Nieren gegen Cash - globales Netzwerk für Organhandel
Veröffentlicht 16. April 2025Zuletzt aktualisiert 19. April 2025
Amon Kipruto Mely dachte, dass er mit dem Verkauf seiner Niere ein neues, besseres Leben beginnen könnte. Nach der COVID-19-Pandemie war für den 22-Jährigen, der in einem kleinen Dorf im Westen Kenias lebt, alles noch schwieriger geworden. Für seinen Lebensunterhalt musste er kämpfen, wechselte von einem Job zum nächsten. Mal arbeitete er bei einem Autohändler, mal auf einer Baustelle oder anderswo.
Eines Tages erzählte ihm ein Freund von einer schnellen und einfachen Möglichkeit, 6000 Dollar (umgerechnet rund 5300 Euro) zu verdienen. "Er sagte mir, dass der Verkauf meiner Niere ein gutes Geschäft wäre", so Amon. Das klang wie ein Glücksfall, führte ihn aber in ein dunkles Netz von Ausbeutung, Verzweiflung und später Reue.
Dieser Bericht ist das Ergebnis einer monatelangen Gemeinschaftsrecherche der Medien "Der Spiegel", ZDF und der DW. Wir haben die Wege von Organverkäufern und -käufern recherchiert, Dokumente analysiert, mit Informanten und medizinischen Fachleuten gesprochen und dabei aufgedeckt, wie ein internationales Netzwerk - das von einem Krankenhaus in Kenia bis zu einer zwielichtigen Agentur reichte - Organempfänger aus Deutschland anlockte und schutzlose Menschen ausbeutete. Junge Menschen, die verzweifelt Geld verdienen wollten. Und ältere Menschen, die ebenso verzweifelt auf ein lebensrettendes Organ hofften.
Amon Kipruto Mely wurde einem Mittelsmann vorgestellt, der den Transport zum Mediheal-Krankenhaus in der Stadt Eldoret im Westen Kenias organisierte. Dort, sagt Mely, wurde er von indischen Ärzten empfangen, die ihm Dokumente auf Englisch aushändigten - einer Sprache, die er nicht verstand.
Ein Syndikat, das die Schwächen junger und armer Menschen ausnutzt
Er sei über keinerlei Gesundheitsrisiken informiert worden, sagt er. "Sie haben mir nichts erklärt. Derjenige, der mich mitgenommen hatte, zeigte auf die Leute um uns herum und sagte: Schau, die haben alle gespendet und gehen sogar wieder arbeiten."
Nach der Operation erhielt er statt der versprochenen 6000 nur 4000 Dollar. Davon kaufte er sich ein Telefon und ein Auto, das aber schnell kaputt ging. Bald darauf verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Ihm wurde oft schwindlig und er war schwach. Schließlich fiel er zu Hause in Ohnmacht. Im Krankenhaus erfuhr seine Mutter, Leah Metto, dass ihr Sohn seine Niere verkauft hatte. "Sie machen Geld mit kleinen Kindern wie Amon", sagt seine Mutter.
Die Geschichte von Amon Mely scheint aber nur eine von vielen zu sein. Willis Okumu forscht in Nairobi am Institute of Security Studies in Africa zum Thema organisierte Kriminalität. Er hat im Rahmen seiner Untersuchungen mit mehreren jungen Männern gesprochen, die ihm berichteten, dass sie ihre Nieren in der Stadt Oyugis, 180 Kilometer südwestlich von Eldoret, verkauft haben.
"Das ist mit Sicherheit organisiertes Verbrechen", sagt er. Okumu schätzt, dass allein in Oyugis bis zu hundert junge Männer ihre Nieren verkauft haben könnten. Viele litten nun unter gesundheitlichen Problemen, Depressionen, Traumata. "Ich glaube nicht, dass sie 60 Jahre alt werden", fügt Okumu hinzu. Seine Arbeit zum Themawurde im Januar dieses Jahres auf Enact, einem von Interpol durchgeführten Projekt, veröffentlicht.
DW sprach mit vier jungen Männern in Oyugis, die sagen, sie hätten ihre Nieren für nur 2000 Dollar verkauft. Sie erzählten, wie sie nach ihrer Operation im Mediheal-Krankenhaus in Eldoret von Vermittlern gebeten wurden, für eine Provision von 400 Dollar neue Spender zu werben.
Vom Spender zum Anwerber
"Es gibt eine rechtliche Grauzone, die dieses Syndikat ausnutzt", erklärt Okumu. "Es gibt kein Gesetz, das einen daran hindert, seine Niere gegen Geld zu spenden, und man kann nicht dafür belangt werden", sagt er. Er beziehe sich dabei auf Informationen, die er von der Abteilung für grenzüberschreitende, organisierte Kriminalität der kenianischen Polizei erhalten habe.
Was nach kenianischem Rechtzweifelsfrei erlaubt ist, sind Organspenden an Verwandte oder eine Spende aus uneigennützigen Gründen.
Ein ehemaliger langjähriger Mitarbeiter des Mediheal-Krankenhauses erklärte gegenüber der DW, dass der Handel mit Transplantaten schon vor vielen Jahren begann. Anfänglich kamen die Empfänger aus Somalia und die Spender aus Kenia. Doch ab 2022 kamen die Empfänger aus Israel und ab 2024 auch aus Deutschland. Die Spender für diese gut zahlenden Kunden würden nun aus Ländern wie Aserbaidschan, Kasachstan oder Pakistan eingeflogen.
Die Quelle sagt, dass Spender aufgefordert wurden, Dokumente zu unterschreiben, in denen sie erklärten, mit Empfängern verwandt zu sein, die sie aber tatsächlich nie kennengelernt hatten. Sie hätten einer Nierenentnahme zugestimmt, ohne über mögliche Gesundheitsrisiken informiert worden zu sein. Einige der Spender hätten aus medizinischer Sicht nicht das erforderliche Alter gehabt. "Wegen der Sprachbarriere unterschreiben sie einfach", sagte der ehemalige Krankenhausmitarbeiter.
Deutschland und Israel - die neuen Empfängerländer
Seit der Umstellung von somalischen Empfängern auf Israelis und Deutsche boomt das Geschäft, fügt er hinzu. Kostenpunkt für eine Spenderniere: bis zu 200.000 Dollar. Die Summen wurden von mehreren Quellen bestätigt. Der ehemalige Mitarbeiter sagte der DW, dass eine Agentur namens "MedLead" für die Akquise von internationalen Spendern und Empfängern zuständig sei.
Auf seiner Website behauptet MedLead, Nierenspenden innerhalb von 30 Tagen zu vermitteln, die "dem Organspendegesetz entsprechen", und dass die Spenden "100 % altruistisch" seien. Auf der Facebook-Seite von MedLead finden sich Videos von Menschen, die sich bei MedLead dafür bedanken, dass sie eine neue Niere in Eldoret erhalten haben.
Das jüngste Video auf der Seite zeigt Sabine Fischer-Kugler, eine 57-jährige Frau aus Gunzenhausen, Deutschland, die seit 40 Jahren an einer Nierenerkrankung leidet. Nachdem eine erste Ersatzniere nicht mehr funktionierte, suchte sie verzweifelt nach Ersatz. Doch die Warteliste für eine neue Niere in Deutschland ist lang. Mehr als 10.000 Menschen warten auf eine Spenderniere. Die Wartezeiten betragen acht bis zehn Jahre. Nach Angaben der Deutschen Stiftung für Organtransplantation wurden im vergangenen Jahr nur 1391 Nieren entnommen. In Deutschland dürfen generell nur Nieren von Verstorbenen transplantiert werden, die einer Organspende ausdrücklich zugestimmt haben.
Zu wenig Organspender in Deutschland
Sabine Fischer-Kugler hat ihren Spender nur kurz kennengelernt - einen 24-jährigen Mann aus Aserbaidschan. Im Vertrag wurde behauptet, er werde nicht bezahlt. Fischer-Kugler sagte, sie habe zwischen 100.000 und 200.000 Dollar an MedLead gezahlt. "Vielleicht bin ich ein bisschen egoistisch, weil ich diese Niere haben wollte, und vor allem, weil der Vertrag gut aussah. Aber es ist klar: Die Operation ist nicht so sauber, wie sie aussieht." Nach deutschem Recht ist es illegal, für ein Organ zu bezahlen. Zuwiderhandlungen können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden.
Der Mann hinter MedLead ist ein israelischer Staatsbürger: Robert Shpolanski. Er wird laut einer Anklageschrift des Magistratsgerichts in Tel Aviv aus dem Jahr 2016 beschuldigt, "eine große Anzahl illegaler Nierentransplantationen" in Sri Lanka, der Türkei, den Philippinen und Thailand illegal organisiert zu haben. Dabei soll er mit Boris Wolfman zusammengearbeitet haben, der das kriminelle Netzwerk geleitet haben soll. Wolfman wurde zudem vorgeworfen, bereits anderswo an illegalen Transplantationsaktivitäten beteiligt gewesen zu sein.
Ermittler: "große Anzahl illegaler Nierentransplantationen"
Shpolanski bestreitet jede Verbindung zu Wolfman. In einer E-Mail an den Spiegel, das ZDF und die DW erklärte MedLead, dass das Unternehmen nicht an der Suche nach Spendern beteiligt sei. MedLead zufolge sind alle Organspenden zu 100 Prozent uneigennützig. Das Unternehmen arbeite seit seiner Gründung transparent und in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz.
Verdeckt versuchte das Redaktionsteam im Eka Hotel in Eldoret, nur einen Kilometer vom Mediheal-Krankenhaus entfernt, mit ausländischen Patienten in Kontakt zu treten, die auf eine Transplantation warten. Einige sind sichtlich gebrechlich und mit Familienangehörigen angereist. Eine russische Frau, die auf eine Nierenoperation für ihren Mann wartete, sagte: "Niemand gibt seine Niere umsonst her." Ein 72-jähriger Israeli, der sich im Mediheal-Krankenhaus einer Dialysebehandlung unterzieht, sagte: "Das ist ein bisschen seltsam. Man soll nicht zahlen, aber man zahlt. Die Geschichte ist, dass es sich um einen alten Cousin von mir handelt, der irgendwie zur gleichen Zeit wie ich nach Ostafrika gekommen ist." In seinem Alter hätte er keine Chance, in Israel eine Niere zu bekommen, ergänzt er.
Zurück in Nairobi hat Dr. Jonathan Wala, Leiter der Kenya Renal Association, mehrere Patienten behandelt, die mit postoperativen Komplikationen zu kämpfen hatten. "Wir haben Berichte von israelischen Patienten, die mit schweren Infektionen zurückkamen, einige mit Nieren, die im Grunde abgestorben waren. Seine Kollegen schlugen bei den kenianischen Behörden Alarm wegen der unethischen Transplantationen im Mediheal Hospital.
Im Jahr 2023 gab das kenianische Gesundheitsministerium eine Untersuchung des Mediheal-Krankenhauses in Auftrag und stellte fest, dass Spender und Empfänger oft nicht verwandt waren. Es wurden einige risikoreiche Transplantationen durchgeführt, zum Beispiel bei Krebspatienten oder sehr alten Menschen. Fast alle Eingriffe wurden in bar bezahlt. Der Bericht empfahl, dass "der Vorwurf des Organhandels von den zuständigen Behörden untersucht werden muss". Trotz dieser alarmierenden Erkenntnisse wurde der Bericht nie veröffentlicht, und es wurden keine Maßnahmen ergriffen.
Ein örtlicher Privatdetektiv in Eldoret, der über illegalen Transplantationshandel recherchiert hat, sagte, dass mindestens zwei weitere Krankenhäuser ebenfalls daran beteiligt seien. Aber, so sagte er, wenn er diese Fälle untersuchen würde, "wäre mein Leben in Gefahr". "Es gibt sehr mächtige Leute, die darin verwickelt sein könnten." Auf die Frage, ob das bis zur Spitze der Regierung gehe, antwortetet er: "Ja".
Millionen-Geschäft offenbar von "oben" gedeckt
Der Gründer und Vorsitzende der Mediheal-Gruppe ist Swarup Mishra. Der gebürtige Inder ist ehemaliger Parlamentsabgeordneter und soll gute Beziehungen zum kenianischen Präsidenten William Ruto unterhalten. Trotz der anhaltenden Organhandel-Vorwürfe ernannte ihn der Präsident im vergangenen November zum Vorsitzenden des staatlichen "Kenya BioVax" Impfinstituts. In dieser Funktion kann Mishra den Staat Kenia als Kontaktperson für die Weltgesundheitsorganisation und ausländische Regierungsvertreter repräsentieren. Mishra hat auf wiederholte Interviewanfragen nicht reagiert.
In der Zwischenzeit kämpfen Amon Mely und andere wie er mit nur einer Niere ums Überleben. Ihre Gesundheit ist beeinträchtigt und ihre Hoffnungen zerstört: "Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, hätte ich der Entfernung meiner Niere nicht zugestimmt. Ich hasse mich dafür."
Update 1 vom 16.04.2025:
Als Reaktion auf unseren Bericht ordnete der kenianische Gesundheitsminister eine Überprüfung des Mediheal-Krankenhauses und sieben weiterer Transplantationszentren in ganz Kenia an.
Maryline Limo, Vizepräsidentin der Mediheal Group of Hospitals, erklärte gegenüber kenianischen Medien, dass alle Transplantationen legal seien, dass Mediheal nicht an der Spendersuche beteiligt sei und dass es keine finanziellen Anreize für Spender gebe.
Update 2 vom 17.04.2025:
Nach der Veröffentlichung unserer Recherche hat der kenianische Gesundheitsminister Aden Duale am 17.04.2025 eine Erklärung gegenüber Reportern abgegeben. Die Nierentransplantationen im Mediheal-Krankenhaus seien ab sofort eingestellt. Ein neu eingesetzter Untersuchungsausschuss soll jetzt alle Nierentransplantationen, die in den letzten fünf Jahren im Mediheal-Krankenhaus durchgeführt wurden, überprüfen, so Duale weiter.
Update 3 vom 19.04.2025:
In einer weiteren Reaktion auf die Recherche hat Kenias Präsident William Ruto Swarup Mishra am 18.04.2025 von seinem Vorsitz beim staatlichen Impfinstitut "Kenya BioVax" suspendiert. Wie ein Sprecher des Präsidenten mitteilte, bleibt die Suspendierung so lange bestehen, bis Ergebnisse zur Untersuchung der Anschuldigungen um Nierentransplantationen im Mediheal Krankenhaus in Eldoret vorliegen. Mishra hatte die Mediheal-Gruppe gegründet.
Bearbeitet von: Volker Witting