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Großbaustelle Siemens

Insa Wrede
15. November 2017

Der Industriegigant Siemens freut sich über Milliardengewinne - umgebaut wird der Konzern trotzdem weiter. Statt großem Tanker setzt Joe Kaeser auf einen flexibleren Flottenverband. Heute kommen die Karten auf den Tisch.

Deutschland Siemens Hauptquartier in München
Bild: Reuters/M. Dalder

Der Siemens-Konzern kommt einfach nicht zur Ruhe. Es wird umgebaut und umgebaut. Immer wieder werden neue Geschäftsfelder als zukunftsträchtig beurteilt, Beteiligungen dazugekauft und weniger vielversprechende Geschäftsteile abgestoßen. Die Lichtfirma Osram, der Haushaltsgerätehersteller Bosch Siemens, der Chipbauer Infineon, das Telekommunikationsgeschäft mit Handys und Netzwerken - sie alle gehörten mal zum Siemens-Konzern und wurden dann abgestoßen.

Einen großen Umbau gibt es zum Beispiel 2008. Damals richtet sich der Konzern strategisch auf die vermeidlichen Megatrends aus und schafft im Unternehmen drei Sektoren: Industrie, Energie, und Gesundheitsvorsorge - 2011 folgte ein vierter Sektor, Infrastruktur und Städte. 2013 rückte Finanzvorstand Joe Kaeser anstelle des glücklosen Peter Löscher als Vorstandsvorsitzender an die Spitze des Mischkonzerns. In den folgenden vier Jahren sorgen milliardenschwere Zu- und Verkäufe und ein massiver Konzernumbau für viel Unruhe. Kaeser richtet den Konzern auf die Wachstumsfelder Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung aus - die bisherige Struktur der Sektoren wurde 2014 aufgelöst.

Ein beständiges Umstrukturieren unter Joe KaeserBild: picture-alliance/dpa/T. Hase

Ein beständiger Konzernumbau aber bindet Arbeitskräfte, frustriert Mitarbeiter, die um ihre Stellen fürchten, verursacht Kosten und behindert das alltägliche Geschäft. Und trotzdem kann er sinnvoll sein, glaubt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitzer. "Das Schlimmste, was einem Unternehmen wie Siemens passieren kann, ist, dass es an altgedienten Dingen fest hält, Produktionen, Geschäftsbereiche, die entweder nicht mehr gefragt sind oder die man selbst nicht mehr bewältigen kann", meint Bergdolt. Als das Siemens-Telefonanlagengeschäft verkauft worden sei, sei ein Aufschrei durch die Community gegangen, erinnert sie sich. "Aus heutiger Sicht war das der einzig richtige Schritt. Es gibt keine Telefonanlagen mehr in dem Stil wie es Siemens früher gebaut hat."

Hin zur Holding

Unter Joe Kaser bewegt sich der der Mischkonzern hin zu einer Holding, einem "Flottenverband", wie es bei Siemens heißt. Dabei werden die einzelnen Sparten eigenständig. "Wir haben verstanden, dass Konglomerate alten Zuschnitts keine Zukunft haben", sagt Siemens-Chef Kaeser noch im August. Die einzelnen Siemens-Geschäfte "müssen mit den Spezialisten der Branche mithalten können und mindestens so gut sein wie deren stärkster Wettbewerber", fordert Kaeser von seinem Unternehmen. "Man sucht sich Joint Venture, man sucht sich Partner und wird nur noch in Beteiligungen oder als Holding an diesen Unternehmen beteiligt sein", schätzt Bergdolt die Entwicklung ein. "Ob das die richtige Strategie ist, werden wir in zehn Jahren wissen."

Erste Schritte sind getan. Bereits heute sind einige Bereich autonom. So ist die Windkraft-Sparte namens Siemens Gamesa schon jetzt separat an der Börse gelistet. Im ersten Halbjahr 2018 soll der Börsengang der Medizintechnik (Healthineers) folgen. Auch die Zugsparte wird nach der Fusion mit der französischen Alstom börsennotiert sein.

Auf diese Weise hofft Kaeser, Siemens zukunftsfähig zu machen. "Nicht die größten und diversifiziertesten Unternehmen werden im digitalen Industriezeitalter erfolgreich sein, sondern diejenigen, die sich am besten an die sich rasant verändernden Umgebungsbedingungen anpassen." Und kleinere Einheiten können sich einfach schneller und flexibler anpassen als große Konzerne.

Krisen in einzelnen Geschäftssparten

So geht der Umbau weiter - es wird gespart, Stellen werden gestrichen und das, obwohl Siemens Anfang November mit einen Gewinn von über sechs Milliarden Euro glänzende Geschäftsjahren präsentieren konnte. Im Fokus stehen einzelne Geschäftsteile. Nicht gut läuft es beim Windturbinenhersteller Siemens Gamesa. Die deutsche-spanische Gemeinschaftsfirma hat angekündigt, 6000 Stellen zu streichen. Das entspricht rund einem Fünftel der Mitarbeiter. Dabei boomt das Geschäft in Deutschland. Aber auch wenn derzeit viele Anlagen gebaut werden, sie profitieren noch vom alten Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Ab dem kommenden Jahr werden aber wesentlich weniger Anlagen gebaut. Die Firmen nehmen diese Marktentwicklung in ihrer Personalpolitik bereits vorweg und so plant nicht nur Siemens Gamesa Stellen abzubauen.

Proteste gegen StellenabbauBild: Imago/DeFodi

Gespart wird künftig auch im Gasturbinengeschäft. Siemens hatte darauf gesetzt, dass die Energiewende weg von Kohle und Kernenergie hin zum Gas die Nachfrage nach großen Gasturbinen ankurbeln würde. Inzwischen zeigt sich aber, dass bei fossilen Kraftwerken kleinere, modulare Kraftwerke gebaut werden. "Heute bauen sich nicht nur Städte, sondern teilweise auch Dörfer ihre eigene Energieversorgung auf", sagt Joe Kaeser. Der Trend zur dezentralen Energieversorgung gehe jetzt erst richtig los. "Große fossile Kraftwerke werden zwar auch künftig gebaut, aber ihre Bedeutung für die Energieversorgung nimmt relativ gesehen ab." Das wiederum führte zu Überkapazitäten und zu fallenden Preisen. In dieser Siemens-Sparte brachen die Auftragseingänge im dritten Quartal des Geschäftsjahres um 41 Prozent ein, der Gewinn um fast ein Viertel. Schlecht für die 16.000 Siemensianer, die in der Sparte arbeiten. Viele von ihnen bangen derzeit um ihre Jobs, da es weitere Sparrunden samt Stellenabbau geben wird und unter Umständen auch ganze Standorte geschlossen werden.

Desweiteren wird Siemens auch im Geschäftsfeld Prozessindustrie und Antriebe mehrere tausend Stellen streichen. Man müsse die strategische Aufstellung der Geschäfte kontinuierlich überprüfen, teilte das Unternehmen mit. "Das kann die Konsolidierung einzelner Aktivitäten einschließen, wenn es die Marktbedingungen erforderlich machen."

Das Geschäft mit den Gasturbinen läuft nicht mehr rund Bild: picture alliance/dpa/U. Baumgarten

Ruhe für alle gibt es wohl nicht mehr

Ob jemals wieder Ruhe einkehren wird bei Siemens scheint daher fraglich zu sein. Daniela Berdolt glaubt, Ruhe im Ganzen werde es nicht mehr geben. Das Schicksal eines solchen Konglomerates sei, dass ein Bereich mal gut laufen könne, dann sei da auch mal für mehrere Jahre Ruhe. "Aber es gibt dann andere Bereiche, die von einer ruhigen Phase in schwieriges Fahrwasser geraten. Und das wird immer so sein. Weil jeder Geschäftsbereich anderen Zyklen unterliegt."

Trotz der Probleme in einzelnen Bereich steht Siemens insgesamt blendend da. Für das neue Geschäftsjahr 2017/2018 kündigte Siemens Anfang November ein leichtes Umsatzplus an und auch einen etwas höheren Gewinn - allerdings wies der Konzern darauf hin, dass in dieser Prognose die Aufwendungen für einen möglichen Stellenabbau noch nicht berücksichtigt sind.

Ganz anders geht es dem amerikanischen Erzrivalen General Electric. Während Siemens seine Struktur schlanker macht, in dem die einzelnen Sparten mehr Freiheit haben, hat sich der US-Konzern vom Aushängeschild zum trägen Dinosaurier der US-Wirtschaft entwickelt. Damit soll nun Schluss sein. Lange galt GE als Sinnbild des Konglomerats aus verschiedensten Geschäften - von Eisenbahnen über Chemie bis hin zu Medien und Finanzen. Größe ist aber nicht alles, wie es derzeit scheint. Auch Siemens-Chef Joe Kaeser meint: "Wer groß ist, ist nie richtig schlecht - aber auch nicht richtig gut". Der neue GE-Vorstandschef John Flannery will den traditionsreichen Industriekonzern für die Zukunft auf drei Sparten konzentrieren: Luftfahrt, Energie und Gesundheit - das seien die Bereich mit dem größten Wachstumspotential.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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