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GesellschaftEuropa

Niederlande nach Anschlag unter Schock

Ingrid Gercama
7. Juli 2021

Die Niederländer sind geschockt und empört über den Anschlag auf den Kriminalreporter Peter de Vries. Der Mordversuch wird als direkter Angriff auf die Pressefreiheit betrachtet.

Amsterdam | Nach Attentat auf Journalisten Peter R. de Vries
Bild: Ingrid Gercama/DW

Fernsehreporter und Journalisten aus der ganzen Welt haben sich vor den Studios von RTL Boulevard, einer populären niederländischen Fernsehsendung, versammelt. Hier, wo am Dienstagabend mehrere Schüsse auf den Kriminalreporter Peter de Vries abgefeuert wurden, werden jetzt Blumen, Genesungswünsche und Kerzen niedergelegt. 

"Deine Arbeit ist noch nicht fertig, Peter de Vries. Kämpfe weiter", sagt die 61-jährige Renate Tjon-Fo. "Er hat für die Gesellschaft so viel getan. Besonders für diejenigen, die sich keinen Anwalt leisten können. Er war einer der gerechtesten Menschen überhaupt. Jetzt haben ihn die Falschen, die Kriminellen, erwischt.

Renate Tjon-Fo steht vor den niedergelegten BlumenBild: Ingrid Gercama/DW

Opfer der Verbrechen, über die er berichtete

Peter de Vries ist in den Niederlanden ein bekannter Name. Jahrelang war er regelmäßiger Gast in den Nachrichten und diversen Talkshows, um über prominente Kriminalfälle zu berichten.

Zum Zeitpunkt des Angriffes war de Vries in beratender Funktion im so genannten Marengo-Prozess tätig. Dieser Prozess dreht sich um den mutmaßlichen Gangsterboss Ridouan Taghi und 16 weitere Mitangeklagte. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die 17 Angeklagten, Mitglieder der sogenannten "Mocro-Mafia" zu sein, einer aus Amsterdam heraus operierenden Gruppe, die als eine der größten niederländischen Drogenhändlerringe gilt. Sie sind wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Zudem wird ihnen vorgeworfen, für eine Mordserie und mehrere Mordversuche zwischen 2015 und 2019 verantwortlich zu sein.

Peter de VriesBild: Remko de Waal/ANP/picture alliance

Kriminalreporter de Vries war Sprecher und Berater des Kronzeugen Nabil B., der gegen Taghi aussagt. Zwei Menschen, die Nabil B. nahestanden, sind bereits tot - wahrscheinlich umgebracht von Mitgliedern des Taghi-Clans. 2018 wurde der Bruder von Nabil B. in Amsterdam auf offener Straße erschossen. Ein Jahr später wurde auch der Anwalt des Kronzeugen, Derk Wiersum, in der Nähe seines Hauses ermordet.

Auch de Vries hatte in der Vergangenheit mehrfach Morddrohungen erhalten. Laut der niederländischen Zeitung De Telegraaf, seiner ersten journalistischen Arbeitsstätte, recherchierte er zu mehr als 500 Mordfällen. 2019 machte der Journalist öffentlich, dass er auf Taghis Abschussliste stehe.

Während de Vries in einem Krankenhaus in Amsterdam um sein Leben kämpft, wurden zwei Verdächtige verhaftet: ein 35 Jahre alter polnischer Staatsbürger mit Wohnsitz in den Niederlanden und ein 21-jähriger Mann aus Rotterdam. Beide werden am Freitag vor Gericht erscheinen. Ein dritter Mann, der noch am Dienstagabend festgenommen worden war, wurde mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Hintergründe der Gewalttat sind weiterhin unklar.

Nach dem Attentat in Amsterdam stehen die Niederlande unter SchockBild: Ingrid Gercama/DW

Narko-Staat Niederlande?

Die Niederlande gelten als sicheres Land, Gewalt auf offener Straße ist äußerst selten. Und doch wurde das Land bereits mehrfach von Gewalttaten organisierter Verbrecherbanden erschüttert. 2012 kam es in Amsterdam zu einer Schießerei zwischen mit Kalaschnikow-Gewehren bewaffneten, konkurrierenden Bandenmitgliedern. 2016 wurde dort vor einem Cafe der abgeschlagener Kopf eines getöteten Bandenmitglieds gefunden. Im vergangenen Jahr entdeckte die niederländische Polizei in der Nähe der Hafenstadt Rotterdam sieben  Schiffcontainer, die in Gefängniszellen und Folterkammern umgebaut worden waren. 

Die niederländische Polizeigewerkschaft verglich das Land in einem 2018 erschienenen Bericht mit einem "Narko-Staat". In diesem Bericht kamen zahlreiche  niederländische Kriminalbeamte zu Wort. Dort heißt es: "Wenn ihre kriminellen Interessen in Gefahr sind, scheuen (die organisierten Kriminellen) nicht davor zurück, einflussreiche Menschen wie Bürgermeister, Stadtverordnete oder Journalisten zu bedrohen oder zu erpressen."

Ein gefährlicher Beruf

Justizminister Ferdinand GrapperhausBild: picture-alliance/ANP/S. van der Wal

Justizminister Ferdinand Grapperhaus lobte de Vries als "mutigen und kritischen Mann" und verurteilte den Angriff auf ihn als "Angriff auf die gesamte Medienfreiheit". "Das verletzt unsere Gesellschaft", so Grapperhaus; die Drogenkriminalität im Land müsse gestoppt werden.

Journalisten aus den Niederlanden und der ganzen Welt sind tief betroffen. Tom Gibson vom Committee to Protect Journalists twitterte: "Journalisten in der EU müssen in der Lage sein, über Verbrechen und Korruption zu recherchieren, ohne Angst um ihre Sicherheit zu haben."

"Das trifft uns bis ins Mark", sagt auch Thomas Bruning, der Generalsekretär des Niederländischen Journalistenverbands. Der Verband wird sich am Donnerstag mit Grappenhaus treffen, um über Drohungen gegen Journalisten in den Niederlanden zu diskutieren.

Patty Heijjer hat für de Vries eine Kerze niedergelegtBild: Ingrid Gercama/DW

Auch viele Bürgerinnen und Bürger sind entsetzt, dass so ein Angriff auf offener Straße mitten in Amsterdam passieren konnte. "Das ist ein gefährlicher Beruf", sagt etwa die Anwohnerin Patty Heijjer mit Tränen in ihren Augen. "Aber so etwas darf in den Niederlanden nicht möglich sein".

"Es ist schrecklich", sagt der Amsterdamer Daniel Zeevarder. Auch er hat für de Vries Blumen niedergelegt. Auf einer der beigelegten Karten steht "Peter, halt durch", auf einer weiteren: "Ich wünschte, es gäbe mehr wie dich."