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Politik

Niederlande: Europaskepsis überwiegt

Barbara Wesel
9. März 2017

Rechtspopulist Geert Wilders ist nicht nur Ausländerfeind, sondern auch EU-Gegner. Und nur wenige verteidigen offen Europa im niederländischen Wahlkampf. Warum eigentlich?

Wahlkampf Niederlande
Bild: DW/B.Wesel

Den Aufrufen der Bewegung "Pulse of Europe" folgen in Deutschland meist ein paar tausend Leute, die für Europa auf die Straße gehen. In Amsterdam dagegen kommen die Europa-Anhänger als verlorenes Häuflein daher, wenn sie wöchentlich auf dem Museumsplein demonstrieren. Der tapfere Versuch, in Nieselregen und eisigem Wind die Passanten für Europa-Flugblätter und -Fähnchen zu interessieren: eine ziemlich verlorene Aktion von vielleicht fünfzig Europafreunden. Nach ein paar aufmunternden Worten der Organisatoren flüchten alle ziemlich bald wieder ins Warme.

Macht Reichtum egoistisch?

Warum gibt es so wenige Pro-Europäer? "Unsere Politiker geben kein gutes Beispiel", erklärt Jan Pieter Verhoeg, Restorator für alte Häuser. "Es ist im Trend anti-europäisch zu sein. Die Rechtspopulisten wettern schon lange gegen die europäische Integration. Sie würden lieber zurück zu den 'guten alten Tagen', mit Grenzen und eigener Währung".

Jan Pieter Verhoeg: "Zu wenige Europa-Freunde"Bild: DW/B.Wesel

Viele seiner Landsleute verstünden nicht, dass Europa derzeit in Gefahr sei. Deswegen gibt Verhoeg auch seinen Sonntagnachmittag her:"Es ist erstaunlich, dass so wenige Menschen die Idee unterstützen". Die meisten verstünden zwar, dass das Land zu siebzig Prozent vom Handel mit der EU lebt – vor allem Unternehmer wüssten das genau – aber es gebe auch in den Niederlanden ein Bedürfnis nach einfachem Denken, einfachen Antworten. "Und Europa ist nun mal kompliziert".

Und wie erklärt er das sogenannte Glücks-Paradox, die Frage warum die wohlhabenden, gut versorgten Niederländer überhaupt so unzufrieden sind, dass sie mit dem Rechtspopulismus flirten und die EU infrage stellen? "Vielleicht sind wir zu satt", mutmaßt Verhoeg, "vielleicht macht Reichtum egoistisch".

Zu viel neoliberale Politik?

Auch Anwalt Martijn Snoep hält seine Europafahne in den Regen. Er wiederum glaubt,  die Wirtschaftspolitik der Regierung Rutte sei mit verantwortlich für die Stimmung:"Viele finden inzwischen, dass sich keiner mehr um sie kümmert. Da geht es um Globalisierung, Automatisierung und die Verteilung von Reichtum. Alles keine europäischen Themen – aber sie machen die EU zum Sündenbock". 

Und die Sache mit den reichen, glücklichen Niederlanden? Neben den Statistiken gebe es viele, "die sich verloren fühlen, denn wir hatten Jahre mit einer sehr liberalen Politik", sagt Martin Snoep. Da habe man den Leuten plötzlich gesagt, sie müssten für sich selber sorgen. "Wir hatten einen perfekten Sozialstaat und plötzlich werden Menschen allein gelassen. Sie fühlen sich verraten und schreien jetzt laut um Hilfe und tun alles, um die Aufmerksamkeit der Regierung zu erringen".

Die Blumen-Auktionshalle in Aalsmeer hängt vom Europa der offenen Grenzen ab Bild: DW/B.Wesel

Europäer aus Pragmatismus

Martin Verbeek sieht Europa ganz pragmatisch. Er ist in dritter Generation Händler in Aalsmeer, der größten Blumenauktionshalle der Welt. Fast 30 Millionen Millionen Blumen werden hier täglich verkauft, Rosen aus Kenia, Chrysanthemen aus Ecuador und im Frühjahr natürlich Tulpen aus Holland. Immerhin fünfzig Prozent stammen aus einheimischer Züchtung. "Sie kommen aus aller Welt, und wir verkaufen sie in Europa weiter", sagt Verbeek. "Für uns ist es absolut wichtig, dass wir Zugang zum Binnenmarkt haben". Blumen seien eine verderbliche Ware, die nicht an der Grenze warten könne.  

"Wir sehen das zum Beispiel in der Schweiz. Die haben ihre eigenen Regeln, Stempel und Formulare ", erklärt der Händler, das macht den Verkauf dorthin schwieriger. Denn im Prinzip müssen die Blumen, die er am Montagmorgen für den Weiterverkauf einpacken lässt, noch am Abend bei den Abnehmern ankommen.

Die riesige Halle ist übrigens auch ein Beispiel für die allgegenwärtige Automatisierung. Die meisten Wagen mit den Blumencontainern rollen wie von Geisterhand computergesteuert durch die Gänge, nur noch wenige Arbeiter mit Gabelstaplern erfüllen Spezialwünsche. Früher gab es hier viele Hundert Arbeitsplätze. 

Der Nationalstolz der Holländer: die Vergangenheit als Kaufleute und Weltumsegler Bild: Imago/J. Tack

Ein Nexit ist Unsinn

Der Historiker Luuk van Middelaar ist Spezialist für die Geschichte der EU. Er meint, dass die Holländer immer viel lauwarmer zu der Idee standen als die Nachbarländer. "Sie mögen Europa als Markt", aber dann käme der Nationalstolz ins Spiel. Und weil sie sehr aufs Geld schauten, sei die Stimmung in den 1990er Jahren umgeschlagen, als man vom Empfängerland zum Nettozahler wurde. Seitdem werde auf Europa geschimpft.

Gleichzeitig aber meint van Middelaar, seien die Holländer pragmatisch und ein "Nexit" absolut unwahrscheinlich. Als Bewohner eines kleinen Landes wisse man, dass die Niederlande - anders als Großbritannien -  in der großen Welt  nicht bestehen könnten. "Wir können den Club gar nicht verlassen". Als Wilders bei den letzten Wahlen den Ausstieg aus dem Euro propagierte, habe er Stimmen verloren, weil das nicht glaubhaft war.

Apropos Wilders: Midelaar findet, dass man seinen Erfolg entdramatisieren sollte. "Im Moment kommt er auf sechzehn Prozent der Stimmen, ein Sechstel der Wähler. Vielleicht ein bisschen mehr, aber für mindestens achtzig Prozent der Holländer ist er kein glaubwürdiges Angebot". Auch wenn der Ton der großen Parteien in diesem Wahlkampf etwas Europa-kritischer sei als sonst:"Wir bleiben im Bereich von Pragmatismus und Realitätssinn".