Nikelis: "Das Ziel ist Gold"
5. September 2016 Deutsche Welle: Die Olympischen Spiele waren bis vor kurzem in vollem Gange. Waren diese nicht auch für einen paralympischen Athleten oder Funktionär wie ein Zeichen "Bald geht's los!", ein Zeichen, das die Nervosität steigen lässt?
Friedhelm Julius Beucher: Die Vorfreude wächst! Das ist eigentlich wie jedes Mal. Wenn die Olympischen Spiele in vollem Gange sind, dann wissen wir: Es sind nur noch ein paar Wochen, dann sind wir dran. Dann steigt das weltweit drittgrößte Sportereignis und das sind mittlerweile die Paralympics. Deshalb: Vorbereitung in der Endphase, Vorfreude pur. Aber auch auch ein kritischer Blick auf das was in Rio passiert, Stichwort "Wettkampfbedingungen".
Holger Nikelis: Klar, gerade das verfolge ich als Athlet natürlich sehr. Man stellt sich aus Deutschland die Frage: Wie sind die Bedingungen in der Tischtennis-Halle? Man hört, es sei recht kühl. Es ist jetzt die Endphase der Vorbereitung, viel Training ist angesetzt, dennoch habe ich durch das Fernsehen versucht, mitzukriegen was dort passiert.
"Athleten dürfen nicht an Barrieren scheitern"
Herr Nikelis, das Wasser im Sprungbecken war bekanntlich grün. Stellen Sie sich dann auch die Frage: Wie sieht es bei mir in der Halle aus?
Nikelis: Es ist immer ganz schön, dass die Olympischen Spiele vor uns stattfinden. Da werden diese ganzen Mängel schon mal beanstandet und ich hoffe in meinem Fall natürlich darauf, dass eben jenes kühle Klima in der Tischtennis-Halle bis zu den Paralympics verbessert wird. Auch bei den Mängeln, die es anscheinend im Olympischen Dorf gab, hoffe ich, dass sie bis dahin in der "Testphase" Olympia verbessert wurden. Aber trotz allem: Ich trainiere durch solche Nachrichten nicht anders, auf mich hat das so gesehen keinen Einfluss.
Beucher: Ich will das jetzt nicht dramatisieren, aber für uns gibt es ein No-Go: Ein Aufzug in einem paralympischen Dorf, der nicht funktioniert, macht es uns nicht möglich uns ordentlich vorzubereiten. Das ist etwas, was zwingend notwendig ist. Da ist das Organisationskomitee nun in der Verantwortung. Wir können es uns einfach nicht erlauben, in Gebäuden zu wohnen, wo unsere Athleten an Barrieren scheitern.
Mit Erfahrung und Gelassenheit zu Gold?
Nach Gold in Athen 2004 und London 2012, dazu zahlreichen weiteren Titeln auf internationaler Ebene: Welche Zielsetzung haben Sie? Fahren Sie wie viele Ihrer Kollegen unter dem olympischen Motto "Dabei sein ist alles" zu den Spielen?
Beucher: Nicht der Holger Nikelis! (lacht)
Nikelis: Nein, ich denke, wenn man zwei Mal den Titel geholt hat, fährt man dorthin um ihn wieder zu holen. Ich bin ja auch 2008 nach Peking gefahren, um erneut zu gewinnen. Das hat leider krankheitsbedingt nicht geklappt. Es ist daher ganz klar das Ziel, in Rio meinen Titel von London zu verteidigen. Dadurch, dass ich die Goldmedaille jedoch schon zwei Mal gewonnen habe, bin ich vielleicht etwas entspannter. Das ist wahrscheinlich der Unterschied zu anderen.
Was macht es am Ende aus, genau im richtigen Moment die notwendige Leistung zu erbringen?
Nikelis: Erfahrung, die richtige Vorbereitung…
Beucher: …aber auch Gelassenheit!
Nikelis: Gelassenheit definitiv. Wenn man dort hinfährt mit dem Gedanken "Ich muss gewinnen", dann wird es schon mal schwierig. Von meiner Erfahrung her: Es ist natürlich auch eine Frage der Tagesform, die muss man in gewisserweise auch timen und sich entsprechend durch die äußeren Bedingungen - die Paralympics sind für uns das größte Event - nicht beeinflussen lassen.
"Stolz auf das IPC"
Ein großes Thema wirft seinen Schatten auf die internationale Sportwelt: Doping. Das IOC hat die russischen Athleten nicht pauschal ausgeschlossen, das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hingegen schon. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) äußerte sich positiv diesbezüglich. Warum?
Beucher: Doping ist Betrug, Betrug ist kriminell und Kriminalität hat im fairen Sport nichts zu suchen. Wenn derart erdrückende Beweise vorliegen, wie die der WADA-Untersuchung, der McLaren-Report, dann frage ich jeden Zweifler: "Was muss ich denn noch mehr vorlegen, um zu beweisen, dass hier unfair und betrügerisch vorgegangen worden ist?" Und aus diesem Grund stellt sich für mich auch nicht die Fairness-Frage. Die Unfairness begeht nicht derjenige, der die russischen Athleten pauschal ausschließt, sondern derjenige, der sie mit seinen kriminellen Machenschaften in Sippenhaft genommen hat. Derjenige, der in Kauf genommen hat, dass keiner mehr nachweisen kann, ob er sauber oder unsauber ist. Bezüglich dieses Themas gibt es nur noch eine Null-Toleranz-Haltung, da bin ich stolz auf das IPC und dessen Entscheidung.
Aus Sicht des Sportlers: Sind Sie erleichtert über diese Entscheidung, Herr Nikelis?
Ich finde es gut, dass der Verband so reagiert hat. Diese Entscheidung habe ich aber auch erwartet, denn im Grunde war keine andere Lösung vorhanden. Ich blende diese Doping-Problematik aber eigentlich aus, mein Ziel ist es, am 21. September in Rio Gold zu holen.
Friedhelm Julius Beucher, geboren 1946, ist Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Er war als Politiker von 1990 bis 2002 Mitglied des Bundestages, zeitweise als Vorsitzender des Sportausschusses. Für sein politisches und soziales Engagement wurde er 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Holger Nikelis, geboren 1978, ist zweifacher Paralympics-Sieger im Tischtennis. Seit einem Badeunfall 1995 ist er von der Brust abwärts - seine Arme eingeschränkt - gelähmt. Er ist sozial engagiert, fungierte als Botschafter und ist unter anderem Träger des Silbernen Lorbeerblattes (2006).
Das Interview führte Kai Bülter.