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Politik

#ArewaMeToo: Mit Hashtag gegen Missbrauch

Katrin Gänsler
14. März 2019

Missbrauch und Vergewaltigungen sind Tabu-Themen in Nordnigeria. Ein Hashtag soll das nun ändern. Doch damit die Opfer über ihre traumatischen Erfahrungen sprechen können, muss sich auch in der Gesellschaft etwas tun.

Nigeria Met Too Kaduna
Ein Plakat in Kaduna ruft Frauen dazu auf, Fälle von sexueller Gewalt zu meldenBild: DW/K. Gänsler

Sumaya Abdul Aziz möchte ihre Geschichte unbedingt erzählen. Ihren richtigen Namen nennt die Mutter von zehn Kindern aus Sorge vor Repressionen zwar nicht. Trotzdem ist es ihr wichtig, dass die Menschen in der nordnigerianischen Stadt Kaduna und im Rest des Landes erfahren, was ihre achtjährige Tochter durchgemacht hat. "Es war ein Nachbarsjunge, der mittlerweile das Viertel verlassen hat." Im vergangenen Jahr habe er das Mädchen vergewaltigt. Die Spuren, so erinnert sich die Mutter, seien sichtbar gewesen. Sumaya Abdul Aziz war hilflos und hatte kein Geld, um mit ihrer Tochter ins Krankenhaus zu gehen. Notdürftig behandelte die Mutter das Kind mit traditioneller Medizin. 

Vergessen kann sie auch die Drohungen des Täters und dessen Familie nicht, falls sie zur Polizei gehen und Anzeige erstatten würde: "In diesem Fall wollten sie sagen, dass das Mädchen gelogen hätte. Sie drohten damit, uns wegen Verleumdung zu verklagen." Der Mutter blieb nur eins: "Ich habe aufgegeben und alles Gott überlassen. Wir sind arm und haben kein Geld, um irgendetwas zu unternehmen." Monate später hofft sie, den Täter nie wieder zu sehen.

Hashtag bringt Fälle an die Öffentlichkeit

Im nigerianischen Bundesstaat Kaduna und der gleichnamigen Provinzhauptstadt enden die meisten Vergewaltigungen auf diese Weise: ohne Anzeige, Ermittlungen und Verurteilungen. Die Juristin und Richterin Saadatu Hamma schätzt, dass 98 Prozent der Fälle nicht angezeigt werden. "Wenn Fälle dennoch vor Gericht landen, beantragen die Eltern des Opfers meistens, das Verfahren einzustellen. Oder sie sabotieren und frustrieren Polizei und Staatsanwälte. Zu einer Verurteilung kommt es nicht", berichtet sie von ihrer täglichen Arbeit.  

Häufig verhindern die Eltern der Opfer eine Strafverfolgung, sagt die Richterin Saadatu HammaBild: DW/K. Gänsler

Das Schweigen könnte der neue Hashtag #ArewaMeToo brechen, der aktuell in sozialen Medien verbreitet wird. Der Begriff setzt sich zusammen aus Arewa, dem Haussa Wort für Norden, und dem seit 2017 bekannten Hashtag #MeToo, unter dem Frauen weltweit von Missbrauchserfahrungen berichten. Als Urheberin von #ArewaMeToo gilt Maryam Aiwasu, die kurzzeitig sogar verhaftet wurde - angeblich, weil unter dem Hashtag jemand namentlich per Twitter der Vergewaltigung bezichtigt worden sei. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International protestierte umgehend für ihre Freilassung.

Mittlerweile beanspruchen jedoch auch andere die Urheberschaft des Hashtags für sich. Mit #ArewaMeTooMinna gibt es bereits einen Ableger, der sich explizit auf Vorfälle im Bundesstaat Niger bezieht. Laut Saadatu Hamma sind so bereits einige Vergewaltigungsfälle bekannt geworden. "Wir haben mit einigen Menschen gesprochen. Die Fälle sind sehr traurig. Ich kann mir nicht ausmalen, welche Folter die Mädchen durchgemacht haben."

Viele Gründe für das Schweigen

Weitaus kritischer ist jedoch Hafsat Mohammed Baba, Ministerin für Frauenangelegenheiten und soziale Entwicklungen in Kaduna. Sie nennt den Hashtag "wenig hilfreich". Einige Anschuldigungen in den sozialen Medien hätten nicht gestimmt, was zu polizeilichen Ermittlungen wegen Verleumdung geführt habe. "Möglicherweise wird man sogar vor Gericht nach Gerechtigkeit suchen müssen." Generell warnt Hafsat Mohammed Baba vor Selbstjustiz. Für Ermittlungen seien Sicherheitsbehörden zuständig und nicht Privatpersonen. Dennoch sei es wichtig, dass die Betroffenen über Missbrauchsfälle sprechen: "Wenn man schweigt, bekommt man auch keine Hilfe."  

Die Frauenrechtlerin Aisha Usman (rechts): Täter werden häufig von der Gemeinschaft gedecktBild: DW/K. Gänsler

Trotz der gesteigerten Aufmerksamkeit bei Twitter bleibt es schwierig, öffentlich über Vergewaltigungen zu sprechen. Für Richterin Saadatu Hamma liegt das auch an einer neuen Entwicklung: Die Opfer werden immer jünger. "Wir haben Fälle von Babys gesehen, die ein Jahr alt waren. Kinder sind oft zu verängstigt und sprechen nicht darüber", so Hamma. Dazu kommen Scham und Schande für die Betroffenen und ihre Familien. Eltern haben Sorge, dass ihre Töchter später keinen Ehemann mehr finden und der Ruf der Familie ruiniert ist, falls eine Vergewaltigung bekannt wird.

Gemeinschaft deckt die Täter

Für Frauenrechtlerin Aisha Usman, die Kinder und Jugendliche nach einer Vergewaltigung auf HIV untersuchen lässt, hat Missbrauch auch viel mit der sozialen Situation der Eltern zu tun. Denn die Opfer kämen meist aus ärmeren Familien: "Nicht ein einziges Kind von einem reichen Mann wird vergewaltigt. Es sind die schwächsten Kindern, die vergewaltigt werden", sagt Usman. Die würden sich wiederum leicht einschüchtern und erpressen lassen. Wer kaum genug Geld habe, um seine Kinder täglich zu versorgen, habe erst recht keins, um regelmäßig zur Polizei oder zu einem Verfahren zum Gericht zu fahren.

Aisha Usman kritisiert auch, dass Täter von der Gemeinschaft gedeckt werden. Gerade religiöse Meinungsführer würden keine Aufklärungsarbeit leisten. "Wenn in der Gemeinschaft so etwas passiert, heißt es: Wir sind alle Muslime. Solche Dinge müssen doch nicht öffentlich werden. Es ist eine Schande für unsere Religion und unsere Gemeinschaft."