruf aus der Notaufnahme

Kay-Alexander Scholz
3. Juli 2021

Private Krankenhausbetreiber wollen ungeachtet der Pandemie sparen und Personal entlassen - vor allem in der Notfallmedizin. Jetzt rächt sich offenbar, dass eine geplante Reform nicht umgesetzt wurde.

Deutschland Krankenhaus Notaufnahme Symbolbild
Bild: Christian Behring /POP-EYE/imago images

Die Corona-Pandemie ist noch nicht überstanden, da versuchen private Klinikbetreiber offenbar, Sparprogramme umzusetzen. Mitte Mai berichtete die Wochenzeitung "Die Zeit", dass Helios - mit 86 Kliniken Deutschlands größter privater Klinikbetreiber - plane, Personal zu entlassen.

Einige Tage später veröffentlichte - auf diesen Artikel bezugnehmend - der CDU-Gesundheits- und Sozialpolitiker Dennis Radtke einen offenen Brief. "Aus meiner Sicht ist es ein Skandal, dass öffentliche Mittel in Höhe von zehn Milliarden in den Krankenhaussektor geflossen sind, nunmehr aber ein Abbau beim ärztlichen Personal stattfindet", heißt es dort.

Radtke bezieht sich auf staatliche Hilfen, die in der Pandemie auch an Kliniken flossen, die letztlich dann ganz gut durch die Pandemie gekommen seien. Die Kürzungen "sollen stattfinden, obwohl in den jeweiligen Kliniken beachtliche positive Ergebnisse erwirtschaftet wurden".

Diskussion bei Twitter

Auch auf Twitter gibt es Wortmeldungen zur Debatte um Entlassungen und Umstrukturierungen.

Ein Antwort-Tweet lässt vermuten, dass es auch bei Asklepios, einem anderen großen privaten Betreiber von Krankenhäusern und Kliniken in Deutschland, Sparpläne gibt.

Die DW ging den Posts nach und konnte teilweise auch Gespräche mit den Autoren führen. Öffentlich wollte sich allerdings niemand äußern. Vermutlich besteht bei den Betroffenen die Sorge, arbeitsrechtliche Fehler zu begehen. Bislang hat die deutsche Regierung eine EU-Richtlinie zum Whistleblower-Schutz noch nicht umgesetzt.

Helios: Deutschlands größter privater KlinikbetreiberBild: picture-alliance/dpa/F. Sommer

Das Börsen-Unternehmen Fresenius, zu dem die Helios-Kliniken gehören, reagiert auf die DW-Anfrage nach einer Stellungnahme zu den Behauptungen in den Tweets mit zwei Sätzen: "Aus den Tweets kann man leider nicht erkennen, welche Problematik hier angesprochen werden soll. Wir können nur sagen, dass wir unsere Notaufnahmen selbstverständlich unserem Versorgungsauftrag entsprechend betreiben und diese auch adäquat mit Personal ausstatten."

Janosch Dahmen: Ein Insider berichtet

Auch der Gesundheitsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen, ist den Berichten und Tweets zum Thema Personalabbau in privaten Krankenhauskonzernen nachgegangen, sagt er im DW-Interview. Er habe mit Pflegepersonal und mit Ärztinnen und Ärzten gesprochen und konnte, wie er sagt, den Inhalt der Meldungen "verifizieren".

Der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen arbeitete bis November 2020 selbst in der NotfallmedizinBild: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance

Dahmen ist selbst Arzt und hat noch bis November 2020 in der Notfallmedizin gearbeitet. Erst danach kam er als sogenannter Nachrücker in den Bundestag. Es gebe zwei Bereiche bei den Personalkosten, erläutert er, bei denen gespart werden solle.

Pflegepersonal muss andere Aufgaben mitmachen

Den ersten Bereich beschreibt er als negative Folge einer Änderung: In Krankenhäusern wurden mittlerweile Personaluntergrenzen bei den Pflegekräften eingeführt. Zudem würden die Löhne nun aus einem extra Budget gezahlt. "Deshalb kann man im Bereich des Pflegepersonals im Prinzip nicht mehr sparen", erläutert Dahmen. Nun würden andere Wege gesucht, auch nach der Pandemie Gewinne zu erwirtschaften.

Damit die Klinik Geld spart, sollen Pflegekräfte wohl andere Jobs mitmachenBild: picture-alliance/dpa/M. Kusch

Zum einen: Die Pflegekräfte bekämen Aufgaben, die zuvor von anderen - zum Beispiel von Servicekräften und Botendiensten - erledigt worden seien. "Die 'anderen' Beschäftigten werden dann arbeitslos", sagt Dahmen. Deren Kosten fielen nicht mehr an. Ihre Arbeit müssten die Pflegekräfte mitmachen. Dahmen befürchtet, dass dieser "ökonomische Vorteil" auch von anderen Krankenhäusern übernommen wird: "Im Ergebnis haben wir dann aber keine bessere Versorgung, sondern überlastete und frustrierte Menschen in der Pflege, arbeitslose Servicekräfte und das alles nur, damit die Dividende der Konzerne stimmt."

Weniger Spezialisten auf der Notfallstation

Außerdem solle auch beim medizinischen Personal gespart werden: "Private Klinikkonzerne haben sich zum Ziel gesetzt, 10 bis 20 Prozent der Arztstellen im nächsten Jahr einzusparen."

In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im April hatte Helios-Chef Francesco De Meo gesagt: "Im Durchschnitt planen wir je Klinik mit drei Stellen weniger". In manchen Häusern würden mehr, in anderen weniger entlassen.

Dahmen beschreibt, wie das auf Notaufnahmen umgesetzt würde: "Dort wird nicht mehr je ein Spezialist für Inneres oder Chirurgie vorgehalten, sondern nur noch ein diensthabender Arzt oder eine Ärztin. Das ist dann der Notfallarzt, der sich um alles kümmert, nicht nur in der Notaufnahme sondern auch auf den anderen Stationen." Betroffen seien vor allem kleinere und mittlere Häuser.

Auf Leben und Tod: Gerade in der Notfallmedizin müssen die Rahmenbedingungen stimmenBild: imago images/Political-Moments

Eigentlich aber hatte der Gesetzgeber 2018 ein Stufenmodell für Notfall-Stationen erlassen, das regeln soll, wie viele Ärzte und anderes Personal vorgehalten werden müsse. Nur dann sollte es auch entsprechende Zu- oder auch Abschläge in der Vergütung geben. Doch "diese Notfallstufen und die Pflicht, bestimmte Parameter vorzuhalten", seien noch nicht flächendeckend umgesetzt, da die Vergütungsanreize bisher nicht wirkungsvoll beschlossen seien, sagt Dahmen. Auch diese Lücke würde derzeit ausgenutzt.

Verpasste Reform: "Da ist kostbare Zeit verspielt worden"

Unabhängig vom aktuellen Geschehen bestehe auf mehreren Ebenen erheblicher Handlungsbedarf, die Notfallversorgung in Deutschland zu reformieren, ärgert sich Dahmen: "Gerade die Pandemie hat noch einmal gezeigt, was für große Defizite es im Bereich der Notfallversorgung gibt." Doch die Bundesregierung habe die für diese Legislaturperiode angedachte große Reform nicht durchgezogen. Dabei habe alles ganz gut angefangen.

2018 hatte der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen für das Bundesgesundheitsministerium ein Gutachten mit vielen Verbesserungsvorschlägen verfasst. Darin forderten die Experten unter anderem "eine Notfallversorgung 'aus einer Hand'".

Dann sei sogar ein Referenten-Entwurf - eine Vorstufe zum Gesetz - geschrieben worden, berichtet Dahmen. Doch weiter sei man nicht gekommen: "Da ist kostbare Zeit verspielt worden."

Auch eine Reform-Baustelle: die Bezahlung der RettungsdiensteBild: Karl F. Schöfmann/Imagebroker/picture alliance

Denn es gebe genug zu tun, sagt Dahmen: Wichtig wäre, dass die beiden Notfall-Telefonnummern zusammengeführt würden, dass es mehr Notfall-Behandlungsmöglichkeiten durch den Rettungsdienst auch zuhause gebe und eine bessere Struktur mit weniger, aber besser ausgestatteten Notaufnahmen. "Letztlich brauchen wir in der Notfall- und Intensivmedizin eigene Budgets und feste Personalvorgaben für alle Berufsgruppen. Wir bezahlen Polizei und Feuerwehr ja auch nicht danach, wie viele Räuber sie fangen oder Brände sie löschen."

Zudem sei nicht mehr nachvollziehbar, warum es in Deutschland noch immer keine Facharzt-Ausbildung für Notfallmedizin gibt - wie in den allermeisten EU-Staaten und auch den USA üblich. Diese Kritik teilt auch einer der Autoren der Tweets.

Neuer Versuch nach den Wahlen?

Die Grünen haben nach derzeitigen Umfragen gute Chancen, in der nächsten Regierung zu sitzen - vielleicht auch zusammen mit den Liberalen. Im Gesundheitsbereich scheint es schon jetzt Schnittmengen zu geben.

Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause unternahmen beide Oppositions-Fraktionen im Bundestag einen letzten Versuch, Änderungen in der Notfallmedizin zu erreichen. Der Gesundheitsausschuss lehnte jedoch mehrheitlich ab. Währenddessen testen offenbar manche Klinikbetreiber neue Lücken aus, um zu sparen.

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