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Webradio

30. Oktober 2011

Interessante Inhalte finden ihr Publikum, davon sind die Macher von Reboot.fm überzeugt. Das Programm ihres nicht-kommerziellen Senders ist international und facettenreich. Zu hören ist es auf UKW und im Web.

Kopfhörer (Foto: Neuer Berliner Kunstverein/Jens Zieh)
Bild: © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe

Noureddine Ben Redjeb kommt zwei Minuten vor fünf. Er stand im Stau, Demo am Brandenburger Tor, nichts ging mehr. Nouri schnauft, zieht die Jacke aus, setzt den Kopfhörer auf, zieht den Regler hoch - und: Musik ab, los geht's. "Hallo Berlin, ich grüße euch und werde euch diese Woche nicht mit Neuigkeiten aus Algerien quälen. Versprochen." Und dann zieht der Radioaktivist den Regler wieder runter, atmet im Schutz der Musik einmal kräftig durch und begrüßt schließlich die Freunde in Berlin, Frankreich, Bahrain und Manila.

Reboot.fm ist ein Webradio, das man in Berlin und Potsdam auch auf UKW empfangen kann. Elf Stunden in der Woche, am Freitag-, Samstag- und Sonntagabend. Gesendet wird aus einem kaum wohnzimmergroßen Raum im Haus der Kulturen der Welt. Ein paar Computer stehen hier, kleine Mischpulte und zwei, drei Mikrofone. Das Licht ist künstlich, die Wände sind grob isoliert. Kein Vorraum, keine Sprecherkabine, nur das Rotlicht draußen über der Glastür, das signalisiert, hier wird gesendet. Jetzt. Live.

Livesendung bei Reboot.fm, vorne im Bild: Guido Plonski.Bild: DW

Reboot.fm ist ein Künstlerradio, das vor einigen Jahren aus einer gewissen Not heraus entstanden ist. Wie so manches spannende Kulturprojekt. Damals hatten ziemlich viele mittellose Menschen in Berlin, die alles etwas mit Kunst und Kultur zu tun hatten, die Idee, ein eigenes Radioprogramm zu machen. Das, so stellten sie sich vor, sollte eine Plattform für das kreative Potential der Stadt werden. Zu der Gruppe gehörten auch Guido Plonski und Pit Schultz, die schon Radio-Erfahrung hatten. Dank der Arbeit für nicht-kommerzielle Sender im In- und Ausland und infolge eines gemeinsamen Projekts. Um die Jahrtausendwende hatten sie nämlich Musik aus angesagten Berliner Clubs ins Internet übertragen. Das kam gut an, ließ sich aber nicht vermarkten. Weshalb die beiden nun offen waren für neue Projekte und Verdienstmöglichkeiten. Heute ist der eine, Guido Plonski, Geschäftsführer der Klubradio unlimited GmbH und der andere, Pit Schultz, gemeinsam mit Diana McCarty redaktioneller Leiter des dazugehörigen Projekts Reboot.fm.

Direkt und authentisch

Ausgestattet mit ziemlich üppigen Fördergeldern, wurde Reboot.fm vor gut sieben Jahren aufgebaut. Sechs Monate lang, sagt Guido Plonski, hätten sie ziemlich viel Spaß gehabt. Sie, das waren mehrere Programmierer und Techniker und an die hundert Leute aus der Kulturszene - Künstler, Musiker, DJs. Ein Studio haben sie gebaut und die Website. Und natürlich haben sie über das Programm geredet. Anders als das kommerzieller Sender sollte es sein, direkter, authentischer und selbstverständlich preiswert. Denn nach sechs Monaten waren die Fördergelder aufgebraucht und seitdem fließt das Geld bei Reboot.fm nur zögerlich. Auf der UKW-Frequenz darf nicht geworben werden. Und wer, fragt Guido Plonski, platziert schon Werbung in einem Webradio, dessen Hörerschaft er gar nicht kennt? Aus all diesen Gründen haben die Macher von Anfang an selbst vor dem Mikrofon gesessen - ehrenamtlich. Und seitdem nehmen sie Hörer wie Fans mit in die ihnen vertrauten Subkulturen Berlins - in wenig bekannte Kunstszenen, zum Sound der Stadt und zu deren kulturellem Untergrund.

Berliner Club-SzeneBild: picture-alliance / schroewig

Unsere Radiomacher, sagt Pit Schultz, wollen Inhalte vermitteln und sie kennen sich aus - der Tunesier Noureddine Ben Redjeb, der für Musik aus aller Herren Länder schwärmt, die Amerikanerin, die aus der Szene der Expatriates kommt und auf mehrsprachige Slam-Poetry spezialisiert ist, der Soziologe, der zu den führenden Denkern beim Thema Gentrifizierung zählt, die Produzentin für elektronische Tanzmusik, die medienpolitische Aktivistin, der DJ für selten gehörte Musik. Und die Feministinnen und Umweltaktivisten oder die DJane, die die schwullesbische Community bei den Türken anspricht. Menschen verschiedenster Nationalität und Herkunft, die die Nischenkulturen der Stadt unter ein Dach bringen und dabei eigene Netzwerke nach Kräften nutzen. Sie bringen Musiker und ganze Bands mit in ihre Sendestunden, schleppen Schauspieler und Filmemacher an und Gäste aus dem Haus der Kulturen der Welt, die dann in dem kleinen Studio, eingepfercht zwischen Mikros und Mischpulte, lebhaft über den Zustand der Welt diskutieren. In Deutsch oder Englisch, der Lingua franca der Berliner Kunst- und Künstlerszene.

Alles anders

Bei Reboot.fm kann man hören, was nicht oder noch nicht Mainstream ist. Und man kann sich wundern, was Berlin so alles hervorbringt. Auch Taxifahrer haben hier moderiert, arabische und türkische, die ihre Hörer zum Heulen brachten, weil sie Rockmusik aus dem Istanbul der 70er Jahre gespielt haben.

Studio von Reboot.fmBild: DW

Unlängst ist Reboot.fm als bestes Webradio der Region Berlin-Brandenburg ausgezeichnet worden. Das ehrt die Macher und freut die Verantwortlichen. Die freilich sind davon überzeugt, dass ihr Radio im Internet nur funktioniert, weil es auch auf der UKW-Frequenz ausgestrahlt wird. Denn nur dort kann es Gemeinschaft stiften, unter Hörern, die alle gleichzeitig einschalten und so Mitglied einer Teilöffentlichkeit werden. Dass man das Programm verorten kann, sagt Pit Schultz, sei für Moderatoren wie Hörer einfach wichtig. Und zum Beleg verweist er auf Einschaltquoten. Ein Webradio gilt als erfolgreich, wenn es 1000 Hörer hat, beim lokalen UKW-Sender aber ist üblicherweise von Hörerzahlen im sechsstelligen Bereich die Rede.

Reboot.fm ist denn auch vor allem ein soziales Netzwerkradio, das die Vorteile der verschiedenen Distributionswege nutzt - für Hörer in Berlin und für Fans weltweit. Und was am Wochenende gelaufen ist, kommt montags auf Facebook und Twitter und wird rumgepostet und geshared. So erreicht das Künstlerradio noch einmal eine ganz andere Hörerschaft.

Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Klaus Gehrke