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Politik

Abschied von Peter de Vries

Barbara Wesel
21. Juli 2021

In Amsterdam nahm die Öffentlichkeit Abschied von Peter de Vries, der in der vorigen Woche nach einem Mordanschlag verstorben war. Einige Tausend Niederländer kamen, um dem Journalisten die letzte Ehre zu erweisen.

Die Niederlande nehmen Abschied von Peter de Vries
Bild: Barbara Wesel/DW

Am frühen Nachmittag war die Warteschlange vor dem Carrétheater am Ufer der Amstel schon über einen Kilometer lang. Geduldig reihten sich hier alle ein, die bereit waren, bis zu zwei Stunden zu warten, um sich von Kriminalreporter Peter de Vries zu verabschieden. Er genoss in großen Teilen der Bevölkerung eine Popularität, die fast an Verehrung reichte. Seine Mitarbeiter nannten ihn einen "aufrechten Kämpfer für die Gerechtigkeit und gegen Heuchelei" - und so wurde der Journalist auch von vielen Niederländern gesehen.

Geduldig warten viele Bürger der Niederlande vor dem Carré-Theater in Amsterdam, um dem verstorbenen Peter de Vries die letzte Ehre zu erweisen.Bild: Barbara Wesel/DW

Eine Art Held

Peter de Vries war wohl der bekannteste Journalist in den Niederlanden. Zu Ruhm kam er früh in den 1980er-Jahren durch seine Berichte über den "Heineken-Fall", die Entführung des Brauerei-Erben Alfred Heineken. De Vries war es damals gelungen, das Vertrauen von zwei der Kidnapper zu gewinnen, die später verurteilt werden konnten. Im Laufe der Jahrzehnte war de Vries den Tätern bei seinen Recherchen in mehreren Fällen sehr nahe gekommen, was ihm immer wieder Todesdrohungen eingetragen hatte.

"Er war furchtlos" ist unter den Wartenden vor dem Carré-Theater das häufigste Urteil. Der Amsterdamer Sozialarbeiter Kenneth Craig erzählt, er habe de Vries vor Jahren in seinem Stadtteil getroffen. "Keiner, der ihn kannte, hat ihn je vergessen - und auch er vergaß niemanden". Craig geht so weit, den Reporter mit Größen wie Martin Luther King oder Nelson Mandela zu vergleichen: "Ich kenne niemanden, der für Holland so wichtig war". Bei ihrem letzten Treffen habe er de Vries noch gemahnt, vorsichtig zu sein, erinnert sich Kenneth. Aber der habe nur gegrinst - furchtlos eben.

Ein Land unter Schock - Die Anteilnahme am Tod von Peter de Vries ist in den gesamten Niederlanden großBild: Michael Potts/Pro SHOTS/picture alliance

Bei seiner Ermordung stand der Reporter nicht unter Polizeischutz, weil er ihn nicht gewollt habe, erklärten die Behörden. Jetzt soll eine Untersuchung klären, ob das wirklich so war. Jedenfalls hatte sich de Vries seit Jahren mit dem organisierten Verbrechen und den Drogenkartellen in den Niederlanden befasst. Zuletzt diente er dem Hauptbelastungszeugen im Mammutverfahren gegen Ridouan Taghi, Chef der berüchtigten Drogengang "Engel des Todes", als Berater. Taghi gilt als einer der gefährlichsten und gewalttätigsten Männer der Niederlande, ihm werden zahlreiche Morde zur Last gelegt.

Aufklärer ungelöster Kriminalfälle

Einige Jahre lang hatte de Vries auch eine eigene Fernsehsendung, wo er sich der Aufklärung ungelöster Fälle widmete. Aus dieser Zeit rührt auch ein Großteil seiner Popularität. Einer der Wartenden vor dem Theater trägt ein Buch mit dem Foto von Nicky Verstappen bei sich. Der Junge war Ende der 1990er-Jahre aus einem Sommerlager in der Provinz Limburg verschwunden, sein Tod wurde erst kürzlich aufgeklärt, nachdem Peter de Vries den Fall wieder aufgerollt hatte. "Held ist vielleicht ein zu großes Wort, aber Peter hat viele ungelöste Fälle geklärt, er hat einen guten Job gemacht", lobt der Besucher, der ebenfalls aus Limburg stammt.

Fast 20 Jahre nach der Tat konnte der Mord an Nicky Verstappen aufgeklärt werden - auch dank des Engagements von Peter de VriesBild: picture-alliance/dpa/R. Roeger

"Er stand immer gegen Ungerechtigkeit auf und gab denen eine Stimme, die keine haben", sagt auch Fatima. Sie hofft, dass sich jetzt wirklich etwas ändern werde in den Niederlanden, denn die Regierung verspreche immer viel und tue am Ende nichts. "Ich will nicht, dass sein Tod umsonst war", sagt sie, bevor sie in der Warteschlange wieder ein paar Meter weiterrücken kann.

Drinnen im Theatersaal ist der Verstorbene aufgebahrt, umgeben von Fotos aus seinem Leben und einem Meer von Blumen. Und immer wieder wischen sich Besucher eine Träne ab, wenn sie von dem kurzen Abschiedsgang zurückkommen ins Sonnenlicht an der Amstel.

Vieles ist falsch gelaufen

Der Schock über den offenen Mordanschlag mitten in Amsterdam sitzt bei vielen Niederländern tief. "Bei uns ist viel schief gelaufen in den letzten Jahren", sagt Gerrit van de Kamp, der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft ACP. "Es gab zu wenig Geld für die Polizeiarbeit und bei der Kriminalität wurde lange weggeschaut. Hinter den verschlossenen Türen aber konnte sie richtig aufblühen und die Regierung hat die Entwicklung ignoriert. Das Ende ist diese traurige Sache mit Peter…", erklärt van de Kamp.

Gerrit van de Kamp von der niederländischen Polizeigewerkschaft ACPBild: Barbara Wesel/DW

Er sieht die Schuld aber nicht nur bei der Toleranzpolitik der niederländischen Regierung. "Die dunkle Seite der Bewegungsfreiheit in Europa, die so gut für unsere Wirtschaft ist, ist das ungehinderte Wachstum der organisierten Kriminalität". Süditalienische oder albanische Mafia-Gruppen würden längst grenzüberschreitend arbeiten; dagegen könne nur mehr internationale Polizeizusammenarbeit helfen.

Noch schlimmer aber als die Auswirkungen des internationalen Drogenhandels auf das Drehkreuz Niederlande findet de Kamp den Vertrauensverlust der Bürger. "Sie glauben einfach nicht mehr, was die Politiker ihnen erzählen." Inzwischen sei die organisierte Kriminalität so stark geworden, habe so viel Geld und so viel Macht gewonnen, dass man massiv investieren müsse, um sie wieder zurückzudrängen. Die Gruppen arbeiteten längst wie multinationale Unternehmen, die die legale Wirtschaft unterwanderten, um ihre kriminellen Geschäfte zu verdecken. 

Jahrzehntelang hatte sich Peter de Vries der Aufklärung von Kriminalfällen verschriebenBild: ANP/imago images

Verdächtige weiter in Haft

Die beiden kurz nach dem Anschlag auf Peter de Vries festgenommenen Verdächtigen wurden am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt und bleiben weiter im Gefängnis. Der 21-jährige mutmaßliche Schütze hatte familiäre Bindungen zum Taghi-Clan, auf dessen Konto bereits der Mord an einem Anwalt 2019 gehen und der eine Art europäische Drogen-Supermafia gegründet haben soll. Der niederländische Generalstaatsanwalt vermutet, dieser Zusammenhang könne auch zum Mord an dem Journalisten geführt haben. Aber die Verdächtigen reden nicht, bislang sind alles nur Vermutungen. Nach seinem Tod müssen jetzt andere dafür sorgen, dass der Fall Peter de Vries aufgeklärt wird.