1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Nie um starke Worte verlegen: Maxim Gorki

28. März 2018

Maxim Gorki porträtierte in seinen Texten und Theaterstücken die russische Gesellschaft. Doch die Freundschaft zu Lenin und seine Wandlung zum Staatsschriftsteller kratzten an seinem Ruf. Vor 150 Jahren wurde er geboren.

Der russische Schriftsteller Maxim Gorki
Bild: Getty Images/AFP

"Die Mutter", "Ein Sommer" oder "Das Leben des Klim Samgin" heißen seine bekanntesten Romane. Mit "Nachtasyl", "Die Kleinbürger" oder "Kinder der Sonne" schrieb er weltweit gespielte Bühnenwerke. Seine zahllosen Erzählungen schildern russisches Leben im vor- und nachrevolutionären Russland. Gorki alias Alexei Maximowitsch Peschkow (1868-1936) stammte aus ärmsten Verhältnissen. Er war Autodidakt und schrieb unter einem Pseudonym: Maxim Gorki heißt übersetzt "der Bittere".

Aber Maxim Gorki ist nicht gleich Maxim Gorki. Davon ist Armin Knigge, emeritierter Professor für slawische Philologie, überzeugt. "Gorki ist voller Widersprüche und Klischees", sagt er. "Kein Klassiker wie Dostojewskij, aber doch ein Großer der Weltliteratur." Knigge ist nicht nur Gorki-Kenner, er ist auch ein leidenschaftlicher Gorki-Freund. Ihn fasziniert vor allem das sprachliche Vermögen des Autors, dessen Werk er als eine "Porträtgalerie des russischen Menschen" bewundert. Gorki, der Menschenverehrer, der kluge und genaue Beobachter, in seiner Fabulierkunst auf Augenhöhe mit Thomas Mann: Seit 2006 widmet Knigge dem Russen den Internet-Blog "Der unbekannte Gorki".

Einige Jahre lebte Gorki in der Rjabuschinski Villa in Moskau: Heute ist dort das Maxim-Gorki-Museum untergebrachtBild: picture alliance/dpa/E. Alain Ducke

Poet der Revolution

Gorkis 150. Geburtstag und die jüngste Präsidentenwahl in Russland - beides fällt in diesen Tagen zeitlich fast zusammen. Für Knigge kein Zufall: Das "voraussehbare Ergebnis von 77 Prozent für Putin und die volksfestartige Inszenierung der Wahl" hätten die alten Fragen ausgelöst, bloggt Knigge: "Warum denken und fühlen die Russen ein Jahrhundert nach dem Sturz des Zaren immer noch so monarchistisch und patriarchalisch? Warum sind 'Freiheit' und 'Demokratie' heute in Russland eher Schimpfwörter?" 

Das echte Gorki-Bild, so viel ist gewiss, entsteht im Auge des Betrachters. War der Autor des "Liedes vom Sturmvogel", das er 1901 nach einer brutal niedergeknüppelten Studentendemonstration in Sankt Petersburg schrieb, wirklich der Poet der Revolution? War es Zufall, dass der Sturm, von dem dieser Vogel mit der "Kraft des Zorns, der Flamme der Leidenschaft und der Gewissheit des Sieges" kündete, auf revolutionären Versammlungen vorgetragen wurde? 

Proletarischer Schriftsteller

Um starke Worte war der am 28. März 1868 geborene Maxim Gorki nie verlegen. Nicht in seinem literarischen Schaffen, den frühen sozialkritischen Theaterstücken etwa, die ihn so populär machten. Nicht in dem Roman "Die Mutter" (1907), der zu einem Klassiker der Sowjetliteratur aufsteigen sollte, weil der Held ein Fabrikarbeiter und damit ein echter Proletarier ist. Ebenso wenig in seiner Freundschaft zu Lenin, dem Helden der Revolution. 

Maxim Gorkis Geburtsort erhielt 1932 ihm zu Ehren einen neuen Namen: GorkiBild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

Literarische Würdigung und politische Vereinnahmung decken sich im Sowjetreich: Als die Kommunistische Akademie am 22. Oktober 1927 beschließt, Gorki als "proletarischen Schriftsteller" anzuerkennen, eröffnet sich für den Autor ein wahrer Würdigungsreigen: Gorki bekommt den Leninorden, die höchste Auszeichnung der Sowjetunion. Er wird Mitglied im Zentralkomitee der KPdSU. Sein 60. Geburtstag wird im ganzen Land feierlich begangen und zahlreiche Institutionen werden nach ihm benannt. Sogar seine Geburtsstadt Nischni Nowgorod ändert ihren Nahmen 1932 in Gorki - und heißt bis 1990 so.

"Erhebung zum Staatsdichter hat Gorki geschadet"

Vor allem solche Elemente in Gorkis Schaffen geraten in den Blick, die in den Kanon des sozialistischen Realismus passen. Dient Gorkis "Mutter" als Vorbild für die neue sowjetische Literatur? "Die Erhebung zum sowjetischen Staatsdichter hat Gorki und seiner Reputation ungeheuer geschadet", ist Gorki-Forscher Knigge überzeugt.

Revolutionäre im Gespräch: Diktator Josef Stalin und Dramatiker Maxim GorkiBild: picture-alliance/dpa

"Der Sowjetstaat hat ihn zum Parteisoldaten gemacht. Aber ein Stalinist war Maxim Gorki nie!" Sicher ist: Gorkis Verhältnis zu den Mächtigen nach der Revolution ist voller Widersprüche. In seinen "Unzeitgemäßen Gedanken über Kultur und Revolution" etwa, die er 1917 bis 1918 in der Zeitung "Novaja Zizn" veröffentlicht, steht er den Gräueln der Oktoberrevolution noch eindeutig ablehnend gegenüber und kritisiert auch Lenin. Später schwenkt er dann auf die bolschewistische Linie ein. Mit seiner geschönten Reportage über den - vom Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn beschriebenen - Gulag am Weißen Meer, wo "Blumentöpfe an den Fenstern der Baracken aufgestellt" werden, erweist sich Gorki als naiv. 

Am Ende ist er eine Galionsfigur Stalins und Gegenstand eines maßlosen Personenkults. Er hat viele Jahre im Ausland verbringen müssen, bevor er am 18. Juni 1936 in Moskau stirbt. Selbst um seinen Tod ranken sich bis heute Gerüchte: Ließ Stalin ihn ermorden? Den Großen Terror jedenfalls, dem auf Geheiß Stalins schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fallen, erlebt er nicht mehr. Als die Sowjetunion 1991 zusammenbricht, stürzt man auch ihn, den Staatsschriftsteller, vom Sockel. Und inzwischen ist klar: Man sollte den Schriftsteller Gorki tunlichst vom Politiker Gorki trennen.

Frühe Erzählungen zum Geburtstag

Neu erschienen: Meistererzählungen von Maxim Gorki

Gorkis Romane, Erzählungen und Theaterstücke sind in mehr als 100 Sprachen übersetzt. Zum 150. Geburtstag hat der Berliner Aufbau-Verlag jetzt 17 frühe Erzählungen Gorkis herausgebracht, der Titel:"Jahrmarkt in Holtwa".

Sie erzählen vom Leben der einfachen Menschen im vorrevolutionären, zaristischen Russland - kleine Gauner und Landstreicher, die nach einer verheerenden Hungersnot bettelnd und marodierend durch die Lande zogen.

Übersetzt hat sie die Philologin Ganna-Maria Braungardt. "Diese Erzählungen sind sehr stark", sagte sie kürzlich in der ARD, "weil sie auf persönlichem Erleben beruhen. Sehr authentisch - noch nicht von politischen Ideen beeinflusst."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen